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o

Ein Königreich

Zuerst kam die Reihe an den alten. Er wurde in den großen
Saal des Palastes geführt, wo schon der Kalif und seine Tochter,
sowie der ganze Divan, also alle Räthe und Kämmerlinge ver-
sammelt waren. Der oberste der Räthe betrachtete eine Weile
stumm den greisen Bewerber, welcher im ganzen Morgenlande als
der „weise Selim" bekannt war, dann erhob er sich und verlas in
gravitätischer Haltung, doch nicht ohne ein schadenfrohes Zucken der
Mundwinkel, die Bedingung des Kalifen:

Schon zu verschiedenen Malen seien Kalifentöchter von jenem
Bewerber errungen worden, welcher die tiefsinnigsten Sprüche zu
sagen, oder die spitzfindigsten Räthsel zu lösen wußte, denn Verstand
und Klugheit stehen in hoher Geltung auf Erden. Allah aber liebe
nicht nur die Klugen, sondern auch die Einfältigen und diesem
erhabenen Beispiele wolle der Kalif nachahmen und auch einmal
der Einfalt seine Gnade znwenden, indem er demjenigen Bewerber
seine Tochter zum Weibe gebe, welcher vor dieser Versammlung
hier einen recht thörichten Ausspruch thue, einen Ausspruch, den
der ganze Divan als offenbaren Unsinn und unübertreffliche
Dummheit bezeichnen müsse.

Auf diese Bedingung hin trat der „weise Selim", roth vor
Unwillen, von seiner Bewerbung zurück.

Nun kam die Reihe an die Jüngeren und die nahmen es mit
der verlangten Dummheit nicht so schwer. Der erste derselben
sagte, um des Kalifen Bedingung zu erfüllen, es sei sein sehnlichster
Herzenswunsch, sein ganzes Leben in der ödesten Sandwiiste zuzu-
bringen. Die Räthe und Kämmerlinge aber, welche sehr wohl
wußten, daß sie keinem der Aussprüche den Preis der Dummheit
zuerkennen durften, erwiderten, in der Wüste haben schon bessere
Männer, als der Bewerber gelebt, heilige Derwische und fromme
Einsiedler, sogar der Prophet selbst habe einstens dort verweilt
und mit Gabriel und anderen Engeln verkehrt.

Der zweite der jungen Bewerber that den Ausspruch, er halte
die Sonne für einen Kürbiß und die Kraniche für Säugethiere.

Das sei nicht so sehr einfältig, sprachen hierauf die Räthe.

für eine Dummheit.

Thiere wenigstens seien die Kraniche und die Gestalt und Farbe
des Kürbisses habe die Sonne. Viel dümmer wäre es gewesen,
wenn der Bewerber die Sonne für ein Thier und die Kraniche für !
Kürbisse gehalten hätte. —

Der Kalif hatte die Sache seither mit stillem Lachen verfolgt
j und freute sich schon im Voraus auf den letzten, den jüngsten der
Bewerber, welcher jetzt hereingeführt wurde. Derselbe stammte der
Kleidung nach aus dem niedersten Volk, aber er war ein frischer,
fröhlicher Gesell, dessen Schönheit von allen Anwesenden schweigend
bewundert wurde und dessen Anblick die Wangen der Prinzessin
Zuleima lieblich crröthen ließ.

Der oberste der Räthe las die Bedingung vor. Darauf wandte
der Bursche die klugen, schwarzen Augen dem Kalifen zu und
i schaute denselben kühnlich an.

„Eine rechte Dummheit also?“ fragte er.

Hani nickte spöttisch und sagte: „Du darfst Dich nicht lang
besinnen!"

„O, da brauche ich mich nicht zu besinnen!" erwiderte der j
kecke Geselle. „Was ich zu sagen habe, ist weiter nichts als das:
Schon seit meinen Knabenjahren bin ich Kameeltreiber, aber ein
größeres Kamee! ist mir niemals zu Gesicht gekommen,
als — der Kalif Hani!"

Nach diesen Worten herrschte einen Augenblick Todtenstille.
Der ganze Divan starrte wie versteinert den Sprecher an, der
Kalif langte wüthend nach seinem krummen Säbel und die Prin-
zessin erbleichte. Aber nur für einen Augenblick, dann rief sie
freudig aus: „Versteh' ihn doch recht, lieber Vater! Er sollte ja
eine Dummheit sagen, und das ist ohne Zweifel die allergrößte
und eben darum auch zugleich die allergrößte Schmeichelei!" —

Die Räthe und Kämmerlinge schwankten ein Weilchen in
bitterster Verlegenheit, zuletzt aber mußten sic der Prinzessin Recht !
geben, und ärgerlich lachend erklärte der Kalif darauf, er hätte nie
gedacht, daß er von seinem Eidam am Verlobungstage derartige
Schmeicheleien hören müßte. Tdeobaw «r°ß.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Geistesgegenwart, oder : Der getäuschte Löwe"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Hengeler, Adolf
Entstehungsdatum
um 1892
Entstehungsdatum (normiert)
1887 - 1897
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Löwe <Motiv>
Wüste <Motiv>
Jäger <Motiv>
Karikatur
Jagdkleidung
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 96.1892, Nr. 2423, S. 2
 
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