Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

DOI Artikel:
Hildebrandt, Hans: Moderne Kunst in Stuttgarter Privatbesitz
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0590
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mittel, der erste, der es wagte, volle Bildwirkungen einzig mit Form und
Gehalt unter Ausschaltung aller stofflichen Bestandteile zu erzeugen, hat
Freunde gewonnen. Neben den Werken der Russen tauchen, wenn auch
vereinzelter, Gemälde der Franzosen auf. Kultur der Auffassungsweise wie
der Technik, herfließend aus jahrhundertealter, niemals unterbrochener Über*
lieferung, und jene »clarte«, die aller dunkelen Phantastik abhold ist, zeichnen
sie auch dort aus, wo mit jeder herkömmlichen Wiedergabe des Stofflichen vöh
lig gebrochen wird. Werke wie die sich kämmende Frau Metzingers, der neben
Picasso und Braque zu den Begründern des Kubismus zählt, oder wie dasHafem
bild von Gleizes bestricken durch die Verschmelzung von mathematischer
Logikund nur verfeinertster Empfindung erreichbarer sinnlicher Reizwirkung.
Villons abstrakükubistische Phantasien muten neben den Gestaltungen dieser
beiden etwas süß an, aber auch ihre zarten und leisen Harmonien bestechen.
Von dem Spanier Picasso, der den Franzosen beizuzählen ist, da er stets in Paris
lebt und seine malerische Kultur der dortigen Tradition verdankt, ist nur ein
einziges, sehr frühes Werk zu nennen: Kinder und Wärterinnen in einem
öffentlichen Park, mit Pastell gemalt, unfertig und dennoch ganz vollendet, so
leicht und sicher über die Fläche hinphantasiert, als wäre es nur gehaucht.
Dieselbe Sammlung birgt auch Werke deutscher Künstler des Expressionist
mus. An Marcs »Blauem Reiter« läßt sich verfolgen, zu welch blühender
Schönheit des rhythmischen Gefüges und der farbigen Harmonien, zu welch
innerer Reife diese Kunstbewegung auf unserem Boden sich durchringen
konnte. Ihm gesellen sich zwei Bilder Campendoncks, der sich an Marcs ver*
wandtem Schaffen emporgebildet hat, Gestaltungen aus einer Traumwelt,
die sich in leuchtenden Farben löst. Noldes Gartenbild, in dem die ganze
Üppigkeit und Wärme des Sommers eingefangen scheint, lodert in bunten
Farben der Blütenbüsche und der Gewänder auf, aber das satte Grün des
Rasens und der Bäume, das tiefe Braun der Wege löschen die Glut. Zu
den Anfängen der neuen Kunst führen zwei Gemälde Paula Modersohns
zurück mit ihrem herben Willen, die Natur dem Ausdruck inneren Erlebens
unterzuordnen.
Skulpturen, die dem Kreise der jüngsten Bewegung entstammen, sind in
Stuttgart kaum vertreten. Das mag wohl daher rühren, daß die außerordenT
liehe Erhöhung der Transportkosten Wanderausstellungen von Plastiken
nahezu unmöglich gemacht hat. Doch hinterließ die vor einigen Monaten
im Kunstsalon Schaller veranstaltete Gedächtnisausstellung Wilhelm Lehm*
brucks tiefen und nachhaltigen Eindruck, und eine jener von wundersamer
Melancholie beseelten Frauengestalten blieb Stuttgart erhalten.
Das Museum bleibt die Antwort auf die Frage nach den in der schwäbischen
Residenz wirkenden Künstlern der jungen Generation nahezu ganz schuh
dig. Umso erfreulicher ist es, daß man in Privatkreisen die einheimischen

557
 
Annotationen