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V. OHRSCHMUCK
Der Ohrschmuck bildet eine der größten Fundgruppen unter den Bronzen aus dem Artemision. Bereits die
britischen Grabungen brachten eine sehr große Zahl von Ohrringen aus Bronze, Gold und Silber zutage,
deren Formenrepertoire gut mit den Funden der österreichischen Grabungen zu vergleichen ist. Die Ohrringe
aus Gold sind dabei meist feiner und reicher gestaltete Ausführungen der schlichteren Bronzebeispiele.
Die Mehrheit der Ohrringe gehört Typen an, die einen mehr oder weniger stark geschwollenen, halb-
mondförmigen* * 568 Zierteil und einen nach hinten offenem Stecker haben (Kat. 447-606). Die unterschiedlichen
Ausführungen dieser Grundform werden hier als Typen 1.1-1.5 beschrieben. Eine Reihe offener Ringe ist am
besten ebenfalls als Ohrschmuck zu erklären (Kat. 607-612), wobei eine Unterscheidung zwischen Ohrringen
und Ringen anderer Funktion nicht immer mit Sicherheit getroffen werden kann. Eine für den ostgriechischen
Raum charakteristische Schmuckform sind Spiralohrringe, die im Artemision in verschiedenen Ausführungen
auftreten (Kat. 613-638). Ohrringe kamen in beinahe allen ergrabenen Bereichen des frühen Artemisions
zutage, häufiger jedoch im westlichen Teil des Heiligtums um den Hekatompedos und besonders konzentriert
in den fundreichen Schichten östlich der Kultbasis D (Abb. 1. 2); nur vereinzelte Funde sind mit den Benüt-
zungsphasen des Peripteros zu verbinden. Es kann also der vorläufige Schluss gezogen werden, dass Ohr-
ringe vor allem in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts und im beginnenden 6. Jahrhundert v. Chr. als
Votivgaben von Bedeutung waren. Eine stilistische Einordnung der einzelnen Formen wird häufig dadurch
erschwert, dass von den Fundplätzen Ostgriechenlands Ohrschmuck und insbesondere jener aus Bronze nicht
in ausreichender Weise publiziert ist. In den Heiligtümern des griechischen Festlandes kommen Ohrringe
generell eher selten vor569.
V.l Halbmondförmige Ohrringe (Kat. 447-606)
V. 1.1 Einfache Ohrringe mit halbmondförmigem Zierteil ohne abgesetzten Stecker
(Kat. 447-559, Taf. 37-39. 108)
Diese Ohrringe haben einen halbmondförmigen, mehr oder weniger geschwollenen vorderen Zierteil, der sich ohne Absatz nach
hinten zu einem langen, dünnen Stecker verjüngt, welcher durch das durchlochte Ohrläppchen geführt wurde. Der Zierteil hat
meist einen runden Querschnitt, kann aber auch an der Innenseite winkelig zulaufend oder abgeflacht sein. Das vordere Ende
schließt geradflächig ab oder läuft spitz zu. Das hintere, dünne Ende ist rund nach unten gebogen. Ohrringe dieser einfachen Form
kommen in verschiedener Größe und gelegentlich in sehr kleinem Format vor (z. B. Kat. 477. 521. 543).
Die einfachste Variante stellen die Ohrringe Kat. 447-515 dar, deren unverzierter Vorderteil rundstabig bzw. an der Innenseite nur
wenig abgeflacht und kaum geschwollen ist. Die Ohrringe Kat. 516-543 unterscheiden sich nur durch den stärker geschwollenen
Zierteil, der einen D-förmigen oder an der Innenseite winkelig zulaufenden Querschnitt aufweist. Mit 368 ganz und 1 044 frag-
mentarisch erhaltenen Exemplaren sind diese beiden Varianten unter den halbmondförmigen Ohrringen am häufigsten belegt.
Die schlichte Form kann auch dekorativ ausgestaltet sein. Bei den Ohrringen Kat. 544-553 ist der vordere Teil mit Bündeln um-
laufender Ritzlinien verziert. Der Ohrring Kat. 549 ist an der Innenseite mehrfach eingekerbt. Insgesamt wurden zehn ganz und
sechs fragmentarisch erhaltene Beispiele dieser Variante gefunden. Die Ohrringe Kat. 554-559 tragen an mehreren Stellen um-
laufende, glatte oder geperlte Bänder; ein weiteres, sehr schlecht erhaltenes Beispiel gehört ebenfalls dieser Variante an.
Halbmondförmige Ohrringe kamen in einfacher oder verschiedenartig verzierter Ausführung bereits bei den
britischen Grabungen in großer Zahl zutage; neben bronzenen Exemplaren fanden sich auch solche aus Gold
und Silber570.
Ohrringe dieser Art werden auch als »Kahn-Form« (Greifenhagen 1965, 13), »kahnförmig« (Deppert-Lippitz 1985, 93) oder
»kahn- oder möndchenförmig« (Reiblich 1993, 170) bzw. als »boat-shaped« oder »leech-shaped« (Özgen - Öztürk 1996. 164)
bezeichnet.
569 Deppert-Lippitz 1985, 90.
570 Hogarth 1908, 103 f. Taf. 6, 43. 44. 65. 66. 68; 118 Taf. 12, 13. 16. 19-23; 149 f. Taf. 18, 9. 12. 13. 15-19. 27-29. 33; Marshall
1911,71 Taf. 9, 927.934. 941; 82 Taf. 10, 1051: Deppert-Lippitz 1985, 93; vgL auch die entsprechenden Stücke aus Weißmetall-
legierungen aus den österreichischen Grabungen: Anhang, Kat. Dl4-16. 18.
V. OHRSCHMUCK
Der Ohrschmuck bildet eine der größten Fundgruppen unter den Bronzen aus dem Artemision. Bereits die
britischen Grabungen brachten eine sehr große Zahl von Ohrringen aus Bronze, Gold und Silber zutage,
deren Formenrepertoire gut mit den Funden der österreichischen Grabungen zu vergleichen ist. Die Ohrringe
aus Gold sind dabei meist feiner und reicher gestaltete Ausführungen der schlichteren Bronzebeispiele.
Die Mehrheit der Ohrringe gehört Typen an, die einen mehr oder weniger stark geschwollenen, halb-
mondförmigen* * 568 Zierteil und einen nach hinten offenem Stecker haben (Kat. 447-606). Die unterschiedlichen
Ausführungen dieser Grundform werden hier als Typen 1.1-1.5 beschrieben. Eine Reihe offener Ringe ist am
besten ebenfalls als Ohrschmuck zu erklären (Kat. 607-612), wobei eine Unterscheidung zwischen Ohrringen
und Ringen anderer Funktion nicht immer mit Sicherheit getroffen werden kann. Eine für den ostgriechischen
Raum charakteristische Schmuckform sind Spiralohrringe, die im Artemision in verschiedenen Ausführungen
auftreten (Kat. 613-638). Ohrringe kamen in beinahe allen ergrabenen Bereichen des frühen Artemisions
zutage, häufiger jedoch im westlichen Teil des Heiligtums um den Hekatompedos und besonders konzentriert
in den fundreichen Schichten östlich der Kultbasis D (Abb. 1. 2); nur vereinzelte Funde sind mit den Benüt-
zungsphasen des Peripteros zu verbinden. Es kann also der vorläufige Schluss gezogen werden, dass Ohr-
ringe vor allem in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts und im beginnenden 6. Jahrhundert v. Chr. als
Votivgaben von Bedeutung waren. Eine stilistische Einordnung der einzelnen Formen wird häufig dadurch
erschwert, dass von den Fundplätzen Ostgriechenlands Ohrschmuck und insbesondere jener aus Bronze nicht
in ausreichender Weise publiziert ist. In den Heiligtümern des griechischen Festlandes kommen Ohrringe
generell eher selten vor569.
V.l Halbmondförmige Ohrringe (Kat. 447-606)
V. 1.1 Einfache Ohrringe mit halbmondförmigem Zierteil ohne abgesetzten Stecker
(Kat. 447-559, Taf. 37-39. 108)
Diese Ohrringe haben einen halbmondförmigen, mehr oder weniger geschwollenen vorderen Zierteil, der sich ohne Absatz nach
hinten zu einem langen, dünnen Stecker verjüngt, welcher durch das durchlochte Ohrläppchen geführt wurde. Der Zierteil hat
meist einen runden Querschnitt, kann aber auch an der Innenseite winkelig zulaufend oder abgeflacht sein. Das vordere Ende
schließt geradflächig ab oder läuft spitz zu. Das hintere, dünne Ende ist rund nach unten gebogen. Ohrringe dieser einfachen Form
kommen in verschiedener Größe und gelegentlich in sehr kleinem Format vor (z. B. Kat. 477. 521. 543).
Die einfachste Variante stellen die Ohrringe Kat. 447-515 dar, deren unverzierter Vorderteil rundstabig bzw. an der Innenseite nur
wenig abgeflacht und kaum geschwollen ist. Die Ohrringe Kat. 516-543 unterscheiden sich nur durch den stärker geschwollenen
Zierteil, der einen D-förmigen oder an der Innenseite winkelig zulaufenden Querschnitt aufweist. Mit 368 ganz und 1 044 frag-
mentarisch erhaltenen Exemplaren sind diese beiden Varianten unter den halbmondförmigen Ohrringen am häufigsten belegt.
Die schlichte Form kann auch dekorativ ausgestaltet sein. Bei den Ohrringen Kat. 544-553 ist der vordere Teil mit Bündeln um-
laufender Ritzlinien verziert. Der Ohrring Kat. 549 ist an der Innenseite mehrfach eingekerbt. Insgesamt wurden zehn ganz und
sechs fragmentarisch erhaltene Beispiele dieser Variante gefunden. Die Ohrringe Kat. 554-559 tragen an mehreren Stellen um-
laufende, glatte oder geperlte Bänder; ein weiteres, sehr schlecht erhaltenes Beispiel gehört ebenfalls dieser Variante an.
Halbmondförmige Ohrringe kamen in einfacher oder verschiedenartig verzierter Ausführung bereits bei den
britischen Grabungen in großer Zahl zutage; neben bronzenen Exemplaren fanden sich auch solche aus Gold
und Silber570.
Ohrringe dieser Art werden auch als »Kahn-Form« (Greifenhagen 1965, 13), »kahnförmig« (Deppert-Lippitz 1985, 93) oder
»kahn- oder möndchenförmig« (Reiblich 1993, 170) bzw. als »boat-shaped« oder »leech-shaped« (Özgen - Öztürk 1996. 164)
bezeichnet.
569 Deppert-Lippitz 1985, 90.
570 Hogarth 1908, 103 f. Taf. 6, 43. 44. 65. 66. 68; 118 Taf. 12, 13. 16. 19-23; 149 f. Taf. 18, 9. 12. 13. 15-19. 27-29. 33; Marshall
1911,71 Taf. 9, 927.934. 941; 82 Taf. 10, 1051: Deppert-Lippitz 1985, 93; vgL auch die entsprechenden Stücke aus Weißmetall-
legierungen aus den österreichischen Grabungen: Anhang, Kat. Dl4-16. 18.