die Operation müßte wenigstens eine Viertelstunde dauern,
Meine Kundschaft.
Ich ging. Bald hatte er eine Pfarre und, wie ich ge-
hört habe, ist er unverheirathet geblieben.
Mein Beruf gab mir auch nicht selten Gelegenheit, die
verschiedenen Variationcu über häusliches Glück kennen zu
lernen. Ein Beamter z. B. überließ mir einst vertrauens-
voll seine Bartstoppeln zur täglichen Vertilgung. Einen Thaler
sollte ich monatlich bekommen, aber, fügte er etwas gcheim-
nißvoll hinzu, daran knüpfen sich einige Bedingungen. Erstens
müßte ich recht langsam einseifen und recht langsam rasiren,
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und zweitens müßte ich seiner Frau gegenüber aussagen, ich
bekäme nur zehn Silbergroschen. Ich ging darauf ein, und
erkannte bald die Gründe dieser Bedingungen. Als ich zum
ersten Male kam, verließ die Frau Gemahlin unter heftigem
Zanken das Zimmer. Ich schien als ruhestiftender Engel
gekommen zu sein. Und so war es auch; alle Morgen be-
wirkte ich eine Pause im Keifen, der Mann hatte während
des Einseifcns Ruhe, und ging ich, so beeilte er sich, auch
nach seinem Bureau zu kommen, um nach dem Einseifen sich
nicht noch von seiner Frau seinen gutmüthigen Kopf waschen
zu lassen. Ihm war mein Rasiren ein Genuß; seine Frau
war zehn Jahr älter wie er.
Einst wurde ich zu einem reichen Banguier gerufen. Ich |
ging, und der, welchen ich rasiren sollte, war wirklich ganz j
taub, denn er war todt. Es war der Sohn des Banguicrs.
Er lag kalt auf seinem Bett und die jugendlichen Züge hatten -
durch den Tod einen ganz alten Ansdruck angenommen. Er
war vollkommen angekleidet und ich that meine Pflicht. Die
Mutter kam, sie weinte und jammerte, aber mein sonst so
lebhaftes Mitgefühl regte sich kaum; sie hatte einen so häß-
lichen bösen Zug im Gesicht, trotz ihrer reichen Toilette sah
sie gewöhnlich aus, ihr Schmerz schien nicht aus dem Mutter- j
Herzen zu kommen, er erschien mir nur wie das Erzeugniß
zerstörter Eitelkeit. Der Vater mit seinem dürren, gelben Ge- '
sicht, mit seinen stechenden Augen machte keinen günstigeren
Eindruck, er weinte nicht, er klagte nicht, still durchmaß er
das Zimmer, die Hände auf dem Rücken, nur einmal blieb
er bei der Leiche stehen und murmelte: „Was hat mich der
Junge gekostet! Alles weggeworfen!" Da klingelt es und die
Braut des jungen Mannes tritt ein. Selten habe ich ein so
mildes, so liebliches Gesicht gesehen, ein so recht herziges
Gesicht, an das sich die blonden Flechten schüchtern schmiegten
und deflcn blaue Augen wohl immer recht mild und freund-
lich in die Welt hinausschauten, wie der erste Frühlings-
sonncnstrahl auf die erwachende Knospe. Doch dieses so lieb-
liche Gesicht hatte jetzt einen Ausdruck, der sich kaum be-
schreiben läßt, der durchaus nicht dazu paßte, der, trotzdem
ich ihn vor Augen hatte, mir unbegreiflich war. Die zarten
Lippen waren fest aufeinander gepreßt, keine Thräne umflorte
das blaue Auge, die Milde war daraus gewichen, nicht
Schmerz und Verzweiflung eines weichen Herzens malte sich
darin, nein grimmer leidenschaftlicher Haß einer empörten
Seele. Man sah dem Mädchen an, daß sie sich zwingen
mußte, den Eltern die Hand zu reichen, zwingen den Schmerz
* derselben stumm anzuhören. Die Mutter führte sie zu dem
Tobten, zu ihrem dahingcschiedenen Bräutigam. Auch jetzt
j keine Thräne. Auch jetzt der Blick der tiefsten Verachtung
auf das kalte, starre Gesicht.
(Schluß folgt.)
23*
Meine Kundschaft.
Ich ging. Bald hatte er eine Pfarre und, wie ich ge-
hört habe, ist er unverheirathet geblieben.
Mein Beruf gab mir auch nicht selten Gelegenheit, die
verschiedenen Variationcu über häusliches Glück kennen zu
lernen. Ein Beamter z. B. überließ mir einst vertrauens-
voll seine Bartstoppeln zur täglichen Vertilgung. Einen Thaler
sollte ich monatlich bekommen, aber, fügte er etwas gcheim-
nißvoll hinzu, daran knüpfen sich einige Bedingungen. Erstens
müßte ich recht langsam einseifen und recht langsam rasiren,
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und zweitens müßte ich seiner Frau gegenüber aussagen, ich
bekäme nur zehn Silbergroschen. Ich ging darauf ein, und
erkannte bald die Gründe dieser Bedingungen. Als ich zum
ersten Male kam, verließ die Frau Gemahlin unter heftigem
Zanken das Zimmer. Ich schien als ruhestiftender Engel
gekommen zu sein. Und so war es auch; alle Morgen be-
wirkte ich eine Pause im Keifen, der Mann hatte während
des Einseifcns Ruhe, und ging ich, so beeilte er sich, auch
nach seinem Bureau zu kommen, um nach dem Einseifen sich
nicht noch von seiner Frau seinen gutmüthigen Kopf waschen
zu lassen. Ihm war mein Rasiren ein Genuß; seine Frau
war zehn Jahr älter wie er.
Einst wurde ich zu einem reichen Banguier gerufen. Ich |
ging, und der, welchen ich rasiren sollte, war wirklich ganz j
taub, denn er war todt. Es war der Sohn des Banguicrs.
Er lag kalt auf seinem Bett und die jugendlichen Züge hatten -
durch den Tod einen ganz alten Ansdruck angenommen. Er
war vollkommen angekleidet und ich that meine Pflicht. Die
Mutter kam, sie weinte und jammerte, aber mein sonst so
lebhaftes Mitgefühl regte sich kaum; sie hatte einen so häß-
lichen bösen Zug im Gesicht, trotz ihrer reichen Toilette sah
sie gewöhnlich aus, ihr Schmerz schien nicht aus dem Mutter- j
Herzen zu kommen, er erschien mir nur wie das Erzeugniß
zerstörter Eitelkeit. Der Vater mit seinem dürren, gelben Ge- '
sicht, mit seinen stechenden Augen machte keinen günstigeren
Eindruck, er weinte nicht, er klagte nicht, still durchmaß er
das Zimmer, die Hände auf dem Rücken, nur einmal blieb
er bei der Leiche stehen und murmelte: „Was hat mich der
Junge gekostet! Alles weggeworfen!" Da klingelt es und die
Braut des jungen Mannes tritt ein. Selten habe ich ein so
mildes, so liebliches Gesicht gesehen, ein so recht herziges
Gesicht, an das sich die blonden Flechten schüchtern schmiegten
und deflcn blaue Augen wohl immer recht mild und freund-
lich in die Welt hinausschauten, wie der erste Frühlings-
sonncnstrahl auf die erwachende Knospe. Doch dieses so lieb-
liche Gesicht hatte jetzt einen Ausdruck, der sich kaum be-
schreiben läßt, der durchaus nicht dazu paßte, der, trotzdem
ich ihn vor Augen hatte, mir unbegreiflich war. Die zarten
Lippen waren fest aufeinander gepreßt, keine Thräne umflorte
das blaue Auge, die Milde war daraus gewichen, nicht
Schmerz und Verzweiflung eines weichen Herzens malte sich
darin, nein grimmer leidenschaftlicher Haß einer empörten
Seele. Man sah dem Mädchen an, daß sie sich zwingen
mußte, den Eltern die Hand zu reichen, zwingen den Schmerz
* derselben stumm anzuhören. Die Mutter führte sie zu dem
Tobten, zu ihrem dahingcschiedenen Bräutigam. Auch jetzt
j keine Thräne. Auch jetzt der Blick der tiefsten Verachtung
auf das kalte, starre Gesicht.
(Schluß folgt.)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Meine Kundschaft"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 49.1868, Nr. 1221, S. 179
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg