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Mittheilungen aus dem Tagebuche eines Zuchthauspredigers.

LS

Er hatte in einem Landstädtchen auf offenem Markte ein
Kind mit dem Kopfe gegen die Mauer geschleudert, daß es
todt zur Erde fiel. Freiwillig hatte er fich den Gerichten
überliefert, und bat auf dem Schaffst zu sterben, welche Strafe
aber aus Rückficht seines gestörten Geistes in lebenslängliche
Gefangenschaft umgewandelt wurde. Ruhig sah ich ihn aus
seiner Dose schnupfen, als er eingeschmiedet wurde. »Ja Freund,
das kann Ihnen auch noch einmal geschehen, Alles Bestim-
mung' — sagte er, seinem Stockmeister zugewendet, mit einem
leichten Achselzucken.

Der Denunziant.

Ich muß offen bekennen, daß ich alle meine Würde in
Anspruch nehmen mußte, um derselben durch die leiseste An-
wandlung eines Lächelns nichts zu vergeben, als eines Mor-
gens , vom Büttel gefolgt, ein sehr sonderbar aussehender,
kleiner Mann in mein Zimmer stürzte, vor mir auf beide Kniee
niederfiel und unaufhörlich rief: „ich bin unschuldig, ich bin aus
Ronneburg bei Altenburg, ich bin unschuldig, denn ich bin Frei-
meier, in meinem Wanderbuche stehtS: ein Tvdtenkopf mit zwei
Knochen — sehen Sie, Herr Pastor, ich bin unschuldig!'

„Wenn du unschuldig bist,' sagte ich, „warum hat man dich
in diese Strafanstalt gebracht?'

„3a, Herr Pastor,' fuhr er aufstehend fort, „ein reines
Versehen der Behörde — o Behörde, gib mir meine Frecheit
wieder! 3ch will Ihnen die Geschichte erzählen, weshalb fie
mich aus Versehen in’8 Zuchthaus stecken wollen. Erstlich bin
ich Freimeicr, und ein Freimeier mit 'nem Tvdtenkopf und
zwei Knochen drunter kann so was gar nicht thun. Sie wis-
sen doch, Herr Pastor, bei einer Rebellion gibt'S viele gefähr-
liche Subjecter, die die Behörde, (dieselbe, die mich aus Versehen
einstecken läßt) ohne mich nicht 'rauskriegen konnte, und da
haben fie mich gemißbraucht, und ich habe die gefährlichsten
Subjecter angegeben — ich sage Ihnen, ich habe damals man-
chen hübschen Groschen Geld verdient.

Nun kommt aber eben meine Unschuld, nun hören Sie:
nun soll ich, weil die Rebellion zu Ende ging, und die gefähr-

lichen Subjecter alle abgefaßt waren, nun soll ich selber
Brandbriefe geschrieben und in die Häuser geworfen haben,
und Listen nachgemacht, worauf neue Rebellionsanschläge stan-
den, und diese Papiere soll ich an die, Behörde übergeben ha-
ben, als ob ich fie wo gefunden hätte. — Da soll ich eines
Tages von einem Polizcidiener am Kragen gefaßt und auf die
Polizei geschleppt worden sein, weil er gesehen haben will,
wie ich eben wieder eine Liste mit Namen und Verschwörungen
hinter eine HauSthüre gelegt hätte. Nun sehen Sie, schänd-
liche Verläumdung, 's muß eine Verwechselung sein in der
Person, denn ich weiß kein Wort von der ganzen Geschichte —
und so unschuldig in's Zuchthaus kommen — o Behörde!

Herr Pastor! Thun Sie mir den einzigen Gefallen, und
setzen Sie waS Schriftliches für mich an die Behörde aus, und
erzählen Sie Alles so wieder, wie ich es Ihnen eben gesagt
habe; geben Sie Achtung, die Behörde steht ihren Irrthum ein,
und läßt mich wieder los. Also vergessen Sie nicht meine ganze
Adresse: Friedrich, Wllhelm, August Wäber, (mit dem weichen b)
aus Ronneburg bei Altenburg, und was die Hauptsache ist:
„Freimeier mit dem Zeichen: ein Tvdtenkopf und zwei Knochen!'

Mit diesem Unstnn, in dem er fich selbst widersprach und
anklagte, wollte mir der arme Teufel begreiflich machen, daß
er unschuldig sei. Durch ernsthafte Vorwürfe, die ich ihm über
sein lügenhaftes Geständniß machte, brachte ich ihn bald dahin,
mir die Wahrheit einzugestehen, die mit dem obrigkeitlichen
Bericht über ihn dahin übereinstimmte: daß er während einer
Revolte in Freiberg mehrere gefährliche Aufrührer denuncirt
habe und dafür entschädigt worden sei. Als die Unruhen un-
terdrückt, habe der Mensch begonnen, Brandbriefe und soge-
nannte Aufruhrzettcl in großer Anzahl einzuliefern, mit dem
Vorgeben, fie an verdächtigen Orten gefunden zu haben. Dies
fiel natürlich auf, man ließ den eifrigen Helfershelfer heimlich
beobachten, und einem Polizisten gelang es auch, ihn festzu-
halten, als er eben einen selbst verfaßten Ausruhrzettel hinter
eine Hausthüre legte, wahrscheinlich, um ihn alsdann wie die
vorhergehenden, wieder zu finden und abzuliefern.

Seine Strafzeit dauerte nur zwei Jahre, während welcher
Zeit er fich musterhaft hielt. Auf ein Zeugniß von mir, über
seine sittliche Führung, nahm ihn bald daraus, als er die
Anstalt verließ, ein menschenfreundlicher Postmeister als reiten-
den Boten in seine Dienste.

Oft sah ich ihn später als wohlbestellten Postboten von
meinem Fenster aus die Landstraße dahertrottiren, und jedes-
mal seinem Rößlein die Sporen geben, wenn er in die Nähe
deS Zuchthauses kam. Auch soll er, abergläubisch wie er war,
nie wieder ein Stück beschriebene- Papier vom Boden aufge-
hoben haben.

(Schluß folgt.)
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Mittheilungen aus dem Tagebuche eines Zuchthauspredigers"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
"Der Denunziant"
Kommentar
Signatur Herbert

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Reiter <Motiv>
Gefangener <Motiv>
Denunziant
Karikatur
Kniefall
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 8.1848, Nr. 174, S. 43

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