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Fliegende Blätter — 8.1848 (Nr. 169-192)

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Nr. 174
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https://doi.org/10.11588/diglit.2130#0046
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Mittheilungen aus dem Tagebuche eines ZuchthauSpredigers.

doch sonst jede geistige Entwickelung nach Papa Göthe fitzen
bleibt. Der Mörder hat das Glück zu entfliehen — nistet sich
in Amerika oder sonst wo ein, und da er keine besondere Ver-
anlassung fühlt, den Roman der Verbrechen fortzuspielen, wird
er aus Zufall oder Langerweile, oder Instinkt, nennen Sie es
wie Sie wollen, wieder ein leidlich tugendhafter Mensch, und
stirbt im achtzigsten Jahre seines Lebens als der reichste, also
auch der beste Mann. — Sehen Sie, das ist Fatum, dagegen
läßt fich Nichts einwenden, nicht so viel! Hätte ich vor zwan-
zig Jahren wohl gedacht, daß ich einst Geschmack daran finden
müßte, mich in Vpstlanti-Tuch zu kleiden? Eher an den Ein-
sturz der Welt. Ich war zwar nie ein Heiliger, aber doch
eben so das rechte Gemisch von gutem Kerl und Schlaukopf,
als recht ist, einen tüchtigen Charakter daraus zu kneten. Von
jeher war ich ein häßlicher Knirps; ich dachte: das ist gut, da
werden statt der Weiber die Wissenschaften deine Maitreffen
sein, und ich büffelte trotz Einem. Aber meine Philosophie
brach fich am eisernen Fatum bald den Hals. Hören Sie!
Fünfundzwanzig Jahre alt, reichte ich persönlich beim Minister
ein Gefach ein, worin ich um eine Stelle in seinem Cabinet
anhielt. Nachdem er mich flüchtig angesehen, gab er mir den
sehr humanen Bescheid: er könne mich nicht brauchen, denn
ich habe ja nicht einmal gerade Beine. Ercellenz, entgegnete
ich ihm, ich habe gedacht: in Ihrem Cabinet arbeitet man mit
dem Kopfe und nicht mit den Beinen! machte meinen Kratz-
fuß, und verschwand. Unterwegs stellte ich Betrachtungen über
meine elenden Fichtenwurzeln an, und fand aus einmal, daß es
doch besser sei, einen wohlgestalteten Cadaver zu haben. —
Diese Antwort, die ich jenem Minister gegeben hatte, wurde,
ich weiß nicht durch wen, stadtbekannt; man nannte mich
einen verfluchten Kerl, ein Original, und daS war schlimm,

denn Originale liebt man im Staatsdienste nicht. Doch ver-
lor ich deshalb den Kopf nicht; ich hing das Glück, dem Staate
zu dienen, an den Nagel, und machte ein halbes Jahr darauf
daS Advokaten-Eramen. Aber auch in meiner neuen Sphäre
machte ich kein Glück, ich glaube, ich war zu gewissenhaft, und
konnte mich nicht zu Bestechungen verstehen. O ich habe da-
mals wackere Juristen kennen gelernt; ich könnte ihnen über
ihr Wirken Lichter aufsteckcn, daß Ihnen die Augen dabei über-
gingen, müßte ich nicht fürchten, meinen Herren Kollegen da
draußen in ihrer wohlverdienten Freiheit allzusehr die Hüfte
zu rühren. Kurz, meine Ehrlichkeit richtete mich diesmal zu
Grunde, und ich wurde nach und nach der berüchtigten Klaffe
der Winkeladvokaten einverleibt, die oft Gott danken, wenn
fie von ihren Klienten in animalischen oder vegetabllen Stof-
fen honorirt werden.

So geschah eS an einem strengen Wintertage, daß der
berühmte Defensor der Lumpensammler und Fischweiber in
seiner kalten Stube saß — und Betrachtungen über das mensch-
liche Elend anstelltc und dabei eine rohe Rübe verzehrte, als
der Versucher mit einer Goldrolle eintrat, die er leise auf
meinen Tisch legte. Diese Napoleons find die Ihrigen, wenn
Sie mir zum Befitz einer Urkunde verhelfen, von der mein
Glück abhängt — Sie find arm, überlegen Sie. — Ich über-
legte und fand, daß ich arm war — eine Stunde darauf kaufte
ich eine Klafter Holz, die ich mit einem jener Goldstücke be-
zahlte. Daß die Sache ein schiefes Ende nahm, wissen Sie;
ob ich daS Geschehene zu bereuen Ursache habe, lasse ich dahin
gestellt sein, denn ich befinde mich hier ganz leidlich — man
stumpft nach und nach ab, und lacht dumm, wenn man Einen
von Ehrgefühl sprechen hört. So viel eben weiß ich, daß schon
bei meiner Geburt beschlossen wurde: dieser arme Hund da
mag thun was er will, zuletzt kommt er doch in's Zuchthaus,
in diese sogenannte Besserungsanstalt, wohin einer als halber
Taugenichts gebracht, gewiß aber als vollendeter Verbrecher
entlassen wird. Kurz, ich hätte thun können was ich wollte,
ich hätte tausend Mellen von einem Zuchthause wohnen können,
mein Fatum hätte mich beim Genick gefaßt: .Warte Schlingel,
hinein mit dir, du entgehst deiner Bestimmung nicht!'

In dieser Weise machte der an Geist und Körper Kranke
fich Luft, so oft ich bei ihm war. Er schien fich nach einer
solchen geistigen Entleerung wohler als sonst zu fühlen, wes-
wegen ich ihn auch ohne Unterbrechung reden ließ und ihn
aus Mitleid anhörte, je heftiger er seinem Glauben an ein
Fatum, der bei ihm zur firen Idee geworden war, den Zügel
schießen ließ. Als er seine Strafzeit überstanden, und ich ihn
das Letztemal besuchte, sagte er mit einem erzwungenen Lächeln
zu mir: .Sie sehen mich wieder, Herr Pastor, gewiß. Sie
sehen mich bald wieder, aber wo möglich auf einer höheren
Staffel des Verbrechens.'

Ich beachtete diese Worte weiter nicht, sollte aber bald zu
meinem Leidweisen erfahren, daß fie eine tiefere Bedeutung
gehabt hatten, denn kaum nach Verlauf von zehn Monaten,
stand er wieder vor mir, im verwllderlsten Zustande, und sagte
ruhig zu mir: »Sehen Sie, ich habe Wort gehalten.' —
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Mittheilungen aus dem Tagebuche eines Zuchthauspredigers"
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Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
"Der Fälscher"

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Gefangener <Motiv>
Fälscher
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Public Domain Mark 1.0
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Fliegende Blätter, 8.1847, Nr. 174, S. 42

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