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Wiener Briefe des He

Die letzten Jahre haben den Menschen so manche ver-
bitterte Erfahrung aufgeokdirirt, so daß man gar keine Lebens-
: lustigkeit nicht mehr versbirte. Aber —

Es kann ja nicht immer Alles so verbleiben,

Hier unter dem verwechselten Mond;

Es kommt stets die Zeit, die verzehrt,

Wenn man auf dem Erdenball bewohnt —

■ — wie dieses der alte Ministerdichter von Göthc noch nach
seinen Tod in seine nachgelassenen Werke in Schillerformade zu
jetzt herabgesetzten Preisen so schön besungen-hat. Oder auch
wie dies der weiße König Salimohn gewcisagt hat — Immer
lostig I Da wird der Mensch nicht rostig! —welches dasselbe
wie Herr von Göthe sagen will und welches auch mein grund-
setzlichtes Brinzibibinm ist.

Mancher Mensch fihrt ein mehrfachigtes Dasein auf ein-
mal, als so wie zum Beisbiel Ich, denn ich bin nicht nur
Mensch in die allgemeine Bedeutung, sondern aber in das
Besondere auch Schitzenbruder und noch dazu sogar Schitzen-

■ haubtmann in meiner Vaterstadt. Und bei mir ist dieses
nicht etwa blos als leere Redensartigkeit, wo sich so viele
mit den Ditel bristen und doch noch niemals kein Flinten-
gewehr nicht in die Hand genommen haben, sondern aber ich
bin ein ans 600 Schritt allemal noch schwarzer, gezogener
Ohrdinanz-Stutzcr-Scharfschitze mit vorschriftmäsigtes Kahlieber
von 35 Kugeln auf ein Fund Zollgewicht.

Hingegen aber das gehört doch eichentlich gar nicht mit
hierher, sondern ich schloß mich mit verschiedene andre Schitzen- *
j beider an den Ecksdrahzug an, welcher in Pirne unter andern
' Versöhnlichkeiten auch mich mit auf sich nahm.

Auch mein alter Busenfreind und Reisegefärde Kohle
bekleidete mich, nachdem ich ihm schon seit ein halbes Jahr
täglichten Schiesuntcrricht auf den sogenannten Ohrdinanz-
stutzer gegeben hatte, welches ich gans siehstcmattisch anfing,
j weil Kohle schon eichentlich mehr ein schwachnärsigter Kar-
rakter ist. Erst setzte ich Kohlen blos Zindhitchen auf, dann
lud ich ihm blind, daß er sich an das Knallen gewehncn
sollte und zuletzt erst lud ich ihn mit scharfe Kugeln in das
Rohr. Aber mit seiner Trefflichkeit als Schitzenbruder ist es
j nicht weit zu bringen gewesen, weil er sich so sehr vor das
Knallen firchtct und noch jetzt allemal seine alle beiden Augen
zudrickt, wenn er losdrickt, weshalb er stets ganz genau da-
nebenhin trifft. Wir haben ihn deshalb schon oft ausgelacht
aber dadraus macht sich Kohle niemals nichts nicht, sondern
aber er sagt blos dann: das Jndasschwarze hineingetroffen
macht den Schitzenbruder nicht alleine aus, wenn es nur
richtig knallt und bufft, das ist doch auch mit eine Haubtsache!

Aber nun bitte ich Euch, liebe Anverwandte u. s. w.,
mit mir in den Ecksdrahzug zu steigen und mich auf meiner
Reife zu verfolgen. Wenn Ihr jedoch nicht etwa ein bischen
furchtbare Sonnenglut aushalten kennt, so ist es ain besten,
daß ihr sogleich wieder umkehrt und meine Briefe gar nicht
weiterleset, denn so was von einer sogenannten kahnibalichten
Hize ist vielleicht auf unsrer alten Mutter Weltkugel noch gar
nicht dagewcsen.

rrn Gras aus Pirna.

Roch alleweile, wo ich dieses schreibe, in unfern Wiener
Kwarthier ist cs so sehre heis, daß ich mich zur oberfläch-
lichten Erholung, mit Rehspeck zu vermelden, nur noch in Ban-
doffeln und Hemde befinde, welches freilich sogar unanständig
zu nennen wäre, aber nicht wahr, dieses nehmt ihr mir nicht
übel, denn unter lieben Anverwandten u. s. w. kann es doch
schon einmal Vorkommen, daß Sie sich Ihre Briese allenfalls
in ein so dirstiges Kostihm als wie im Hemde an einander
schreiben dürfen.

Von die unterwegsichten Abendeier läßt sich nun freilich
nicht viel vermelden, denn man schwamm wehrend die ganze
Fahrt bis Wien nur in Juwel und Schweife. Wie viele
Funde von mein Körbergewicht ich auf diese Fahrt ausge-
schwizt habe, das weis ich nicht, aber dieses weis ich, daß
ich schon von Pirne bis an die böhmische Grenze nur alleine
in dem Dampfwagenkuhbö und auf die baar Anhaltestazionen
vierundsibzig Briderschaften gemacht habe, weil man im-
mer wieder mit lauter neue Schitzenbrider bekannt that wer-
den. Aber auch die Rärfen greift so etwas gar sehr an, weil
doch jeder neue Ankömmling in seiner schitzenbriderlichten Feld-
flasche wieder eine andere Sorte Getrenke hat, wo man bei
dem Willkommen muß Einen dadraus Bescheid thun.

Recht sehre mußte ich mich schon zu Anfang von dieser
Reise über meinen Freund und Schitzenbruder Kohle ärgern,
welcher in seiner Feldflasche sogenannten guten sbanischen
Bortowein mitgenommen hatte und womit er schon bis zwi-
schen Königstein und Schandau ganz alle war.

„Fui, schäme Dich, Kohle," sagte ich als ich dieses be-
merkte, „womit willst Du denn nun Deine Durstigkeit bis
Wien stillen und besänftigen?"

„Davor habe ich auch noch ein Mittelchen," sagte Kohle,
griff hinter sich auf dem Rücken herum und hielt mir plötz-
lich sein Bulferhorn vor das Gesichte, wobei er ausrief: „Ra,
willst Du Eins?"

Mit Schauderhaftigkeit und Schrecken krallte ich zurücke,
denn mit so ein geladenes Bulferhorn ist gar kein Sbas nicht
zu machen und ich brillte deshalb Kohlen mit gedrohter Faust
an: „Kohle, Du bist ein Esel! Willst Du denn hier auch
die andern und Dich selbst mit in die Luft sbringen lassen?"

Aber da lachte Kohle gans umbändig, setzte sein Bulfer-
horn an den Mund, sagte: „Brosit, altes Schihenhaus!" —
und dann that er einen richtigen Zug, welches ich bis in
seine Kehle hinunter kluckern hörte. Es war also richtig,
daß dieser imfamichte Kerl als Teischung anstadt die Munütziohn
blos Wein in sein Bulferhorn hatte.

Auf so einer sogenannten Festreise kann man nun frei-
lich keine besondren Beopachtungen machen, weil man näm-
lich immer nur so viel mit sich und seine nächste Umgcben-
heit zu thun hat. Dieses hatte aber auch für mich wenig
zu bedeiten, weil ich ja doch schon von meine frieren Reisen
diese ganze Gegend noch sehr genau kannte und sie deshalb
nichts Reies und Anziglichtes vor niich hatte. Es war nur
insoferne für meine Reisegeferden von Nitzlichkeit, weil ich
ihnen die Gegend beschreiben konnte gleichsam als wie ein
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