Das unterirdchche London oder die Leichenräuber. lg
— ein Weib: eines der schönsten Weiber seines Jahrhunderts, ' Stillen hatte sie bereits alle Vorbereitungen zur Flucht ge-
eine Spanierin. Belauschen wir sie in ihrem Arbeitszimmer!
Ein klein zu nennendes Gemach, ganz mit schwarzem
Sammet ausgeschlagen, gegen den der marmorweiße Teint ,
der Bewohnerin feenhaft abstach, diente ihr zum Bureau. In
dasselbe mündeten Gänge nach sämmtlichen Bahnhöfen so-
wohl, als nach den bedeutenderen Seehäfen; ferner ein Gang
in die Staatsgefängnisse, mehrere zu den Leichenkellern der
Vorstädte und einer sogar in's Parlament, wo dieses stolze, j
herrschsüchtige Weib einst sämmtlichen Bewohnern Großbri-
tanniens die Gesetze ihres Bundes zu octroyiren hoffte. Außer-
deni wuren fünf Telegraphisten fortwährend beschäftigt, die
Verbindung mit den Zweigvereinen im ganzen übrigen Europa
zu unterhalten.
In dem beschriebenen Gemache nun saß die Spanierin
in kleidsamer Mannestracht, das rabenschwarze Seidenhaar
zu einem Liebesknoten verschürzt. Aber wozu hier ein Liebes-
knoten, wo doch nie der Sonnenstrahl Amors Eingang finden
konnte?! —
Die Leichenräuber zählten jetzt in England allein gerade
drei Millionen Anhänger; — Keiner aus diesen drei Millionen
hätte einen Augenblick gezögert, sich für Donna Jsabella vier- j
theilen zu lassen —- und doch hatte Keiner auch nur die kleinste
Gunstbezcugung von ihr erhalten, und dieses Verfahren allein
konnte sie in ihrer Stellung erhalten. Nahte ihr ein Frecher,
der dem Kern ihres Wesens, der echten Weiblichkeit, zu nahe
treten, oder gar den Bund verrathen wollte, so waren 2,999,999
Schlingen bereit, ihn zu erdrosseln; aber doppelt so viele
Augen wachten auch Tag und Nacht in fieberhafter Eifer-
sucht, ob sie nicht Einen bevorzugend, die Anderen verricthe.
Und doch liebte dieses Mädchen •— sie liebte. Ralfen! Im
troffen — eine Insel der Südsee war in der elegantesten
Weise zum Wohnsitz des Paares eingerichtet; es fehlte eben
nur die Einwilligung Ralfs, und — war dies Weib in der
Lage an den Widerstand eines Mannes zu denken, wo sie
täglich drei Millionen vor sich auf den Knieen sah, die ohne
die Wonne ihres Besitzes zu beanspruchen, ihr Leben und
Seligkeit nur aus gegenseitigem Argwohn zu opfern bereit
waren!? — Daher der furchtbare Schreck, als Jsabella auf dein
schon erwähnten Balle der Aldermänner sah, daß Ralf die Toch-
ter van der Mills mit Zärtlichkeiten überhäufte, von ihr aber,
der liebeglühenden Andalusierin, die ihn in den kostspieligsten
Costümen umgaukelte, gar keine Notiz nahm. Eifersucht,
Rache, Wuth und überquellendes Gefühl peitschten ihre Seele
wie der Orkan die Wogen des Meeres oder der Ungar seine
wilden Stiere, wenn sie am Pfluge ziehen!
Als sie zur Besinnung gekommen, gab sie von ihrem !
Arbeitszimmer, wohin sie durch eine heimliche Versenkung
direkt vom Ballsaale ans gelangen konnte, Befehl, die un-
glückliche Holländerin zu rauben — und wir haben bereits
gesehen, wie gut dies Vorhaben gelang.
Einen ähnlichen Plan hatte Jsabella in Bezug ans Ralf. ;
Gerade hatte sich dieser in Begleitung seiner Sekundanten
zum Zweikampf mit dem jungen Offizier eingefunden, als
letzterer, welche ebenfalls zu den Leichenräubern gehörte, den
Auftrag erhielt, den Maler lebendig einzuliefern. Er stürzte
sich daher auf Ralf — dieser aber, Schlimmes ahn end, ivich
aus und erreichte in fliegender Hast, immer von dein Offizier
und sämmtlichen Sekundanten (ebenfalls Bundesmitgliedern)
verfolgt, jene schon erwähnte Matrosenkneipc. Man war
hier eben beschäftigt, eine Leiche zu versenken: der Strick hing
bereits. Ralf ergriff ihn •—und das klebrige weiß der Leser
bereits.
7. Der Mord.
Vor dem Hause van der Mills hatte sich eine unab-
sehbare Menschenmenge versammelt: der allbcliebtc und ge-
ehrte Handelsherr war heute Morgen in seinem Bette tobt
gefunden worden; der Cassiercr Jinkins mit dem ganzen Ver-
mögen war verschwunden!
(Schluß folgt.)
Die Analyse.
Da sagt mir mein Sohn, der in Drüsen (Dresden) uf
Chemie studirt, ich sollt ihm doch 20 Thaler geben; er hätte
eben mit einer interessanten Analyse zu thun, die er unmög-
lich aufgcben könne, die aber viel Geld koste. — Nah! ehe
er's wie andere junge Leute für Kneipen und Mädels ans-
gibt, will ickfis meinem braven fleißigen Jungen lieber geben
und auch noch 2 Thaler für seinen Fleiß zulegen; — daß
— ein Weib: eines der schönsten Weiber seines Jahrhunderts, ' Stillen hatte sie bereits alle Vorbereitungen zur Flucht ge-
eine Spanierin. Belauschen wir sie in ihrem Arbeitszimmer!
Ein klein zu nennendes Gemach, ganz mit schwarzem
Sammet ausgeschlagen, gegen den der marmorweiße Teint ,
der Bewohnerin feenhaft abstach, diente ihr zum Bureau. In
dasselbe mündeten Gänge nach sämmtlichen Bahnhöfen so-
wohl, als nach den bedeutenderen Seehäfen; ferner ein Gang
in die Staatsgefängnisse, mehrere zu den Leichenkellern der
Vorstädte und einer sogar in's Parlament, wo dieses stolze, j
herrschsüchtige Weib einst sämmtlichen Bewohnern Großbri-
tanniens die Gesetze ihres Bundes zu octroyiren hoffte. Außer-
deni wuren fünf Telegraphisten fortwährend beschäftigt, die
Verbindung mit den Zweigvereinen im ganzen übrigen Europa
zu unterhalten.
In dem beschriebenen Gemache nun saß die Spanierin
in kleidsamer Mannestracht, das rabenschwarze Seidenhaar
zu einem Liebesknoten verschürzt. Aber wozu hier ein Liebes-
knoten, wo doch nie der Sonnenstrahl Amors Eingang finden
konnte?! —
Die Leichenräuber zählten jetzt in England allein gerade
drei Millionen Anhänger; — Keiner aus diesen drei Millionen
hätte einen Augenblick gezögert, sich für Donna Jsabella vier- j
theilen zu lassen —- und doch hatte Keiner auch nur die kleinste
Gunstbezcugung von ihr erhalten, und dieses Verfahren allein
konnte sie in ihrer Stellung erhalten. Nahte ihr ein Frecher,
der dem Kern ihres Wesens, der echten Weiblichkeit, zu nahe
treten, oder gar den Bund verrathen wollte, so waren 2,999,999
Schlingen bereit, ihn zu erdrosseln; aber doppelt so viele
Augen wachten auch Tag und Nacht in fieberhafter Eifer-
sucht, ob sie nicht Einen bevorzugend, die Anderen verricthe.
Und doch liebte dieses Mädchen •— sie liebte. Ralfen! Im
troffen — eine Insel der Südsee war in der elegantesten
Weise zum Wohnsitz des Paares eingerichtet; es fehlte eben
nur die Einwilligung Ralfs, und — war dies Weib in der
Lage an den Widerstand eines Mannes zu denken, wo sie
täglich drei Millionen vor sich auf den Knieen sah, die ohne
die Wonne ihres Besitzes zu beanspruchen, ihr Leben und
Seligkeit nur aus gegenseitigem Argwohn zu opfern bereit
waren!? — Daher der furchtbare Schreck, als Jsabella auf dein
schon erwähnten Balle der Aldermänner sah, daß Ralf die Toch-
ter van der Mills mit Zärtlichkeiten überhäufte, von ihr aber,
der liebeglühenden Andalusierin, die ihn in den kostspieligsten
Costümen umgaukelte, gar keine Notiz nahm. Eifersucht,
Rache, Wuth und überquellendes Gefühl peitschten ihre Seele
wie der Orkan die Wogen des Meeres oder der Ungar seine
wilden Stiere, wenn sie am Pfluge ziehen!
Als sie zur Besinnung gekommen, gab sie von ihrem !
Arbeitszimmer, wohin sie durch eine heimliche Versenkung
direkt vom Ballsaale ans gelangen konnte, Befehl, die un-
glückliche Holländerin zu rauben — und wir haben bereits
gesehen, wie gut dies Vorhaben gelang.
Einen ähnlichen Plan hatte Jsabella in Bezug ans Ralf. ;
Gerade hatte sich dieser in Begleitung seiner Sekundanten
zum Zweikampf mit dem jungen Offizier eingefunden, als
letzterer, welche ebenfalls zu den Leichenräubern gehörte, den
Auftrag erhielt, den Maler lebendig einzuliefern. Er stürzte
sich daher auf Ralf — dieser aber, Schlimmes ahn end, ivich
aus und erreichte in fliegender Hast, immer von dein Offizier
und sämmtlichen Sekundanten (ebenfalls Bundesmitgliedern)
verfolgt, jene schon erwähnte Matrosenkneipc. Man war
hier eben beschäftigt, eine Leiche zu versenken: der Strick hing
bereits. Ralf ergriff ihn •—und das klebrige weiß der Leser
bereits.
7. Der Mord.
Vor dem Hause van der Mills hatte sich eine unab-
sehbare Menschenmenge versammelt: der allbcliebtc und ge-
ehrte Handelsherr war heute Morgen in seinem Bette tobt
gefunden worden; der Cassiercr Jinkins mit dem ganzen Ver-
mögen war verschwunden!
(Schluß folgt.)
Die Analyse.
Da sagt mir mein Sohn, der in Drüsen (Dresden) uf
Chemie studirt, ich sollt ihm doch 20 Thaler geben; er hätte
eben mit einer interessanten Analyse zu thun, die er unmög-
lich aufgcben könne, die aber viel Geld koste. — Nah! ehe
er's wie andere junge Leute für Kneipen und Mädels ans-
gibt, will ickfis meinem braven fleißigen Jungen lieber geben
und auch noch 2 Thaler für seinen Fleiß zulegen; — daß
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das unterirdische London oder die Leichenräuber"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 49.1868, Nr. 1201, S. 19
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg