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Fechter, Werner
Das Publikum der mittelhochdeutschen Dichtung — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.53422#0017
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ſchiedenheiten innerhalb der Stände, ſo iſt doch der Aufbau im ganzen klar
und einfach. Das erleichtert unſere Aufgabe. Eine Publikumsgeſchichte der
Gegenwart hätte entſprechend der ausgeprägten Individualität faſt jeden Leſers
und der Aufſpaltung jedes Einzelmenſchen auf mehrere Gemeinſchaftskreiſe
ſo viele unterſchiedliche Verhaltungsweiſen zur Literatur aufzuzeigen, daß ſie
nur ſchwer die großen Züge herauszuſtellen vermöchte. Im Mittelalter aber,
bei der feſten Einordnung des Einzelnen in die Lebens-, Denk- und Kultur—
gemeinſchaft des Standes, tritt der individuelle Geſchmack, der durchaus nicht
fehlt, hinter die Anſchauungen des Standes faſt völlig zurück.

Dazu kommt nun die Eigenartder Quellen.

Im Mittelalter iſt die Geſchichte der Literatur noch zu erheblichem Teil die
Geſchichte der Wohltätigkeit vermögender Gönner und Auftraggeber. So drän⸗
gen ſich zwiſchen die zierlichen Verſe der Sänger, die von Mai und Minne
wiſſen, deren lockende Rhythmen zum Tanze laden, deren ſehnſüchtige Weiſen
die ſüße Herrin grüßen, immer andere voll demütigen oder ſelbſtbewußten
Bittens um Huld und milte, voll heißen, auch des Gönners Tod über—
dauernden Dankes. Ind hebt der Epiker ſein großes Werk an oder führt
er es dem Ende enigegen, ſo gedenkt er in kurzen, bisweilen auch überſchwäng⸗
lichen Worten deſſen, der ihm Quelle und Auftrag gab und ihm zu dichten
und zu leben ermöglichte?.

@a erlaubt unms Dden erſten Eiablick? Wer waren
dieſe Gönner und Auftraggeber? Welchen Kreiſen gehörten
die an, bei denen die Dichter ihr erſtes Publikum fanden?

Fürſten waren es und Adelige, hohe Damen und Herren,
deren geiſtige Anregung und deren offene Hand kaum weniger das Weſen
der mhd. Poeſie beſtimmten als die Dichter ſelbſt. Beſonders der Hochadel
nahm ſich der Poeten an. Oft zählten gerade die Geſtalten, die auch im poli—
tiſchen Leben eine führende Rolle ſpielten, zu ihren vornehmlichen Gönnern.
Hier ſcharte ſich um die Perſönlichkeit eines fürſtlichen Mäzens ein Muſenhof,
dort war ein Geſchlecht gar Generationen hindurch wegen ſeiner Freigebigkeit
bekannt.

So verdanken wir den Welfen den König Rother, der um 1160 in den
greiſen des bairiſchen Hochadels um Welf VI. — von deſſen ſprüchwörtlicher
milte noch Walther von der Vogelweides und der Tanhuſer- wiſſen — ent—
ſtands. Sie gaben die Anregung zum Rolandslied, mögen nun die bekannten
und umſtrittenen Verſe auf Heinrich den Stolzen und Gertrud oder auf
Heinrich den Löwen und Mathilde, die Tochter der vielbeſungenen Eleonore
von Poitou und des engliſchen Königs Heinrich II. gehens. In Heinrichs
des Cöwen Auftrag ſtellten die Braunſchweiger Hofkapläne das deutſche Lehr—

vgl. J. Schwietering, Die Demutsformel mhd. Dichter; Abh. d. Geſ. d.
Wiſſ. Göttingen, phil-hiſt. Klaſſe, NF Bd. XVII, Rr. 3 (1921).

3 Cachmann 35, 4.

HMS II 89 b; Neuausgabe des Tanhuſer von S. Singer (1922).

5 Fr. Panzer, Ital. Normannen in dt. Heldenſage (Dt. Forſchungen 1), S. 55 ff.

S pgl. darüber zuletzt M. Lintzel, Zfdph 51, 13—33, dagegen Edw. Schröder,
Zfd A 65, 289 - 96, darauf wieder M. Lintzel, Zfdph 54, 168 — 24.

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