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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

DOI Artikel:
Schwab, Alexander: Baupolitik und Bauwirtschaft, [14]
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0131
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viel dabei herausgekommen wäre. Kein Wunder: da
in allen öffentlichen Kassen das Geld fehlt. Neuer-
dings ist wieder der Gedanke aufgetaucht, aus den
Mitteln der Arbeitslosenversicherung, mit denen
sonst nur Tief- und Straßenbauten finanziert wer-
den, auch Hochbauten als Notstandsarbeiten zu
fördern. Man denkt dabei wohl in erster Linie an
Wohnsiedlungen für solche Arbeitskräfte, die in-
folge industrieller Standortsverschiebungen keine
Aussicht mehr haben, an ihrem Wohnort in dem ge-
lernten Beruf je wieder Arbeit zu erhalten. In sol-
chen Fällen kann man entweder an eine Ansiedlung
in neuer Gegend, bei aufblühender Industrie, den-
ken, oder an eine halbländliche Siedlung, die
ein Pendeln zwischen gewerblicher und landwirt-
schaftlicher, besser gesagt: gärtnerischer Arbeit
ermöglicht, also die sogenannte nebenberufliche
Siedlung.

In diesem letzteren Gedanken steckt sicherlich
ein gesunder Kern, der um so mehr Beachtung ver-
dient, als die vollberufliche Umsiedlung bei der heu-
tigen wirtschaftlichen Depression nirgends auf eine
sichere Zukunft rechnen könnte. Von der Arbeits-
losenversicherung sollte man allerdings hierzu keine
erhebliche Hilfe erwarten; falls sie sich überhaupt
entschließt, mit ihren an sich schon sehr geringen
Mitteln in ein solches noch schwer übersehbares
Risiko hineinzugehen, so kommen dafür nur ganz
geringe Teilbeträge in Frage. Beträge, die in dem
Abgrund der heutigen bauwirtschaftlichen Depres-
sion nahezu spurlos verschwinden werden.

Daß im übrigen der Gedanke der nebenberuflichen
Siedlung gesund ist, wird ohne weiteres klar, wenn
man sich die menschlichen und gesellschaftlichen
Auswirkungen vorstellt. Der Mensch ist ja sicherlich
nicht dazu geschaffen, sein ganzes Leben lang nur
in der Fabrik oder im Büro zu arbeiten und nur zwi-
schen Steinwänden zu leben. Alles, was nach auf-
gelockerter Wohn- und Bauweise, nach Gartenstäd-
ten, nach Einbeziehung von Luft und Licht in die
Wohnung hinstrebt, geht in der gleichen Richtung
wie der Gedanke der nebenberuflichen Siedlung.
Und nach der andern Seite führt eine Verbindungs-
linie hinüber zu allen Bewegungen, die auf Tätigkeit
und Leben in der freien Natur, auf ein Gegengewicht
gegen die rein-städtische, technische oder büro-
mäßige Arbeit abzielen. Es erscheint im Blickfeld
das Idealbild eines Menschen, der je nach Jahres-
zeit und Konjunktur wechselnd im städtischen oder
im ländlichen Beruf arbeitet und seine Kinder ab-
seits der Stadt auf dem eigenen Stückchen Land
großziehen kann. Ein Idealbild übrigens auch gegen-
über dem heutigen Zustand des Arbeitsmarktes.

Wieviel davon kann Wirklichkeit werden? Wo sind
die starker, gesellschaftlichen Kräfte, die wirksa-
men materiellen Interessen, die uns diesem Bild
näher bringen können, und ohne die es blasse
Theorie bleiben muß. Man braucht die Frage nur
aufzuwerfen, um in sich selbst jene Mischung von
Skepsis und instinktiver Sicherheit zu empfinden,
mit denen jede produktive Utopie ihr Erscheinen
unserem Gefühl anzeigt.

Zur Berliner Baupolitik.

In dem wechselvollen Kampf um eine neue Verfas-
sung für die Reichshauptstadt kommen die sach-
lichen Probleme ständig in die Gefahr, verschüttet

zu werden. Insbesondere gilt dies von den unge-
lösten prinzipiellen Aufgaben der Berliner Baupoli-
tik, deren Neuordnung gerade bei dieser Gelegen-
heit aktuell sein sollte. Seit langem hat aber nur
der City-Ausschuß mit seiner Aktion eines Wett-
bewerbes um die Sanierung eines Teils der Altstadt
Initiative in dieser Richtung entfaltet. Erst vor kur-
zem wurden dann von anderer Seite, in einem Vor-
stoß des Stadtbaurats Dr. Martin Wagner bei
einem Empfangsabend des Bundes Deutscher Archi-
tekten, die Dinge wieder einmal öffentlich zur Dis-
kussion gestellt, die im Grunde seit Jahrzehnten
ihrer Neugestaltung harren.

Dr. Wagner verlangt, daß das Berliner Bauwesen
einer einheitlichen Leitung unterstellt wird, einem
technischen Bürgermeister, während es heute auf
drei Stadträte, drei Stadtbauräte und einen Ober-
bürgermeister verteilt sei. Der technische Bürger-
meister müsse dann für jedes einzelne Spezialge-
biet fachlich durchgebildete Stadtbaudirektoren zur
Seite haben, während ihm selbst die Aufgabe der
Zusammenfassung, des Ausgleichs, der einheitlichen
Vertretung nach außen verbleibt. Interessanter fast
als diese — organisations- und verwaltungstech-
nisch vermutlich richtige — Auffassung ist ein wei-
terer Vorschlag, mit dem Wagner ein Gegengewicht
gegen die von ihm verlangte Konzentration schaf-
fen will; er denkt an etwas wie einen Bauwirt-
schaftsrat für Berlin, in dem Künstler. Techniker und
Bauwirtschaftler zu einem beratenden Gremium für
die großen Fragen zusammengefaßt und auch den
politischen Körperschaften zur Verfügung gestellt
werden sollen. Dieser Vorschlag ist in der Richtung
beachtlich, im Umfang doch wohl zu eng. Er geht
aus von einer rein kommunalen Auffassung der Auf-
gabe Groß-Berlin. und denkt offenbar nur an tech-
nische Mittel, richtiger gesagt: nur an die Proble-
matik der Mittel, nicht aber an die Problematik der
Aufgabe selbst. Alle Künstler. Techniker und Bau-
wirtschaftler zusammen, verstärkt durch die besten
Kräfte der Verwaltung, können nichts darüber aus-
sagen, wovon dieses Riesenlebewesen Groß-Berlin
leben und wie es sich weiterentwickeln soll. Sie
können seine Möglichkeiten klären, Mittel und Wege.
Wirkungen und Nebenwirkungen abwägen — gestellt
aber werden die Aufgaben anderswo. Sie erwach-
sen aus dem ständigen geschichtlichen Zusammen-
wirken politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kul-
tureller Faktoren, und ihr Maßstab ist nicht Berlin
als Kommune, sondern das Reich und das Volk mit-
samt ihren internationalen Beziehungen.

Dieser Sachlage ist auch damit nicht entsprochen,
daß ein solches Gremium als Sachverständiger für
die politischen Instanzen dient. Die Rolle, die solche
Gremien zu spielen pflegen, ist bekannt und nicht
verlockend. Aber sieht man selbst hiervon ab. so
kann doch schon die Berliner Stadtverwaltung mit
dem Gutachten einer Körperschaft, wie sie der
Stadtbaurat sich vorstellt, in großen Fragen nicht
viel anfangen. Soll die Verwaltung wirklich in der
Lage sein, schwierige Probleme in ihrem Zusammen-
hang vor der Entscheidung und vor dem Ausein-
anderreden im Stadtparlament durchzuprüfen, so
kann sie dabei die Wirtschaft — Arbeitgeber und
Gewerkschaften — ebenso wenig entbehren wie die
Mitwirkung der Zentralbehörden des Reichs und
Preußens.

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