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178

Meine Kundschaft.

Doch jetzt zu den Einzelheiten meines Lebens.

Mein Stand als Barbier war in der That kein leichter.

; Von Morgens um fünf bis neun Uhr Trepp' auf Trepp'
ab, immer in kurzem Trab und dafür monatlich zehn Silber-
groschen bis einen Thaler. Die Thalerkundcn sind in dop-
pelter Hinsicht die besten. Erstens, weil sie einen ganzen
Thaler bezahlen und zweitens weil sie pünktlich bezahlen.
Aber wie mancher Studio ist mir schon seine zehn Silber-
groschen schuldig geblieben, und, damit dieselben nicht so ein-
sam an der Kreide stehen, die nächsten auch, im dritten Monat
galt der Spruch Ties faciunt collegium, und schließlich war's
noch ein Glück, wenn die Schuld sich nicht weiter aufsummte
und Freund Studio einfach durchbrannte! Ich kann gerade
nicht sagen, daß mich derartige Fälle sehr böse machten: denn
ein Student ist mir immer eine verwandte Seele; werde ich
doch häufig genug zum Unterschiede von den ungebildeten
Ständen, Doktor genannt.

Ein alter Professor, Gott Hab' ihn selig, war mir einer
meiner liebsten Kunden. Er hatte einen andern Barbier,
einen ganz armen Kerl mit Frau und Kind. Der war aber
nie pünktlich, und da der Himmel den Alten wohl mit Ar-
beit, aber nicht mit Reichthum gesegnet hatte, mußte er sich
alle Tage ärgern über die verlorene Zeit des Wartens. Da
nahm er mich, aber aus Mitleid schaffte er den andern nicht
ab, und ließ sich lieber zweimal rasiren, war fast ängstlich,
wenn ich zu einer Zeit kam, wo auch der andere kommen
! konnte, und suchte überhaupt die Verschwendung, zwei Bar-
biere zu halten, so viel wie möglich zu verdecken. Ich that
auch stets so, als merkte ich's nicht und ich glaube, ich habe
in meinem Leben Niemanden so sanft rasirt, wie die gute
alte Seele; aber taub war er, wie alle Andern, er antwortete
höchstens einmal: hm! oder: hm! hm!

In demselben Hause hatte ich einen andern Kunden,
der war gerade das Gegentheil vom Alten. Während Letzterer
schon immer auf mich wartete, schlief dieser und schnarchte,

daß cs nur so eine Art hatte. Dabei rasirte ich ihn und
weil doch mit einem Schnarchenden keine Unterhaltung mög-
lich, machte ich meine Studien über die verschiedenen Schnarch-
töne: ich drückte ihm, aber ganz sanft, beim Rasiren die
Nase mehr oder weniger zu, und da erlangte ich denn solche
Fertigkeit im Ventilisiren, daß ich ihn ganz nach Belieben
Astsägen ließ, so wie knarren, nasses Holz sägen, Stuhlbein-
abschneiden u. dgl. mehr. Leider verlor ich dieses seltene
Exemplar zu früh durch den Tod. Ich hatte mich seiner nur
zwei Monat erfreut, seine Erben zahlten mir das Honorar,
und ich glaube, er hat nur aus Vergnügen am Schlaf das
Zeitliche gesegnet.

Auch ein Theologe war mein Kunde; er war so fleißig,
wie ich außer dem alten Profesior Niemanden gekannt. Ich
glaube, er hätte die Bibel rückwärts hcrsagcn können, d. h.
deutsch, denn hebräisch versteht sich das von selbst — was
ich nur meiner ungebildeten Leser wegen bemerkt haben will. >
Er war Candidat und wartete der Pfarren, die da kommen
sollten. Da er allein stand, war ich mit der Zeit sein Ver-
trauter geworden, mein höherer Grad von Bildung mußte
ihm wohl gefallen. Eines Morgens war er sehr vergnügt,
so froh, wie ich ihn noch nie gesehen. Er erzählte mir, daß
ein alter Prediger, ein Freund seines Vaters, plötzlich unwohl
geworden und ihn schriftlich gebeten habe, statt seiner ein
junges Paar zu trauen. „Und wo?" fügte er freudig hinzu,
„in meinem Vaterstädtchen, nicht weit von hier. Da bin ich
so lange nicht gewesen, so lange als ich von der Schule fort
bin, und daheim wohnt ein hübsches, braves Mädchen, die
ich so recht, recht lieb habe. Als Schüler freilich hatte ich
nicht den Muth, ihr zu sagen, wie gut ich ihr sei, aber jetzt
wird sich vielleicht Gelegenheit finden; wenn ich sie sehe, sage
ich ihr sicherlich, daß ihr Bild mich nie verlassen!" So ging
das Erzählen noch eine ganze Weile fort, er drückte mir die
Hand wie einem alten Freund, in drei Tagen sollte ich erst
wieder kommen, dann sei er wieder zurück.

Ich kam. Mein Gott, wie erschrak ich. War's doch
gerade, als wäre er zehn Jahre älter geworden. Still und
schweigsam ließ er sich rasiren. Ich konnte die Frage nicht
auf dem Herzen behalten: „Wie gcht's, Herr Candidat?"

„Wie Gott will!"

„Haben Sie denn Ihre Liebe nicht gesehen? Sie ist
doch gesund?"

„Gott sei Dank, ja!" erwiderte er mit schmerzlichem
Lächeln.

„Aber Sie sind ja so verändert!"

„Glaub's wohl!" sagte er, und seine gefalteten Hände
fielen ihm matt auf den Schooß; mit gebeugtem Haupte und
trübe blickendem Auge fuhr er fort: „Ich Hab' sie getraut
und den Segen des Himmels Hab' ich dazu vom Allmäch-
tigen erfleht!"

Das muß eine harte Probepredigt gewesen sein. Er !
stand auf, und ging durch's Zimmer. Dann blieb er stehen, !
reichte mir, dem er wohl das Mitgefühl vom Gesicht lesen
konnte, die Hand und sagte leise, aber fest: Gott will's so! !
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Meine Kundschaft"
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Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Rasiermesser
Schlaf <Motiv>
Schnarchen
Lachen <Motiv>
Rasur
Stuhl <Motiv>
Barbier <Motiv>
Nase <Motiv>
Karikatur
Sofa <Motiv>
Kunde
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 49.1868, Nr. 1221, S. 178
 
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