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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Lotz, Wilhelm: Siedlung und Arbeit: Fragen, die wir für die nächsten Hefte zur Diskussion stellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0023
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von Menschen, die sich im einzelnen nicht so über diesen
Drang klar werden, der sie dort hinaustreibt.

Wir dürfen also feststellen, daß die aus der Not
heraus geborene Aussiedlung der Erwerbslosen zu be-
trachten ist als ein Teil einer großen Bewegung, die ge-
rade in den ärmeren Schichten sehr stark zur Geltung
kommt, die Flucht in die Natur an eine Stelle, an der sie
lebendiger und teilnehmender eine Arbeit ansetzen
können, die ihnen mehr Freude macht.

Deshalb aber gliedert sich die Frage in ein anderes
kulturelles Problem unserer Zeit ein, die Frage der Ar-
beitsgestaltung. Und hier haben wir es mit einem ganz
ähnlichen Prozeß, einer teilweisen Flucht, zu tun, wie es
die Flucht aus der Großstadt ist. Betrachten wir immer
die Wohnlaube als eigentlichen Ausgangspunkt. Der
Arbeiter, der seine acht Stunden in der Fabrik mit einer
ganz mechanischen Arbeit verbringt, hat das Bedürfnis,
in seinen Freistunden eine Arbeit zu leisten, die ihm mehr
Freude macht, bei der er Erfolg sieht, die mehr von
seiner persönlichen Geschicklichkeit abhängt und bei der
er auch ein wenig mit unsicheren und mit Zufallsfaktoren
zu tun hat, wie sie nun einmal die Arbeit in der Natur
und die gärtnerische Arbeit überhaupt mit sich bringen.
Hier kommt ein besonderer Reiz hinzu, der bei der
Arbeit in der Fabrik am laufenden Band fehlt. Hier
kommen Werte der Arbeitsfreude hinzu, die in der ma-
schinellen Produktion unmöglich sind. Hier macht sich
ein — um ein oft genanntes und oft mißdeutetes Wort
zu gebrauchen — Arbeitsethos geltend, das in der
maschinellen Produktion von heute keinen Platz mehr
hat. Hoffentlich wird der weitere Fortgang dieser Fragen
vor den Propheten geschützt, die das Arbeitsethos durch
dilettantisches Kunstgewerblern retten wollen.

Die Frage der Arbeitsfreude schafft uns die Verbin-
dung mit dem anderen Blickpunkt, von dem aus man das
Problem ansehen muß, nämlich dem wirtschaftlichen. Hier
wird Alexander Schwab vom fachlichen Standpunkt aus
Stellung nehmen können und Fragen, die er bisher in
seinen Ausführungen schon angedeutet hat, näher be-
leuchten. Nur so viel kann hier gesagt werden, daß die
Aussiedlung der Erwerbslosen nur unter dem Gesichts-
punkt geschehen darf, wie man sie wieder der Arbeit
zuführen kann. Für diese Seite ist es von ganz großer
Bedeutung, daß, wie man kürzlich in der Tagespresse
lesen konnte, die Siemens-Werke aktiv in die Fragen der
Randsiedlung eingreifen wollen, indem sie einen Teil
ihrer Arbeiter aussiedeln. Die Arbeiter sollen an drei
Tagen beschäftigt werden und im übrigen sollen sie ihre
wichtigste Nahrung in der anderen Zeit sich auf dem
Boden ziehen. Man will sich dadurch vor allen Dingen
die qualifizierten Arbeiter erhalten. Dies wird also der
erste wirklich vernünftige Versuch werden, Halbzeit-
arbeiter heranzuziehen. Es wird die erste Erwerbslosen-
siedlung sein, bei der man Rücksicht auf den Weg zur
Arbeitsstätte nimmt. Mit Recht wurde gerade im Berliner
Stadtparlamenf bei der Behandlung der Frage der Er-
werbslosenaussiedlung immer wieder darauf hin-
gewiesen, daß die Ausgesiedelten von der Bewirtschaf-
tung der vier Morgen nicht leben können. Das ist rich-
tig, denn es wird sich immer nur um eine Art Zusatz-
ernährung oder um Produktion der wichtigsten Nah-
rungsmittel für den eigenen Bedarf handeln, nie aber
darum, daß der Siedler sich mit seiner Familie voll-
ständig vom Boden ernährt. Die Frage der agrarischen
Aussiedlung, die sich mit der schon lange begonnenen
Aufteilung großer Güter trifft, ist eine ganz andere.

BILDER AUS DEM BETRIEB der Robert Bosch A.-G., Stuttgart
Frauen als Hilfskräfte in der Produktion

Quelques vues prises aux ateliers des Etablissements Robert Bosch
A.-G., de Stuttgart

Le travail y est execute par des ouvrieres

Views of the Robert Bosch A.-G., Stuttgart
Women on the production line

Zusammenbau von Radlichtanlagen im Zündwerk

L'assemblage des groupes d'eclairage electrique pour bicyclettes
ä l'atelier de construction des magnetos

Assembly of electric light equipments for motor cycles

Nachpolieren von Scheinwerferspiegeln im Lichtwerk

Finissage des reflecteurs de phares ä l'atelier de construction des
appareils optiques

Polishing of head lamp reflectors

Hierzu werden in den kommenden Heften Fachleute
Stellung nehmen.

Was hat das nun alles mit dem Gebiet der Gestal-
tung, mit dem sich doch unsere Zeitschrift zu befassen
hat, zu tun? Aufmerksame Leser werden schon im
letzten Jahrgang bemerkt haben, daß wir immer mehr
und mehr versuchen, den Rahmen unserer Zeitschrift, wie
man ihn etwas eng ausdeuten könnte, zu sprengen. Das
ist nicht eine Gebietserweiterung, sondern eine Not-
wendigkeit. Das, was heute vor sich geht und was in
der Gestaltung unserer Frage seinen Niederschlag
findet, wird bestimmt von geistigen, kulturellen, wirt-
schaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen. Gerade
diese Grundlagen aber wollen wir im kommenden Jahr-
gang noch gründlicher untersuchen und zur Diskussion
stellen. Unser Endziel ist natürlich immer die Frage,
wie diese Grundlagen sich in der Gestaltung heute gel-
tend machen. Es gibt heute viele Zeitschriften, die ihr
Fachgebiet streng und gründlich untersuchen und bei
denen technische Fragen im Vordergrund stehen. Dabei
kommen auch die wirtschaftlichen Fragen des Fach-
gebietes zur Geltung. Diejenigen Zeitschriften, die sich
mit weltanschaulichen Problemen befassen und die ver-
suchen, Brücken zu den Tatsachen zu schlagen, bewegen
sich zu sehr im Abstrakten. Es ist notwendig, daß
zwischen diesen beiden Arten von Zeitschriften eine

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