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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Mitteilungen des Reichskunstwarts
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0124
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MITTEILUNGEN DES REICHSKUN STWARTS

auszuschließen. Es wäre dies ein Eingriff in das künst-
lerische Schaffen, denn es ist nicht vorauszusehen, welche
von den Schriften die gestaltende Lösung notwendig macht,
ob nur diese oder nur jene die Höchstleistung —• und
nur eine solche kommt in Frage — bedingt. Manche Be-
schriftungen führen ganz von selbst zu den gotischen
Schriftarten, der Gestalter wird intuitiv nur sie verwen-
den, und viele Beschriftungen wieder weisen ihn zwingend
auf die Verwendung der Antiqua hin. Schriftschreiben
und Anordnen ist eben Architektur im besten Sinne. Diese
wird nun in manchen Fällen die Schriftfeldabgrenzung
mit lauter Majuskeln verlangen, eine Forderung, die mit
gotischen Schriften meist unmöglich ist. Dafür wird man-
che architektonische Lösung jenen rhythmischen Klang an-
streben müssenden das abwechslungsreiche Spiel von Ober-
und Unterlängen der gotischen Kleinbuchstaben hervor-
bringt. Ich möchte mich also ganz entschieden gegen je-
den behördlichen Zwang, ja sogar gegen die Bevorzugung
einer Schriftart — gleichgültig ob es sich um Münzen,
Stempel oder um andere Schriftverwendungen handelt-
aussprechen.
Carl Ernst Poeschel (Schriftgießerei) Leipzig:
Ich halte es für eine Knebelung jeder freien künstlerischen
Betätigung, wenn eine Bestimmung erlassen würde, die
eine ausschließliche Verwendung der Frakturschrift für
sämtliche Aufträge behördlicher Art fordert. Die Antiqua
sollte nicht nur in Fällen runder Beschriftung, also bei
Stempeln, Münzen zugelassen werden, sondern in allen
Fällen, in denen sie zusammen mit Zeichnung, oder in
ihrer Anordnung allein, die beste künstlerische Lösung
ergibt.
Deutscher Buchgewerbeverein (Dr. Hauschild)
Leipzig: ... Ich bezeichne den ganzen Fraktur-Antiqua-
streit unseligen Angedenkens als einen Irrsinn und als
eine Kurzsichtigkeit bodenloser Art. Aus der Geschichte
heraus den Wert oder Unwert einer Schrift zu beurteilen,
heißt Vogel-Straußpolitik betreiben. Wir haben nur damit
zu rechnen, was gebräuchlich oder mit anderen Worten
Besitz einer größeren Allgemeinheit ist. Beide Schriften
sind geeignet, den Zeitgeist in künstlerischer Form aus-
zudrücken.
Bund der deutschen Gebrauchsgraphiker:... Der
Vorstand des Bundes Deutscher Gebrauchsgraphiker glaubt,
der Künstlermeinung dahin Ausdruck geben zu dürfen,
daß die grundsätzliche Anwendung der deutschen Schrift
sich bei künstlerischen Ansprüchen nicht immer mit
Glück durchführen lasse. Ein Verzicht auf die Antiqua
kann darum nicht möglich sein. Es wird somit wohl da-
bei bleiben müssen, daß beide Schriftarten in künstleri-
scher Gleichberechtigung zur Anwendung kommen. Des
weiteren scheint es der Bundesleitung, im Hinblick auf
Ursprung und Überlieferung der sogenannten deutschen
Schrift, zum mindesten zweifelhaft, ob sie die Bezeich-
Verantwortlich für den Inhalt: Dr.Konra

nung „deutsch“ mit Recht hat. Der Vorstand ist sehr er-
freut, im übrigen die Auffassung des Reichskunstwarts zu
teilen und bekundet diesem verständnisvollen Interesse
hierdurch die größte Schätzung und Hochachtung.
Stellungnahme des Reichskunstwarts.
Die auf die vorliegenden Gutachten gegründete Stellung-
nahme wurde in einem Bericht an den Herrn Reichsminister
des Innern vom 2. September 1921 wiedergegeben. Dieser
Bericht ist den Reichsressorts zugegangen mit dem Hinweis
darauf, daß es erwünscht sei, daß die Reichsbehörden das
Ergebnis der Rundfrage sich aneignen möchten:
Reichsministerium des Innern. Der Reichs-
kunstwart:,,Für die Aufträge der Reichsregierung wäre
es nicht ratsam, endgültig durch Verordnung eine einzige
Schriftart festzulegen. Da eine solche Maßnahme einen
wichtigen Zweig deutschen künstlerischen und techni-
schen Arbeitens, nämlich das gesamte Gebiet der Gestal-
tung von Schrift und Druck, entscheidend beeinflussen
würde, schien es nicht möglich, den Standpunkt einer
einzigen Vereinigung einzunehmen, die für ausnahms-
lose Verwendung der von ihr als „deutsch“ bezeichneten
Frakturschrift eintritt. Um die Frage zu klären, wurde
daher ein Rundschreiben bei Verbänden und bei Persön-
lichkeiten veranstaltet, die sich als Künstler, als Schrift-
gießer oder als Forscher mit der Frage beschäftigt haben.
Das Ergebnis dieser Rundfrage geht dahin, daß sich das
deutsche Volk freuen soll, daß es für die verschiedensten
Aufgaben von Schrift und Druck Antiqua und Fraktur
zur Verfügung hat. Beide Schriftarten sind aus gleicher
Quelle hervorgegangen, beide haben deutscher Arbeit ent-
scheidend viel zu verdanken, sodaß das Aufgeben der An-
tiqua ein Verkennen eines durch die Arbeit schöpferischer
Kräfte national zu nennenden Besitzes wäre. Ausdrücklich
wurde dabei festgestellt, daß die künstlerische Form der
Umrandung bei Stempeln, Münzen und dergleichen nicht
die Schreibschrift, sondern die bei Sperrung, Verteilung
und einheitlichen Stellungen besser geeignete Antiqua
verlangt. Es wurde auch betont, daß diese geschmackliche
Anforderung selbstverständlich auch technisch von Be-
deutung ist, da bei Stempeln, zumal in Fällen der Dublie-
rung, nur die Antiqua Gewähr der Deutlichkeit gibt.
Etwa 20 solcher Gutachten sind bei meiner Dienststelle
gesammelt und sollen demnächst herausgegeben werden,
um endlich die Frage von Antiqua oder Fraktur von fal-
schen, durch irrtümliche Verwendung der Worte „latei-
nisch“ und „deutsch“ hineingetragenen Auffassungen zu
reinigen und eine schöpferischem Willen und wissen-
schaftlicher Erkenntnis Rechnung tragende Entscheidung
zu rechtfertigen. Für Stempel, Münzen und ähnliche Fälle
wird demnach Antiqua nicht entbehrt werden können,
während sonst bei Veröffentlichungen behördlicher Art
Fraktur meist als erstrebenswert anzusehen ist.
d Hahm, Referent beim Reichskunstwart

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