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102

Das Z a

Märchen von

P'in fahrender Sänger, Namens Heinrich, ein junges,
p frisches Blut, zog lustig durch den grünen Wald. Als
er aber auf die Wiese heraustrat, hörte er einen Vogel-
fang von so süßer, herzergreifender Schwermuth, daß ihm das
Wasser in die Augen trat. Er ging den Tönen nach und fand
endlich einen Vogel im Netze gefangen, welchen er sogleich
befreite. Der Vogel, der nun auf einmal wieder fröhlich ge-
worden war, flog auf den nächsten Ast und rief herunter: „Hab'
Dank, lieber Jüngling, viel tausendmal Dank!"

„Es wäre Sünd' und Schad' gewesen", erwiderte Heinrich,
„wenn ein solche gottbegnadeter Sänger unter den Händen des
Vogelstellers hätte verbluten müssen!"

Gottbegnadeter Sänger — das war zu jener Zeit noch ein
ziemlich neues Compliment. Der Vogel, welcher es jetzt zum
ersten Mal hörte, fühlte sich sehr geschmeichelt. „Nicht wahr",
sagte er, „mein Liedchen ist nicht von Stroh? Wenn man
bedenkt, daß ich ohne Noten singe und ohne Stimnrgabel!
Mein Weibchen sagt das auch. Dich, lieber Jüngling, will ich
dieses Liedchen lehren zum Dank für meine Rettung. Die
Melodie ist ganz einfach und der Text noch einfacher; der heißt
nur immer wieder: „Ich habe dich lieb'! Ich habe dich lieb!""
Der Vogel sang nun das Lied einige Male vor und Heinrich
sang es nach. „So", sagte der Elftere dann, „nun geht's ja

lb erlied.

Theobald Groll.

schon. Nur im Ausdruck fehlt's noch ein wenig, aber das kann
Einem der klügste Schulmeister nicht beibringen, das kommt später
von selbst. Ich muß nun fort zu meinem Weibchen. Lebe wohl,
lieber Jüngling! Ich habe Dich lieb! Ich habe Dich lieb'!"
Damit flog der Vogel davon.

Dem guten Heinrich ging's wie es Jedem geht mit einer
neuen, schönen Melodie. Er brachte sie tagelang nicht aus dem
Kops. Immer summte er sie vor sich hin und spielte die Be-
gleitung aus der Laute. So kam er auf seiner Wanderschaft
am Schloß eines reichen und mächtigen Grafen vorüber und
die weichen Klange des Liedes drangen hinauf bis zu des
Grasen Töchterlein. Dieses eilte zu dem Herrn Vater in den
Rittersaal, wo er mit einer Anzahl von Gästen saß bei einer
Kanne Wein, und veranlaßte denselben, nach dem Sänger zu
schicken. Die Gäste des Grasen waren, außer seinem alten
Intimus, welcher neben ihm saß, zwölf Ritter und zwölf Damen,
alle blühend in Jugend und Schönheit. Dennoch konnte man
sich keine ödere, trostlosere Gesellschaft denken, als diese jungen
Leute. Die Ritter, rohe, hölzerne Gesellen, würdigten die Damen
keines Blickes und redeten von nichts als vom D'reinschlagen
mit dem Schwerte, wobei sie trotzig ihre wilden Schnurbärte
drehten. Die Damen dagegen waren über alle Maßen schnippisch
und spöttisch. Sie musterten einander voller Neid, welche von
ihnen den breitesten Spitzenkragen habe und den dicksten Zopf,
oder machten sich über die Ritter lustig.

Auch das Schloß und seine Umgebung sahen kahl und un-
wirthlich aus. Im Walde, wo Heinrich den Vogel befreit

hatte, war es schon Frühling gewesen, hier aber herrschte noch
der grimmige Winter. Ueberall lag Schnee, und die Bäume
standen da wie Besen.

Als Heinrich kam und von der Grafentochter mit holdem
Lächeln um das Lied von vorhin gebeten wurde, da war plötz-
lich sein Herz von einem ihin bisher unbekannten Gefühl
ergriffen, und jetzt zum ersten Mal sang er ganz mit der leiden-
schaftlichen Sehnsucht, welche er bisher seinem kleinen Lehrmeister
vergebens nachzuahmen gesucht hatte: „Ich habe dich lieb'! Ich
habe dich lieb'!"

Während des Gesanges ging mit den Rittern und Damen
eine Verwandlung vor. Die Elfteren drehten zwar noch immer
an ihren Schnurbärten, aber sie warfen dabei feurige und doch
sanfte Blicke zu den Damen hinüber, und diese ließen nicht
mehr die spitzigen Zünglein spazieren gehen, sondern schlugen
die schönen Augen stumm und scheu zu Boden.

Der alte Graf, welcher seit langen Jahren Wittwer war,
wiegte in tiefen Gedanken seinen großen rothen Kopf hin und
her und sagte zu seinem Busenfreund, einem alten, lendenlahmen
Junggesellen: „Es kommt mir vor, Bruderherz, als hätt' ich
dieses Lied schon früher einmal gehört und sogar selbst gesungen,
nur könnt' ich um die Welt nicht sagen, wann und wo." —
„Ganz das Gleiche ist bei mir der Fall, Bruderherz, ganz das
Gleiche!" antwortete der Junggeselle. — „O!" rief jetzt der
Graf, während er mit seinem Becher gegen den des Andern
stieß, „es ist etwas Herrliches um die Musik — der Wein
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das Zauberlied"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 91.1889, Nr. 2304, S. 102

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