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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Lotz, Wilhelm: Siedlung und Arbeit: Fragen, die wir für die nächsten Hefte zur Diskussion stellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0022

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Aus der Siedlung Biesenhorst bei Berlin
Selbsthilfesiedlung

Quelques aspects de la colonie « Biesenhorst» pres Berlin. La
colonie est due ä la propre initiative des usagers et a ete realisee
avec des moyens de fortune

Views of the Siedlung Biesenhorst near Berlin. Settlement of
inhabitants of large towns who have built little houses with small
means

laubenkolonie können heute schon als erweiterte Woh-
nungen, als ein übertragen wichtiger Wohnfunktionen,
nämlich des Genusses der Freistunden in einer natur-
hafteren Atmosphäre, aufgefaßt werden. Es ist ein
Stück Leben, und zwar ein wichtiges Stück Leben, was da
allsonntäglich vor die Tore der Stadt hinaus verlegt wird.
Wenn man heute von dem geistigen Begriff Wohnen
spricht, so muß man diese Tatsache mit berücksichtigen
und einbeziehen. Proletarierfamilien wohnen den ganzen
Sommer draußen in der Wohnlaube. Junge Menschen
bevölkern Samstags und Sonntags die Ufer der Gewässer
um Berlin herum mit ihren Zelten. Wohlhabendere be-
ziehen ihr Wochenendhaus, ihr Wohnboot oder sie ver-
bringen das Wochenende in den Räumen der Sportklubs.
So dehnt sich an den Sommersonntagen der Wohn-
radius der Großstadtbevölkerung weit über die Groß-
stadt hinaus, durchsetzt auf viele Kilometer hin das Land.
Nicht die Tatsache, daß die Menschen draußen schlafen,
ist wichtig, sondern daß sie das, was ihnen an zusam-
menhängenden Freistunden bleibt, dem Spiel und der Er-
holung in der Natur widmen. Natürlich kann man hier
die Frage stellen, ob diese feiertägliche Durchsetzung
der Natur und der Landschaft in der Zukunft in den
individuellen Formen der Familienlaube und des
Familienspazierganges bleiben wird oder ob sich kollek-
tive Formen, Sportverbände, Wohnkolonien mit gemein-
samen Einrichtungen, stärker herausbilden werden. Man
kann der Meinung sein, daß billige Wochenendhotels
mit gemeinsamen Liege- und Spielwiesen notwendiger
sind als einzelne Wochenendhäuser. Darüber wird die
Zukunft entscheiden. Jenes verstärkte Gefühl für land-
schaftliche Werte, für die Natur, ist eine Erscheinung, die
sich auch in der modernen Architektur bemerkbar macht
und auf die v/ir wiederholt hingewiesen haben. Ob
Mies van der Rohe in seinem Haus Tugendhat die
Bäume, den Wiesenhang als wesentliche Elemente seiner
architektonischen Eingruppierung berücksichtigt oder ob
Gropius bei seinen Wohnhochhäusern an große Grün-
flächen denkt und dabei so weit geht, daß er wie auf
der Bauausstellung von der Terrasse aus auf die un-
berührte Natur schauen läßt: das deutet bei aller Ver-
schiedenheit der Einstellung zum Problem doch die gleiche
Tatsache auf, daß das Problem selbst, die Eingliederung
der Natur, erkannt und gewertet wird. Sehr schön sagt
Bruno Taut in seinem Buch „Ein Wohnhaus" (Kos-
mos-Bücher Franck'sche Verlagshandlung, Stuttgart):
„Wohnung soll in diesem Fall nicht als die bloße
Gruppierung und Einrichtung von Räumen gezeigt wer-
den, sondern als ein Gesamtkörper mit allen seinen
inneren Funktionen und äußeren Ausstrahlungen, also als
Wohnhaus unter Einbeziehung seiner Umgebung, des
Gartens und der Landschaft."

Nun soll natürlich keinesfalls behauptet werden, daß
die Erwerbslosen ausgesiedelt werden oder sich gerne
aussiedeln lassen des Naturgenusses willen. Es sind rein
Fragen der billigen Lebenshaltung. Aber trotzdem, jene
primitivste Form, die doch ein kleines Vorbild für die Er-
werbslosensiedlung ist, die Anlage der Wohnlauben in
der Nähe der Arbeiterviertel, entsteht einesteils aus
Gründen der billigeren Lebenshaltung draußen, andern-
teils aber auch aus Freude an der Natur, weniger des
Genusses des Landschaftsbildes wegen als aus der
Freude an der Gärtnerarbeit, an der gärtnerischen
Bastelei und auch aus der Freude einer eigenen Ge-
staltung der Wohnlauben. Man kann und darf solche
Fragen auch nicht vom Individuum her betrachten, son-
dern als großen durchgehenden Zug durch eine Masse

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