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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Hildebrandt, Hans: Moderne Kunst in Stuttgarter Privatbesitz
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0589

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fühlsverhältnis bildet den Ausgangspunkt der Sammlertätigkeit, der das
verstandesmäßig Überlegende fehlt, und die vom Impulse geleitet wird.
Das Kunstwerk wird erworben, weil man es zum Hausgenossen machen,
weil man mit ihm vertraut werden, mit ihm zusammen leben will. So ist zu
erklären, daß man in den Privathäusern der schwäbischen Residenz oft
Gemälde von Künstlern antrifft, die in keinerlei Beziehung zueinander
stehen; aber auch, daß man nicht wenige Werke zu sehen bekommt, die
hochwertig und sehr bezeichnend für die Persönlichkeit ihrer Urheber oder
für bestimmte Eigentümlichkeiten sind.
Nur von dem Bestand an jenen Kunstwerken soll hier gesprochen werden,
die eine Antwort auf die heute gestellten Fragen geben, oder die aus der
Vergangenheit auf diese hinweisen. Vereinzelt nur finden sich zunächst Ar*
beiten von Künstlern, deren Schaffen eine nahe Beziehung zur modernen
Gestaltungsweise enthält. Neben Zeichnungen Hodlers, die großzügig wie
immer, den Weg bezeichnen zu der monumentalen Auffassung, die heute
von vielen mit Ernst und von manchem mit Glück erstrebt wird, neben
kleinen Landschaften Constables findet sich in Stuttgart eine Landschaft
Corots, auf die manches Museum neidisch sein dürfte. Eine helle, warme
Mondnacht. Am Himmel, der von zartesten Wolken halb übersponnen wird,
verglimmt über dem Horizont der letzte Abglanz der Sonne. Nahe, dicht*
belaubte Bäume, schlanke Stämmchen mit zitternden Blättern, Hügel, Fluß
und weite Ebene, das alles steht nur wie gehaucht in einer Traumlandschaft
voll wundersamen Friedens.
Unter den heute wirkenden starken Eigenpersönlichkeiten ist Paul Klee am
häufigsten vertreten. Das ist gewiß kein Zufall. Welche Beglückung von den
ganz Farbe und Form gewordenen, tiefstinnerlichen Erlebnissen dieses
Künstlers ausströmen kann, weiß nur, wer selbst eines seiner Werke besitzt
und in täglicher Vertrautheit immer inniger mit ihm verwachsen kann. Jedes
dieser Aquarelle und jede Zeichnung ist eine Welt für sich und ist ganz
Musik, der zu lauschen Auge und Seele niemals müde werden. Nächst Klee
ist der Russe Marc Chagall der Künstler, dessen Schöpfungen die meisten
Verehrer gefunden haben. Auch er ein Gestalter von eigenwilligster Prägung,
eine geniale Natur, in der sich naive Urkraft des unverbrauchten russischen
Volkes und raffinierteste Kultur des Westens, mystische Dämonie und gro*
teske Satire, strengste und dabei reizereichste Architektonik des formalen
Gefüges und chaotische Auflösung des Gegenständlichen mischen. Einem
seiner großen Ölgemälde, dem »Mann mit der Flasche«, gesellen sich in
Stuttgarter Privatbesitz mehrere jener Aquarelle, deren Farbenzauber und
Traumwirklichkeit auf den empfänglichen Menschen von heute einen Bann
ausüben, dem er sich kaum zu entziehen vermag. Auch Kandinsky, der reine
und starke Vorkämpfer für restlose Vergeistigung der malerischen Ausdrucks*

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