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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Schmidt, Walther: Um die Herkunft der Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0017
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sade, des Einzelraumes, nicht bei der Gestaltung der
Totalität des Bauwerkes. Diese Methoden konnten
nicht wirksamer bekämpft werden, als indem ihnen
als grundsätzlich Neues die Gestaltung des Bau-
werks aus Zweck, Konstruktion, Wirtschaftlichkeit
entgegengestellt wurde. Die exakte und umfas-
sende Erfüllung dieser Forderungen ist auch tat-
sächlich eine conditio sine qua non alles neuen
Bauens. Nun ist es begreiflich: Der Mann der neuen
Form bekämpfte die alte Form und mit ihr denjeni-
gen, der die alte Form trug, sie als Kunst verteidigte,
den Künstler. Er fühlte sich vorne in der Zeit, ge-
tragen von ihren unmittelbaren Gegebenheiten und
glaubte deshalb nur aus ihnen zu arbeiten. Er be-
kämpfte den Künstler der alten Form, indem er den
Künstler überhaupt leugnete, den Mann, der
die Form will. Wie sehr er aber selbst Form wollte,
zeigt eben das oben angedeutete Beispiel des nie-
deren Wohnhauses mit Stahlskelett: hier ist Wirt-
schaftlichkeit als optische, künstlerische Potenz ge-
meint, als Knappheit der Form, selbst wenn sie nur
mit höheren Kosten als bei der üblichen Konstruk-
tion, also mit UnWirtschaftlichkeit, zu erkaufen ist.

Drittens: Der Ansturm des neuen Bauens ist so
heftig gewesen, seine Formen so ungewohnt, sie
schienen so sehr den Gesetzen der bisherigen For-
men, die man wie immer als ewige Gesetze empfand,
zu widersprechen, daß auch von der Gegnerseite
her den neuen Formen der Wille zur Form abge-
sprochen wurde. Und schließlich war es dem „Schaf-
fenden'" meistens nicht so wichtig, aus welchen Tie-
fen oder Untiefen sein Werk erstand, ihn inter-
essierte allein das Werk, das er aus innerstem für
notwendig hielt. Nicht so der Mann, der das Werk
literarisch begründen wollte: er brauchte Gründe,
auch ihm schienen die nächstliegenden die besten,
er hatte auch nicht den ganz unmittelbaren Kontakt
zu dem Werk, es war ihm mehr ein Mittel zur gelehr-
ten Deduktion, mehr ein Exempel als ein lebendiges
Kind, und so machte sich denn dieser gewissenhafte
Ernst vernünftiger wissenschaftlicher Theoretik
breit, der die Götter verbannen will und in fast ko-
mischem Gegensatz zu den symbolhaften Formen
des neuen Bauens steht.

Nun könnte es ja ziemlich gleichgültig sein,
in welcher Bewußtseinslage sich der Künstler
befindet, wenn er nur ein richtiges Werk schafft.
Erzieherisch ist allerdings jeder Widerstreit von
Tat und Wort bedenklich. Aber mittlerweile ist es
doch Zeit geworden, daß dieser Zwiespalt von Tat
und Wort erkannt wird. Die Bewegung der neuen
Form steht heute an einer anderen Stelle wie vor
einigen Jahren; sie hat den Punkt erreicht, auf dem
es heißt, das Oppositionsprogramm gegen das Re-
gierungsprogramm zu vertauschen. Denn kein Sy-
stem kann mit dem Oppositionsprogramm (einer
Theorie aus einem früheren Zeitpunkt) regieren.
Unsere heutige Situation, bei der die ..Regentschaft"
des neuen Formwillens freilich nur in der Spitze,
noch nicht in der Breite erreicht ist, ist doch die: Der
erste Ansturm des neuen Bauens ist vorüber, die in
die Breite gehende Bewegung strebt zu gleicher Zeit
nach Verfeinerung und Bereicherung. Damit stellen
sich Probleme ein, deren Bewältigung im Sinne der
älteren Kunst vielfach Aufgabe des Kunsthandwerks
war, wie Probleme der Flächenfüllung, der Gliede-
rung, der Gewinnung plastischer Dimension. In diese

Lücke, die durch das sich verfeinernde Bedürfnis
des neuen Bauens entsteht, sucht das Kunsthand-
werk einzuspringen, es meldet seinen Anspruch:
Auch das Kunsthandwerk der älteren Form. Die
formschaffende Absicht ist sein erklärtes Ziel. Wenn
nun ein Teil der Vertreter der neuen Form behauptet,
Zweck und Technik seien die Grundlagen der neuen
Form, nicht ein Formwille, so ist zwischen diesen
und den Vertretern der älteren Form und auch denen
der neuen Form, die zugeben, aus dem Formwillen
zu schaffen, überhaupt keine Verständigungsebene
gegeben. Vor allem aber werden manche, die in der
Bewegung der neuen Form zu stehen glauben, dazu
verleitet, alles, was Funktion äußerer Ursachen ist,
was funktioniert, schon als gültige Form zu betrach-
ten. Sich bei d e r Form zu bescheiden, die sich er-
gibt, führt nur dann zum Guten, wenn eine unbe-
wußte formschaffende Absicht mitgewirkt hat. Bei
anderen führt der als Dominante entrechtete Form-
wille zu einer Abdrängung nach anderen Gebieten,
die dann gewaltsam in die Gestaltung hereinbezo-
gen werden und so jene willkürlich-krampfhaften
Greuel ergeben, die immer wieder, vor allem in der
Typografie. dem schlechtesten bekämpften deko-
rativen Kunstgewerbe in nichts nachstehen und die
wie nichts anderes geeignet sind, die große Bewe-
gung immer wieder zu diskreditieren. Und schließlich
entschlägt sich gegenüber dem mit Anspruch herauf-
kommenden geschmäcklerischen Kunstgewerbe die
neue Bewegung ihrer eigentlichen Waffe: wider die
alte Form die neue Form zu setzen und nicht bloß
die Funktion anderer Lebensvorgänge.

Wenn wir. wie wir hoffen, in der Frühzeit eines
Stiles — oder in seiner Vorzeit — stehen, so muß
das gesamte Gewerbe von einem Formwillen be-
stimmt sein, der sich dominierend in der Baukunst
äußert. Man kann vereinfachend sagen, das Ge-
werbe muß von der Baukunst her bestimmt sein, — in
den Spätzeiten mögen dagegen die Gewerbe über-
wuchern. Tatsächlich hat sich der Formwille heute
nächst dem Bauen am deutlichsten in d e n Gewer-
ben ausgewirkt, die dem Bauen der Aufgabe nach
am nächsten stehen. Der Typograf teilt wie der
Architekt eine Fläche mit gegebenen Größen auf,
dort mit Buchstaben, hier mit Fenstern. Die Durch-
dringungen alter und neuer Formelemente werden
um so verwickelter, je weiter ein Gewerbe von der
Baukunst entfernt ist. Der Kampf, der sich hier ab-
spielt zwischen dem, was auf der einen Seite be-
rechtigter Anspruch, auf der anderen Vergewalti-
gung genannt wird, ist doch schließlich nur der
Kampf um die Verwirklichung eines einheitlichen
Formwillens im stufenförmig gebundenen Aufbau un-
serer gesamten Gestaltung.

Es gilt zu entscheiden, was vonobenher, vom
neuen Formwillen her bestimmt ist und somit weiter-
führend sein kann, und was versucht, sich von un-
ten her zuzudrängen. Rokokointarsien an einem
kubischen Möbel sind von unten her angeklittert,
wenn auch das Entstehende als noch so reizvoll
empfunden werden mag. Ein allgemeines Kriterium
kann natürlich nicht aufgestellt werden, denn es
handelt sich um Unterscheidungen, die ihrer Natur
nach kausal nicht bis zum letzten zu begründen
sind. Jedenfalls aber tritt zur Qualität der Ausfüh-
rung und der ästhetisch-formalen Qualität eines Wer-
kes noch eine notwendige Beschaffenheit, die man

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