Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Fliegende Blätter — 54.1871 (Nr. 1329-1354)

DOI issue:
Nr. 1333
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4928#0039
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Der verhängni

2.

Nicht lange währte es, ja stand des Häbele-Baucrn Jakob
als wackerer Soldat drüben auf dem Kriegsschauplatz.

Es war an einem regnerischen, unfreundlichen Abend, als
die Compagnie, bei der er sich befand, den Befehl erhielt, ans
Vorposten eine weite Strecke hinaus vom Lager zu marschircn.
Am bestimmten Punkte angelangt, wurden Freiwillige aufge-
rnfcn, welche die ersten Posten, die sehr weit hinausgeschobcn
wurden, übernehmen wollten.

Jakob meldete sich mit Andern, die Plätze wurden be-
stimmt und die freiwilligen Posten gingen ab.

„Siehst Du dort, wo die zwei Tannenbüum' stehen, sehen
Sie, wollt' ich sagen," erklärte der Corpora! dem Jakob, „da
bei dem größeren bleib'st stehen, bleiben Sie stehen — nun
■ ja, im Felde geht's nicht so genau."

„Aber, Herr Corporal, dort sind ja mehr Tannenbäum'."

„Bei den Zweien, sag' ich, die dort stehen, beim Größcrn
ist Tein Posten."

„Aber ich sch' ja keine zwei Tannenbäum'."

„Zum Donnerwetter! Willst kriegsrechtlich erschossen
werden? Wenn's einmal der Hanptmann so commandirt. Tort
sind zwei einzelnstehende Tannenbäum', der Hauptmann hat's
gesagt, sic müssen dort sein, und dorthin wird die letzte Feld-
! schildivach' vorgerückt; wenn Tn nicht gehst, muß ich Dich,
das heißt Sie anzeigen. Hoch's G'wehr — Vorwärts marsch!"

Jäkele marschirte brummend in den Nebel hinein auf die
bczcichnctc Stelle zu; er hatte bald Tannengruppen von
Dutzenden erreicht, aber die zwei einzelnstehenden Tannen kamen
nicht, obwohl er eine starke Viertelstunde von der Compagnie >var.

Jetzt kam er an einen Punkt, wo die Natur von selbst
Halt gebot. Er stand nämlich vor einem steilen Abhang, in
dessen Tiefe das vom Regen angeschwollene Bergwasser rauschte.
Tie Bäume hatten sich zu dichteren Gruppen gestaltet und er

ßvolle Posten. 35

sah sich bei einbrechender Dunkelheit so ziemlich ein- und ab-
geschlossen. Umkehren durfte er nicht, die bezeichneten zwei
Bäume und der richtige Punkt war das auch nicht und weiter
konnte er nicht. So stand er eine Weile Gewehr in Arm und
überlegte.

„Meinetwegen," sagte er endlich zu sich selber, „der Herr
Corporal hat mich da herausgeschickt, ich Hab' müssen gehen,
wenn's nit recht ist, so hat der Herr Corporal die Schuld,
ich nit — ich wcrd' mi nit verschieße lasse wegen zwei Tanue-
bänm'."

Allmählich fing cs an, dunkel zu werden und einer jener
feinen Regen, die Einen so unverschämt bis auf die Haut durch-
nässcn, fiel herab. Jäkele konnte sich nicht orientiren, wo er
war. Vor sich den Felsabhang mit dem rauschenden Wasser,
links und rechts Tannengestrüppe und so viel ihm schien weit
und breit nichts Lebendes.

Der Regen siel immer nachdrücklicher und Jakob, von
einem langen Tagmarsch ermüdet, hatte das Auf- und Abgehen
endlich satt bekommen. Er suchte sich tastend ein ziemlich
trockenes Plätzchen unter einem Baum und hielt sich ungefähr
folgendes Selbstgespräch: „Das ist eine verteufelte Geschicht',

jetzt steh' ich wie der Ochs am Berg. Wür' der Hauptmann
oder der Herr Corporal selber da heraus'gange! Wenn ich
jetzt auf dem rechten Punkt nicht bin und die Posten werden
visitirt, so krieg ich noch elende Grobheiten, wenn ich nicht gar
erschossen werd'. Am Ende stecke da unte in dem Teufelsloch
die Franzose und schleiche herauf — gute Nacht, Jäkele, dann
kannst heimschreibe, daß dich die Feind' g'fresse habe, denn
dann kommt kein Hüärle von mir davon. Ja, der Vater
hat gut rede — daheim in Langhofen, da ist's freilich anders.
Da sitzt man jetzt im Wirthshaus und raucht sein Pfeiste und
wird nit naß und muß sich 's Tod's fürchte, wie da in dem
Spitzbubcnfrankreich. 'Wenn ich aber den Napoleon verwisch',
der die ganze Wichs ang'stiftet hat, dem klopf' ich sein Hosle
aus, daß er greine muß, wie ein klein's Schulbüble."

Allmählich wurde er einsilbiger — er vertiefte sich in die
heiteren Bilder seiner früheren Tage und der geliebten Heimat,
dann und wann stieg wieder ein schwarzer Gedanke an seine
jetzige Lage in ihm auf und nach und nach schlief er auf dem
vcrhängnißvolleu Posten wider alles Kriegsrecht ein.

Eben träumte er, er wäre zu Hause und fahre lustig mit
einer Fuhr Getreide das Dorf hinein, als ein heftiger Schlag
und ein starker Regenschauer ihn aufschreckte; er fuhr mit dem
Kopfe in die Höhe. Ein überschwenglich durchnäßter Tannen-
zapfen hatte sich abgelöst und war ihm gerade in's Genick
gefallen; auf seinem Wege vom Baume herab, schlug der Tannen-
zapfen auf mehrere übernasse Zweige und das verursachte den
Regenschauer. Der Soldat stand auf und ging wieder, um
sich zu ermuntern, auf und ab. In der Nähe quackten Frösche
in einem Sumpfe. „Tie Frösch' quackern," murmelte er, „da
wird's morgen schön Wetter, so sagt man wenigstens in Lang-
hofen; ich weiß nicht, ob's bei die französische Frösch' auch so ist."

(Schluß folgt.)


I


5
Image description

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der verhängnißvolle Posten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Soldat <Motiv>
Deutsch-Französischer Krieg <1870-1871>
Gespräch <Motiv>
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 54.1871, Nr. 1333, S. 35

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen