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Ein unterdrückter Lyriker.

Was er dabei an Herzens-Glück und -Weh empfunden, das lag, in j
zahllose Gedichte gebracht, in sechs gebundenen Poesie-Büchern vor |
ihm. Nun sollte auch die Welt erfahren, daß er ein Dichter sei!
Er hatte bereits den Verleger sich herausgesucht, dem er die zarten
Blüthen seiner tiefsten Empfindungen anvertrauen und durch seinen
Band lyrischer Gedichte Reichthum und Ehre verschaffen wollte, und
freute sich schon im Stillen des Aufsehens, das die Herausgabe seiner
Poesieen erregen werde. Er genoß in seiner glücklichen Phantasie
all' den Ruhm und all' die Anerkennung voraus, die ihm zu Theil
werden wird, ja er sah seinen Namen neben den Namen der ersten
Lyriker Deutschlands in den künftigen Literaturgeschichten durch-
schossen gedruckt und freute sich, daß, wenn dereinst die höheren
Töchter und Gymnasiasten der Zukunft auch den Namen „Tobias
Müller" ihrem Gedächtnisse werden einprägen müssen, sein Name
sich so leicht merken lasse.

In diesem glücklichen Vorgenuß künftiger Größe saß Tobias
Müller in seiner neuen Behausung an einem Hellen Frühlingsmorgen
bei seiner Tasse Kaffee, und las das neueste Abendblatt; da fiel
ihm eine fettgedruckte Anzeige in die Augen, welche also lautete:
„Ernstgemeintes Heirathsgesuch! Eine junge, unabhängige Dame,
anfangs der Zwanziger, mit einem disponiblem Vermögen von
250000 Mark, sucht auf diesem Wege einen passenden Gefährten zum
gemeinsamen Erdenwallen. Außer einem tadellosen Rufe wird nur
die Bedingung gestellt, daß der Betreffende eine durchaus poetische
Natur ist und hierüber sich genügend ausweisen kann. Ernste Gesuche
sind unter „Poesie" bei der Expedition zu hinterlegen."

Wunderbarlich fühlte sich Tobias von diesen Worten ergriffen;
es war, als ob ein guter Geist ihm zurief: „Greif' zu, Tobias, greif'
zu; Du bist ein Sonntagskind, und wenn es Jemanden gelingt, durch
ieine Poesie Liebe, Glück und Reichthum zu gewinnen, so bist Du es!"

! schnell »ahm er also Papier und Tinte zur Hand und begab sich
ans Werk. In glühenden Farben schilderte er der Unbekannten
sein liebebedürftiges, poesiedurchhauchtes Ich, legte die sechs Bücher
seiner dichterischen Erzeugnisse nebst einem, an die unbekannte Geliebte
gerichteten Widmungsgedichte dazu und sandte alles durch einen Eil-
| Boten an die nicht sehr weit entfernte Expedition,
j Acht Tage vergingen darauf, ohne daß er eine Antwort erhalten
hätte — acht lange Tage, die dem begeisterten Poeten und Heiraths-
andidaten in seiner unnennbaren Liebessehnsucht wie acht Monde
«schienen. Da am neunten Tage, als er eben das bräunliche
^achmittagswasser zu sich nahm, brachte ihm der Postbote ein rosa
^üeflem von Damenhand. Wenig fehlte, so wäre er dem erstaunten
smiger Merkurs um den Hals gefallen, vor Rührung und vor
. ude, doch er bezwang sich noch und drückte ihm nur ein voll-
wichtiges Markstück in die bries'jpendende Rechte, worüber der biedere
so erschrocken war, daß er ganz ein „Danke" vergaß und ob
^ ■ Freigebigkeit kopfschüttelnd das Zimmer verließ. Tobias
^ cr war selig! Neunundneunzigmal küßte er erst das Couvert und
™ te ^ llrgen die Stelle seines Rockes, unter der er sein Herz
rrmuthete, dann öffnete er es behutsam und durchflog den Brief,

° e' ihn denn nicht weiter stören wollen.
jlt.', / 0 Himmel, was war ihm denn auf einmal nur geschehen? s
j lrich ward sein Gesicht und mit kaltem Angstschweiß auf der
! j„ l'1 ,an^er rückwärts in seinen Sorgenstnhl. Hatte ihn die Freude
zitte CfUCm_nt:' oder was war ihm passirt? — Da der Brief seinen
^ Händen entfallen war, so wollen wir ihn aufheben und so
"A sein, uns mit seinem Inhalte bekannt zu machen.

!Ä6t^C^e^ei' !" so begann er, „verzeihe mir, mein Biel-

rr, daß icf), von meinem Herzen getrieben, schon jetzt das ver-

trauliche Du für mich in Anspruch nehme! Doch ich kann nicht
anders, mein Herz hat gewählt; Du allein von der Menge der
Beloerber um nieine Gunst hast es verstanden, inich zu fesseln, zu
Dir zieht mich wahre Liebe und Verehrung! Vergib mir darum,
Geliebter, daß ich in einer Hinsicht nicht ganz offen gewesen bin.
Denn wisse, Tobias, nichts ist mir verhaßter als ein poetisch schwär-
mender Mensch, und nimmer würde ich einen Dichter zum Gatten
erwählen. Und weil ich nun nicht wußte, wie ich einen Gatten
bekommen sollte, der keinerlei poetische Ader hat, verfiel ich auf die
Dir bekannte Anzeige. Aus dem, was Du niir übersandtest, habe
ich nun ersehen, daß Du nicht die geringste Anlage zum Dichten
hast, und darum komm' an mein Herz, o Tobias! Deine sechs
Poesie-Bücher habe ich auf dem Altäre unserer Liebe geopfert, und
erwarte ich Dich morgen in meiner Wohnung. Deine Dich liebende
und sich nach Dir sehnende Theodolinde Ehrentraut."

Wie, haben wir recht gelesen! Tobias Müller kein Dichter?
Die Frucht seiner vieljährigen, mühsamen Arbeit vernichtet und für
immer verloren? Das war zu viel; das war nicht zu ertragen!
Wie ein zum Tode Verurtheilter saß er da und wußte nicht, was
er beginnen sollte. Endlich griff er mit einem tiefen Seufzer nach
der alten Trösterin aller seiner Leiden, nach der Cigarre und qualmte
wie ein Ausbruch drohender Vulkan. Ruhm und Ehre als Lyriker
waren dahin — das fühlte er nur zu deutlich; nur das Gold winkte
ihm und dazu allerdings ein junges, liebenswürdiges Weib. Ob
das nicht doch noch ein ganz annehmbarer Tausch war? —

Als er die zweite Cigarre an der ersten anzündete, war er schon
halbwegs entschlossen, und nachdem diese verpafft war und ihm nun
voller Schrecken einfiel, daß er dein Stephansjünger seine letzte Mark
gespendet hatte, da war er entschlossen, Theodolinden aufzusuchen. —
Und siehe da, nach sechs Wochen war Tobias ein glücklicher i
Ehemann; die Flitterwochen vergingen, ohne daß er auch nur
ein einziges Mal daran gedacht hätte, sein altes Lieblingsroß zu
besteigen. Später machte er allerdings einmal einen schwachen
Versuch, doch Theodolinde merkte es noch rechtzeitig und die Folge
war, daß sich binnen 24 Stunden Mama Ehrentraut bei unseren,

jungen Pärchen einfand. Welches Mittel sie anwendete, wer kann
es errathen? Wir wissen nur so viel zu berichten: Tobias dichtete
nimmer wieder!

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein unterdrückter Lyriker"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Zopf, Carl
Entstehungsdatum
um 1892
Entstehungsdatum (normiert)
1887 - 1897
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 96.1892, Nr. 2445, S. 199
 
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