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79

Wiener Briefe des H

Sitz erahne. Da ihr vielleicht nicht so viel klasische Schul-
bildung besitzt, liebe Anverwandten u. s. w., als daß ihr
dieses ausländische Fremdwort kennt, so will ich euch nur
erklären: wenn in das alte Kriechenland die Dienstmänner
und Lohndiener Einen zurecht verwiesen, wenn Einer nicht
bekannt war, so nannte man sie einen Sitzerohne.

In die alte Reichstädt Prag hielten wir uns auch nicht
, länger auf, als es nöthig war. Aber es ist jetzt eine ganz
eichenthiemlichte Sache in dieses schöne Prag, wo sich die Bc-
felkrung in zwei feindlichte Theile sbaltet. Das Eine sind die
Deutschen, welche sich gans anständicht benehmen, Niemanden

■ nichts nicht zu Leide thun und iberhaupt des Daseins Laster
und Steiern mit Geduld vertragen. Das Andre aber sind die
sogenannten Behmcn oder auch Schechen genannt und diese
möchten so gar zu gerne die Deutschen mit Strümbsen und
Stihlen am liebsten aufressen, wenn es nur angingc.

Dieses Beisbiel konnte mau auch recht deitlicht auf den
Prager Bahnhofe sehn, denn unsre dort versammelten deutschen
Mitbridcr empfingen uns mit Huhraßern und Hochs, aber
die behmischen Schechen machten hechstens so recht verechtlichte
Gesichter oder feindseligte Fisigohnomühen, ja man will so
gar behaubten, daß Mehrere davon hintemcklings ihre Zungen
herausgesteckt haben, um daß Sie uns. damit ärgerten. Aber
nicht wahr, so was thun nur ungezogene und unsittlichtc
Menschen, liebe Anverwandten u. s. w. ?

Wenn man aber auf die Erwartung von ein schönes
Fest steht, so mus man sich durch einer solchen Kleinigkeit
wie einige hinter uns herausgestreckte behmische Zungen weiter
nicht bekimmern lassen.

Auf fast alle Eisenbahnstatziohnen wurden wir mit Juwel
ausgenommen und gans endusgastrisch begrißt. Und je näher
man nach der Gegend von Wien kam, desto ärger wurde
allemal der Freidenlärm über unsre Ankunft. Mit eine wahre
glühende Sehnsucht warteten wir aus das Ende von dieser

■ Festfahrt, denn bei einer solchen imbärdinenten Sonnenhitze
kann ja selbst auch der allergescheitcste Mensch sein Bischen
Verstand einbiscn, welches zumal je weiter man in die sidlichen
Welttheile kommt, soll desto ärger werden und woselbst man
es dann den sogenannten Sonnenstich nennt.

Es wird wohl Niemand nichts Anstösichtes dadrinne
: finden, daß wir dahinfahrende Schitzcnbrider es uns unter-
wegens so leichte als wie nur möglich machten. Ein Jeder
zog sich eben in das Kuhpö so weit aus als wie es allen-
falls nur noch der Anstand erlaubte.

Ich hatte nun zur grindlichtcn Abkihlung und zur Er-
leichterung dieses durchgeschwitzten Daseins sogar auch meine
Stiefeln ausgezogen, welches eine wahre Wohlthat war und
worin mir jeder Menschenkenner beipflichten wird. Aber ich
sollte doch auch leider dieses nicht lange darauf sehr stark be-
, reien. Neben mir sas nämlich ein Schitzcnbruder, welcher
j ein sehr lebhaftigcs Dembrimend hatte und der sich auf alle
Anhaltsbunkte mit Huhraßrufen und Hiteschwenken gar nicht
1 crsättigcn konnte. Nun muß aber doch dieser obenhinausigte
: Schafskobf auf der letzten Statziohn vor Wein bei der Ab-

errn Graf aus Pirna.

fahrt in seine verblendete Begeiftrung unter den Sitz greifen
und statt seinen Schitzcnhut meinen linken ausgezogenen Stifel
erwischen, welches der verdrehte Mensch gar nicht einmal be-
merkte und ihn immer sich iber den Kobf herum schwank.
Und brrrdauz! — ehe daß ich noch zugreifen konnte, war
ihm mein Stifel aus die Hand und unter das Buwelikum
hineingefahrcn!

Ich war ganz verblift vor Schrecken, denn in dcmscl-
bigtcn Moamendc ging auch schon der Zug fort und ich sah
nur noch voll Verzweiflung, wie der glicklichte Finder meinen
Stifel als ein Andenken in Driumfe fortragen that.

Obgleich nun der ganse Wagen mich über diesen Um-
stand auslachte, so war mir dies doch gar uicht so gleich-
giltig, denn ich hatte nur dieses eine baar Stifeln mit, wes-
halb ich auch meinen Nachbar am libsten lieber ein Baar
Dichtige hinter die Ohren gegeben hätte, wovon mich aber
die Andern abhalten thaten.

Ich mußte mich deshalb endlich wohl beruigen, aber
mit meinem linken Stifel war auch zugleich meine Festfreidig-
keit größtentheils verloren gegangen und ich kam ziemlich
misverstimmt bald darauf in die schöne Kaiserstadt Wien an.

Da standen nun wohl an die viele viele Dauscndc von
Menschen des verschiedensten Geschlechtes in, an, um, bei und
auf dem Bahnhofe, welche uns mit einen donnerwetterartigten
Juwel in Einfang nehmen thaten. Eine besondere Debentazion
begrißtc uns mit sehr herzlichten Motten, dann aber ergriff
ein mit uns angckommencr Schitzcnbruder das Wort und sprach
ebenfalls ein Hoch aus auf die Stadt Wien, woraus das ganz
anwesende Bumulikum uns an die ich weis nicht wie viel
dausend Mal hoch leben lies, so daß uns vor Rührung die
Dränen nur so über die Gesichter hinabliefen, wozu noch dazu
eine ganse Rechimensmusik blasen that.

Ich kann es auch wohl sagen, daß es ein sehr erheb-
lichter Emfang war, liebe Anverwandte u. s. w., wenn ich
aber nur auch meinen linken Stifel dabei gehabt hätte, je-
doch der war nun einmal weg und blieb weg. So aber
mußte ich nun als Gelächter der ganzen Versammlung mit
einen Stifel und einen Strumfe in Reih und Glied mit die
Anderen marschiren.

Glücklicher Weise fand sich drausen an dem Bahnhofe
eine Droschke, in die ich mit meinen Freund Kohle stieg und
die uns bald in unser gemeinsames Kwarthier brachte.

Aber nehmt es mir nicht Uebel daß ich hiermit schon
aufhören muß, denn auf der einen Seite ist das Pabier alle
und aus die andre Seite kommt soeben ein benachbarter
Schuster mit einige Duzend linke Männerstifeln von die ich
mir einen aussuchen soll und woinit ich verbleibe als
Euer vielgeliebter Vetter,

Anverwandter Schitzenhaubtmann unb Festgenoßc Graf.

(Fortsetzung folgt.)
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