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Das Geld liegt am Wege.

neue Jahr fing in derselben Weise an wie das vergangene.
Das andere Mal wurde sie mit Gedanken der Liebe und
Versöhnung erfüllt, als im Grauen des stillen Ostermorgens
von der Stadt ein feierlicher Choral hcrüberhallte und sie bis
zu Thränen bewegte.

Und zum dritten Mal geschah diese Wandlung, als sie
eines Sonntagabends eine kranke Verwandte in einem nahen
Dorfe besucht hatte, und nun, angegriffen von deren Leiden,
der Heimath wieder zuschritt. Die Fluren lagen im Golde
der sinkenden Sonne, Alles athmete tiefen Frieden, am Rande
eines Gehölzes hütete ein Knabe das läutende Vieh und er
sang von der Hoffahrt des Reichen:

„Je mehr er hat, je mehr er ist,

Je leichter er Dich, Gott, vergißt."

Er stand am „Hühnertröglein", einem in dem Wald-
boden neben dem Fußpfade befindlichen ausgehöhlten Steine,
hieher versenkt zum Gedächtniß, daß an dieser Stelle zwei
unfriedfertige Nachbarn sich ihrer Hühner wegen „erschlugen",
d. h. derart verwundeten, daß sie Beide erliegen mußten.

Wie klang das vorwurfsvoll in ihr Inneres!

Und als sie durch das offene Thor des Hofes die längs
des Hauses gelegten Steinplatten betrat, hob sich eine weiße
Taube vom Dache und flog in die Ferne; sie sah es und es
war ihr, als scheuche sie den Frieden fort, der nur über
diesem Hause geruht, so lange sie fern war.

Sie bekämpfte ihre Bewegung, um nicht schwach zu er-
scheinen, doch war sie diesen Abend milder und freundlicher
als seit langer Zeit. Als ihr aber Tags darauf von dienst-
fertigen Zungen zugetragen wurde, daß Johann denselben
Abend bei Kathrina gesehen worden sei, entflammte der Stolz
und Haß auf's Reue und Woche auf Woche verging in der
alten Weise. — Es ist wieder Herbst. — Eine linde stvah-
lende Nacht breitet sich über die Erde.

Der Mond schaut durch die zackigen schwarzen Fichten
der jäh abfallenden Hügelböschung zur Linken hernieder, legt
über das kleine Wiesenthal seinen Silberschlcier und läßt die
drüben liegenden zwei Gehöfte mit ihren Bäumen in schwa-
chen Umrissen erkennen. In der Mitte des Thälchens be-
zeichnen die schönen Erlenbüsche den lautlosen Lauf des schmalen
vollen Baches, der sich in südlicher Richtung hinabzieht, um
bald sich östlich zu wenden und durch einen Waldgrund der
Saale zuzueilen, welche drüben vom Gebirge her ihm ent-
gegenkommt.

Dicht am Hügelabhange, zum Theil von seinem Schatten
) bedeckt, zieht sich ein Fahrweg hinab, gegen die Mühle zu,
welche, steil vom hohen Walde überragt und von silberblin-
kenden Birkcnstämmen umgeben, an der erwähnten Biegung
des Thales von Süden nach Osten erkennbar wird und dieses
selbst zu schließen scheint.

Der Weg kommt vom Dorfe, welches, nur 200 Schritte
gegen Nordosten entfernt, hinter der Hügelkette verborgen
liegt. Heute ist dort reges Leben im Wirthshause. Das
kleine Dorf hat seine „Kirchweihe", obwohl es wie die mei-

sten dieser aus zerstreuten Höfen bestehenden alten Niederlass-
ungen keine Kirche hat, sondern zur Stadtpfarrei gehört.

Es ist etwa 8 Uhr. Dem Nahenden schallen schon von
Weitem abgerisiene Geigenklänge und das Jauchzen und
Stampfen der Tänzer entgegen und, am Wirthshause ange-
langt, sieht er in der tabaksdampferfüllten untern Stube die
ältern Dorfbewohner bei Gesang und Kartenspiel sich ver-
gnügen, während oben in der Dämmerung des matterleuch-
teten dichtgefüllten Tanzbodens sich die jugendlichen Paare
drehen, der Bursche im muntern „Schleifer" sein Mädchen
hoch aufschleudert und dann, nach dem Takte der Musik
singend oder einen Juchzer ausstoßend, mit ihr in der Reihe
weiterwirbelt.

Auf den an den Wänden hinlaufcndcn Bänken sitzen
alte und junge Weiber, sie haben heute das Zuschaucn, mor-
gen spielt man ihnen auf.

Allenthalben Fröhlichkeit, oben und unten im lauten,
tönenden Hause. So manches schöne alte Volkslied klingt
heute in die prangende Mondnacht hinaus.

Bis dahin aber, wo wir vorhin stehen geblieben, an
der Wendung des Thales, dringt keine Stimme dieser harm-
losen Volkslust. Der vorspringende Hügel verhüllt das Dorf
und seine Freuden. Ein stämmiger Bursche geht hier lang-
samen Schrittes den Weg entlang, in der Richtung gegen die
Mühle zu. Er denkt wohl an den Kirchweihjubel hinter ihm,
denn halblaut singt er vor sich hin:

„Wennst a Bauer willst sa,

Mußt dei Feld betracht—n,

Schena Maria mußt lieb'n
Und affs Geld net acht—n."

„Hob' ich oft a Strich g'schnittcn,

Hob' ich oft a Hei g'meht,

Hob' ich oft a scheß Maria
Affn Tanzbuden 'rimmgedreht."

Warum meidet er heut' die Stätte der Fröhlichkeit? — '

Er fällt in eine andere Weise ein, die fast klagend in
den stillen Wald hineinhallt — da hält er plötzlich inne
und tritt in den Schatten der Bäume.

Eine Rotte Bursche kommt von Ferne, diesen will er
nicht begegnen. Sie nähern sich, juchzend und lustig auf- >
plaudernd; es geht ja in's Wirthshaus und auf den Tanz-
boden! — Zwei sind in Hemdärmeln und haben die üb-
lichen Sträuße — warum verum und rothc Nelken — auf
der Schirmmütze; sie sind aus der zum Dorf gehörigen Mühle.
Die andern sind wie unser Lauscher mit dem dunkeln Sonn-
tagspoller bekleidet und von dem nach Süden gelegenen näch-
sten Dorfe herübcrgckommcn. Fast alle haben, emsig dam-
pfend, die kurze Pfeife. mit beut Silbcrkcttchcn im Munde;
einer — wohl ein beurlaubter Soldat — bläst auf der Har-
monika einen fröhlichen Marsch. So ziehen sie raschen
Schrittes vorbei.

Der einsame Wanderer tritt hervor aus seinem Versteck
— aber schon hemmt er wieder den Fuß.
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