beschreibt, wie er nach der ersten Anlage der Figuren das Bild gegen die Wand lehnte,
und vielleicht erst nach Monaten wieder daraufblickte, „so scharf, als musterte er die
Züge seines Todfeindes“. Was so flüchtig hingeschrieben aussieht, ist das Resultat
langer Übung, gewissenhaftester Überlegungen; ohne sein Können, warnte schon
ein Zeitgenosse, sollte keiner sich diese „fleckige Manier“ anmaßen wollen. Er selbst
hielt vom „Improvisieren“ nichts; das gäbe „keine reinen Verse“. Dagegen waren
ihm alle Mittel zur Belebung recht. „Wenn es an die Vollendung ging, malte er mehr
mit den Fingern als mit dem Pinsel.“ Wirklich hat er in späteren Werken sich nie
die Mühe gegeben, die Spuren der Arbeit zu verwischen. Ein Durcheinander farbiger
Striche und Punkte verwirrt das Auge in der Nähe; aber die Gesamtwirkung der
Flächen ist harmonisch wie früher, und gegen früher um so viel lebendiger wie die
ganze Komposition.
Gerade mit seinem Alterstil ward Tizian der Lehrer der jüngeren Generation, der
Tintoretto, Veronese, Bassano, und mehr noch: nach seinem Einfluß auf die großen
Barockmaler bis zu Tiepolo kann man ihn einen Befreier der Kunst, aber auch ihren
Beherrscher nennen, ja, wie aus dem Jenseits erstand der Alte unserer Zeit plötzlich
unheimlich genug in der Kunst des Greco. Noch lange über das Grab hinaus mußte
sich ihm fügen, wer in seine Nähe kam.
In seinem Leben war es nicht anders. Ältere Meister und Rivalen mußten ihm
weichen. Die Großen der Welt, denen er sich diensteifrig zeigte, mußten schließlich
ihm behilflich sein, das Leben unabhängig und frei zu gestalten. Oft hat man ihm
den Vorwurf zu starken Erwerbsinnes gemacht. Seine reiche Korrespondenz ist pein-
lich zu lesen, weil er Gönner immer wieder mit Bitten um Unterstützung, Bezahlung,
und, was dasselbe bedeutet, Privilegien und Pfründen angeht, oder an Erfüllung von
Versprechungen mahnt. Sogar Großen, denen der Anblick von Bittstellern gewohnt
sein mußte, fiel das auf. „Er ist im Alter etwas habgierig geworden,“ schreibt der
spanische Geschäftsträger seinem königlichen Herrn. Doch schwindet dieser Eindruck
von Kleinlichkeit, sobald man auf den Erfolg sieht. Da weiß er das Leben großartig
zu fassen. Er strebt und demütigt sich, um schließlich frei zu sein. Wie ein großer
Herr lebte er in seinem Haus, im Stadtteil „Biri Grande“, hinter S. Maria dei Miracoli;
ein Grundstück dicht an der Lagune, die damals noch nicht von den „Fondamenti nuovi“
hinausgedrängt war. Ein reizender Garten bis zum Wasser hinab ließ den Blick auf
Murano und die Berge seiner Heimat genießen; still und kühl war es dort, und nur
abends belebte sich diese Seite der Lagune mit Gondeln voll geputzter Menschen.
Musik scholl dann wohl herauf zu dem luftigen Platz, auf dem Tizian seine Freunde
bewirtete. Selbst verwöhnte Gäste, Fürsten und Würdenträger aus der großen Welt
waren entzückt von dem Geist, den der Hausherr an diesen Ort zu bannen wußte.
Hier hatte die freie „Accademia“ ihren Sitz, Sansovino und Pietro Aretino.
Die Freundschaft mit diesem anrüchigsten aller Renaissanceschriftsteller ist Tizian
oft verdacht worden. Aber Aretino hat gegen niemand die guten Seiten seines reichen
Naturells so herausgekehrt. Viel von seinem internationalen Ruhm, seinen glänzenden
höfischen Verbindungen verdankt der Maler den sonst so gefürchteten Briefen des
skrupellosen Genußmenschen. Dafür hat Aretino oft mit Tizians Hilfe Gönner und
Vorteile erworben. Ein Bild des Meisters als Geschenk an einen einflußreichen Mann
ebnete manchen Weg. Zu dieser Interessengemeinschaft kam eine wirklich kongeniale
künstlerische Begabung des Aretiners hinzu. Gelegentliche landschaftliche Schilde-
rungen in seinen Briefen sind völlig mit Maleraugen gesehen. Uns würde viel von
dem Charakter des frechen und doch wieder großartigen Gesellen fehlen ohne Tizians
XL
und vielleicht erst nach Monaten wieder daraufblickte, „so scharf, als musterte er die
Züge seines Todfeindes“. Was so flüchtig hingeschrieben aussieht, ist das Resultat
langer Übung, gewissenhaftester Überlegungen; ohne sein Können, warnte schon
ein Zeitgenosse, sollte keiner sich diese „fleckige Manier“ anmaßen wollen. Er selbst
hielt vom „Improvisieren“ nichts; das gäbe „keine reinen Verse“. Dagegen waren
ihm alle Mittel zur Belebung recht. „Wenn es an die Vollendung ging, malte er mehr
mit den Fingern als mit dem Pinsel.“ Wirklich hat er in späteren Werken sich nie
die Mühe gegeben, die Spuren der Arbeit zu verwischen. Ein Durcheinander farbiger
Striche und Punkte verwirrt das Auge in der Nähe; aber die Gesamtwirkung der
Flächen ist harmonisch wie früher, und gegen früher um so viel lebendiger wie die
ganze Komposition.
Gerade mit seinem Alterstil ward Tizian der Lehrer der jüngeren Generation, der
Tintoretto, Veronese, Bassano, und mehr noch: nach seinem Einfluß auf die großen
Barockmaler bis zu Tiepolo kann man ihn einen Befreier der Kunst, aber auch ihren
Beherrscher nennen, ja, wie aus dem Jenseits erstand der Alte unserer Zeit plötzlich
unheimlich genug in der Kunst des Greco. Noch lange über das Grab hinaus mußte
sich ihm fügen, wer in seine Nähe kam.
In seinem Leben war es nicht anders. Ältere Meister und Rivalen mußten ihm
weichen. Die Großen der Welt, denen er sich diensteifrig zeigte, mußten schließlich
ihm behilflich sein, das Leben unabhängig und frei zu gestalten. Oft hat man ihm
den Vorwurf zu starken Erwerbsinnes gemacht. Seine reiche Korrespondenz ist pein-
lich zu lesen, weil er Gönner immer wieder mit Bitten um Unterstützung, Bezahlung,
und, was dasselbe bedeutet, Privilegien und Pfründen angeht, oder an Erfüllung von
Versprechungen mahnt. Sogar Großen, denen der Anblick von Bittstellern gewohnt
sein mußte, fiel das auf. „Er ist im Alter etwas habgierig geworden,“ schreibt der
spanische Geschäftsträger seinem königlichen Herrn. Doch schwindet dieser Eindruck
von Kleinlichkeit, sobald man auf den Erfolg sieht. Da weiß er das Leben großartig
zu fassen. Er strebt und demütigt sich, um schließlich frei zu sein. Wie ein großer
Herr lebte er in seinem Haus, im Stadtteil „Biri Grande“, hinter S. Maria dei Miracoli;
ein Grundstück dicht an der Lagune, die damals noch nicht von den „Fondamenti nuovi“
hinausgedrängt war. Ein reizender Garten bis zum Wasser hinab ließ den Blick auf
Murano und die Berge seiner Heimat genießen; still und kühl war es dort, und nur
abends belebte sich diese Seite der Lagune mit Gondeln voll geputzter Menschen.
Musik scholl dann wohl herauf zu dem luftigen Platz, auf dem Tizian seine Freunde
bewirtete. Selbst verwöhnte Gäste, Fürsten und Würdenträger aus der großen Welt
waren entzückt von dem Geist, den der Hausherr an diesen Ort zu bannen wußte.
Hier hatte die freie „Accademia“ ihren Sitz, Sansovino und Pietro Aretino.
Die Freundschaft mit diesem anrüchigsten aller Renaissanceschriftsteller ist Tizian
oft verdacht worden. Aber Aretino hat gegen niemand die guten Seiten seines reichen
Naturells so herausgekehrt. Viel von seinem internationalen Ruhm, seinen glänzenden
höfischen Verbindungen verdankt der Maler den sonst so gefürchteten Briefen des
skrupellosen Genußmenschen. Dafür hat Aretino oft mit Tizians Hilfe Gönner und
Vorteile erworben. Ein Bild des Meisters als Geschenk an einen einflußreichen Mann
ebnete manchen Weg. Zu dieser Interessengemeinschaft kam eine wirklich kongeniale
künstlerische Begabung des Aretiners hinzu. Gelegentliche landschaftliche Schilde-
rungen in seinen Briefen sind völlig mit Maleraugen gesehen. Uns würde viel von
dem Charakter des frechen und doch wieder großartigen Gesellen fehlen ohne Tizians
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