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Fiedler, Conrad
Hans von Marees — München: Nymphenburger Verlagshandl., 1947

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https://doi.org/10.11588/diglit.51228#0066
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spricht.“ Ist ein so hoch gespannter Idealismus nicht mit einer
übermächtigen, das Leben zwingenden Kraft gepaart, so muß
er zu Mißverhältnissen führen. Es ist solchen Naturen eigen,
daß sie ganz von ihrem höheren Leben beherrscht werden und
nicht mehr begreifen, daß das äußere Dasein seinen eigenen
Standpunkt hat, von dem aus es betrachtet und behandelt sein
will. Die inneren Erlebnisse sind es, die eine weit überwiegende
Bedeutung gewinnen, und so wird es immer schwerer, sie mit
den Forderungen des Lebens in Einklang zu bringen. Wie für
Kleist, so war auch für Marees die eigentliche Realität die seines
künstlerischen Schaffens; hier gewann alles für ihn bestimmten
Wert und greifbare Gestalt; hier leitete ihn das sicherste Urteil,
die höchste Einsicht. Für die zwingende Notwendigkeit des tat-
sächlichen Lebens hatte er weit weniger Sinn; hier trübte sich sein
Blick; nur zu sehr mangelte das Verständnis für den Zusammen-
hang der Dinge zugleich mit der Fähigkeit, zur Erreichung
praktischer Zwecke die geeigneten Mittel anzuwenden. Damit
hing es auch zusammen, daß es das Gebiet der geistigen Tätig-
keit war, auf dem sich der ganze Ernst des Charakters, die
Unerbittlichkeit der Grundsätze offenbarte; hier wurden keiner-
lei Zugeständnisse gemacht; der Schwächlichkeit eines Ge-
schmacks, dem alle Kunst im Grunde doch nur eine Angelegen-
heit der Liebhaberei bleibt, wurde ein strenges, ‘oft herbes
Schaffen entgegengesetzt, und es wurde nicht ohne eine gewisse
Absichtlichkeit Zeugnis dafür abgelegt, daß die Kunst ein ernstes
Ding sei, bei dem nur die höchste Überzeugungstreue zum Ziele
führen könne. Dagegen fehlt es in Marees’ Leben so wenig wie
in dem Kleists an Beispielen dafür, daß die praktische Lebens-
führung etwas läßlicher genommen wurde, und weder dem
einen noch dem anderen ist es erspart geblieben, manche ihrer
Handlungen einem kurzsichtigen und engherzigen Urteil unter-
worfen zu sehen.
Überraschend ist auch oft den Freunden gewesen, wie sich
manche kleinere Züge, die von Kleist überliefert werden, bei
Marees wiederfanden; eine gewisse Herrschsucht im Verkehr mit
seinen Genossen, ein starkes Bedürfnis, lehrhaft auf seine Um-
gebung zu wirken, die Gewohnheit, Mitteilungen über eigene
Erlebnisse, Absichten und Pläne in geheimnisvolle Andeutungen

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