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Eine unheimliche Pflanze.

Doch ich will mir nicht vorgreifen.

Es war im August 1885. Leichtfertiger Weise hatte ich
mich von meiner Caravanc getrennt und sie nicht mehr auf-
gefunden. In Folge andauernden Nahrungsmangels war ich
bereits genöthigt gewesen, Mutschi, mein treues Kameel, zn
schlachten und zu verzehren. Nicht nur trug mir dies ein
Magenleiden ein, da ich diese schwere Kost nicht gewöhnt bin,
sondern ich war nun auch gezwungen, den Weg zu Fuß fortzu-
setzen, und Nachts im Traume erschien mir regelmäßig Mutschi
! und blickte mich mit großen, glänzenden Augen an, aus denen
der Vorwurf sprach: „Was Du nicht willst, das Dir geschicht
— das thu' auch einem Andern nicht!"

An Lebensmitteln besaß ich schließlich nur noch ein Fläschchen
Alizarin-Tinte und ein Röllchen Bartwichs, und Beides ging
schon stark aus die Neige. Ich war nachgerade nur noch Haut
und Knochen,, der richtige Skeletmensch und hätte mir als
Schaubudcn-Schenswürdigkcit ein schönes Stück Geld verdienen
können. Leider waren keine gebildeten Europäer da, die für
so etwas Sinn und Verständnis; haben.

Dagegen wurde mir selbst, inmitten dieser verzweifelten
Situation, der unentgeltliche Anblick eines Jahrmarktwunders,
und zwar — eines Löwen. Zähnefletschend und mit rollenden
Augen kam er langsam aus mich zu. Nun weiß zwar jedes
Kind ans dem Bilderbuch, daß der Löwe äußerst edel ist, wenn
er nicht gereizt wird. Sehr schön — aber leider ist die Reiz-
barkeit des Löwen eine nur allzugroße. Ich kann Ihnen, ver-
ehrte Leser, mein heiliges Ehrenwort geben, daß ich dem Löwen
nicht das Geringste zn Leide that; ich schickte mich lediglich an,
mich so rasch wie möglich ohne Aufsehen zu entfernen. Allein
der Löwe nahm dies offenbar als ein Mißtrauensvotum auf;
das genügte ihm, sich als beleidigt zu betrachten. Allen Billig-
denkenden sei die Entscheidung anheimgegeben, ob da die Provo-
cation wirklich auf meiner Seite war.

Indessen — der Löwe war nun einmal gereizt, brüllte,
peitschte die Erde mit seinem Schweife und machte sich sprung-
fertig. Nun fühlte auch ich mich vollends jeder Rücksicht ent-
hoben, und ohne mich weiter daran zu kehren, ob dies seine
Gereiztheit steigere oder nicht, suchte ich ventre-ä-terre das
Weite....

Allein springen Sie, wenn's beliebt, mit einem Löwen
um die Wette — noch dazu in meinem damaligen Zustande:
mit Hühneraugen an den Füßen und schlotterndem Magen im
Leibe. Wir waren noch gar nicht lange gesprungen, da glaubte
ich, im Genick bereits . den glühenden Athen: des Ungethüms
zu spüren. Plötzlich sah ich unmittelbar vor mir eine in un-
geheuren Dimensionen entfaltete und in den herrlichsten Farben
prangende Blume, die mir gewissermaßen als letzter Gruß des
Daseins entgegenleuchtete. Im nächsten Augenblicke fühlte ich
mich mächtig umfangen und umdunkelt und durch einen Ruck
emporgehoben....

Was war geschehen? — Eine fleischfressende Pflanze, und
zwar eine von den prächtigen Riesen-Earnivoren Afrikas, hatte
mich dem Löwen vor der Nase weggeschnappt.

Die gebildeten Leser wissen es theils — thcils finden sie

es in jedem Konversationslexikon, daß cs solche fleischfressende
Pflanzen gibt, von denen allerdings die bekannteren, bescheidenen
Arten sich mit Insekten begnügen, die von diesen Pflanzen durch
Ausscheidung eines cigenthümlichen Sekrets aus sogenannten
Digestionsdrüsen thatsächlich verzehrt werden. Das war auch
mir längst bekannt, aber eine so riesige Gemeinheit von einer
fleischfressenden Pflanze, sich sogar an einem Menschen zn ver-
greifen, war mir in meiner Praxis bisher nicht vorgekommen,
und ich würde die Geschichte, wenn ich sic llicht persönlich er-
lebt, sondern irgendwo gelesen hätte, jedenfalls mit ungläubigem
Lächeln ausgenommen haben.

Wer niemals in einer solchen Lage war, der lvird sich nur
schwer einen Begriff davon machen können. Nur durch spär-
liche Spalten meiner Umklammerung drang ein wenig Licht
und Luft herein, lind so saß ich denn da „gekeilt in drangvoll
fürchterliche Enge" und Hielt Rückschau über inein buntbewegtes
Abenteuerleben, dem allen Anschein nach im Magen der Riesen-
pflanze ein erbärmliches Ende beschiedcn war....

Ich faßte den Entschluß, mein Dasein in einem Schwanen-
gesaug harmonisch ausklingen zu lassen, und cs gereichte mir
511 bitter-süßer Gcuugthuung, in diesem vermeintlich letzten

Erzeugnisse meiner dichterischen Bemühungen meinem Jugend-
ideale, der einst so schönen Marianka, die mich schnöde verrathen
und einen dicken Fleischer geheirathet hat, einen sarkastischen
Hieb beibriugen zu können. Hier das Gedicht:

Fahr' hin, du Welt voll- Trug itnb Wahn,

Du Horst von Räuberhorden —

Jetzt fangen auch schon Pflanzen an
Zu rauben und zu morden.

's ist nicht mehr schön, denn weit und breit
Vermißt man die Gemüthlichkeii.

Ein Mädchen, das geschaffen schien,

Daß es mein Herz erfreue,

Das brach vor Zeiten in Jiiin
Das Herz mir und die Treue.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Eine unheimliche Pflanze"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 86.1887, Nr. 2180, S. 158
 
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