Rundschau
25. Kunstausstellung in Moskau
In Moskau waren kürzlich die Arbeiten von Künstlern
ausgestellt, welche vom Ministerium für Bildungswesen in
die neuen Aufbaugebiete der Industrie und Landwirtschaft
gesandt sind. Diese Beauftragung ist bezeichnend für die
Erfüllung der Aufgaben: Künstler stellen sich in den Dienst
des Staates, um von ihrer Seite an der Vertiefung des
Staatsgedankens im Volk mitzuarbeiten, das Bewußtsein
um die gestellten gemeinschaftlichen Aufgaben des Auf-
baus zu stärken, die Begeisterung dafür zu entfachen und
um die verlorene Verbindung des Volkes mit der Kunst
wieder herzustellen. Es ist dies keine freiwillige Indienst-
stellung, sondern eine im Rahmen des Sowjetstaates selbst-
verständliche Notwendigkeit, daß jeder Einzelne eine plan-
mäßige Funktion im Staatsbetrieb erfüllt, die von Seiten
seines Berufes her dazu beiträgt, das Weltbild zu
schließen, welches ohne ihn eine Lücke aufweisen würde.
Es ist der ungeheure Vorzug der Mentalität der Sowjet-
union gegenüber westlichen Staaten, daß es nur dieses
eine Weltbild gibt, vergleichbar der Kirche im Mittelalter,
dem sich alle Individuen unterordnen, in welchem alle
Kräfte potenziert werden zur Zeugung eines machtvollen
Staatswillens. Aber wer sich diesem Willen entzieht,
wessen Individualität nicht aufgeht in diesem Weltbild,
der hat als Nichtarbeiter auch nichts zu essen und erlebt
dieselbe Tragik des Lebens, wie jeder westliche Mensch,
den seine innere Stimme abseits der großen Straße führt.
Man kann daher von einer solchen Ausstellung nichts
anderes erwarten als den Querschnitt auf einer mittleren
Linie, die nur geringe Ausschläge nach oben aufweist.
Die Auswahl der Ausstellungsstücke erfolgt dement-
sprechend unter wesentlich anderen Gesichtspunkten als
sie uns vertraut sind. Der Katalog zur Ausstellung macht
uns in seinen Vorbemerkungen mit der Mentalität der
Jury vertraut, indem er gleichzeitig Auskunft über die Art
der Beauftragung gibt. Die Künstler werden in die Auf-
baugebiete der Industrie und in die neuen vergesellschaft-
lichten landwirtschaftlichen Güter entsandt mit dem Auf-
trag, den Geist der proletarischen Revolution, wie er sich
dort äußert, zu erkennen und in ihren Bildern und Plasti-
ken möglichst stark zum Ausdruck zu bringen. Dieser Re-
volutionsgeist muß sie selbst beseelen, so daß sie gerne
ihrer persönlichen Freiheit entsagen, die im bourgeoisen
Sinne willkürlich ist, und da keinem großen Staatsgedan-
ken unterstellt, unkristallisiert, anarchistisch.
Durch das Untertauchen in der Gemeinschaft, im brüder-
lichen Kollektivgedanken, erfahren sie die Wiedergeburt
einer neuen Freiheit, die auf einer höheren Stufe zwar
gebunden, doch eine Richtung kennt und nicht der Gefahr
der Selbstzerstörung preisgegeben ist, die gerade in der
gegenwärtigen Zeit im westlichen Abendland so augen-
fällig sich manifestiert.
Entsprechend den Opfern, die der Staat für die Beauf-
tragung auf sich nimmt, erwartet er auch Gegenleistungen,
und der Katalog nennt unverblümt die Namen derer,
welche in der alten bourgeoisen Freiheit befangen ge-
blieben, anderer, welche faul waren und eine nur geringe
Produktion aufweisen, und jener, welche sich nur auf ihre
Aufträge beschränkten, ohne den außerdienstlichen Auf-
trägen der gesellschaftlichen Arbeit nachzukommen, wie
sie in Form von Plakat- und Schildermalen, improvisiertem
Straßen- und Raumschmuck und dergleichen täglich an den
in USSR. Arbeitenden herantreten.
Das ausschlaggebende Kriterium für die Qualität der
Arbeiten ist also letzten Endes ein inhaltlich geistiges und
kein ästhetisch formales. Darin wird auch immer wieder
der große Unterschied der revolutionären Kunst gegen-
über der westlich-bourgeoisen betont. So gesehen, bringt
die Ausstellung allerdings keinen Messias, auch kaum
Vorläufer; es ist kein Werk vorhanden, bei welchem den
Beschauer das Erleben einer neuen geistigen Welt er-
schüttert. Vielmehr erliegen die Künstler alle der Lust am
neuen Spielzeug; sie werden alle berauscht von der
Dämonie der Technik, die mit Geknatter und Gesause
plötzlich in die weiten Breiten der allrussischen Landschaft
einzieht, Gräben und Fundamenttrichter in ihren jungfräu-
lichen Boden reißt, Hochöfen und Hallen in ihr mächtiges
Himmelsgewölbe türmt, die ihre trägen Ströme über Tal-
sperren in die Tiefe donnern läßt und die reifen Garben
der wogenden Frucht in hastende Maschinen bricht.
Es wird Jahre dauern, bis über diese, Lust das Leid der
Erkenntnis sich senkt und die Reife geboren wird, die in
der mechanischen Erfassung des gegenwärtigen Aufbaus
auf fast allen Gebieten so schmerzlich fehlt. Kindlich
Sehende zeigen bestenfalls ein Staunen, wie solch ein
Umschwung Platz greifen kann, so A. J. Igunow, der in
einer etwas unbeholfenen Darstellung eine ungeheure
Rohröffnung zeigt, durch die hindurch und neben der
vorbei man das Getriebe eines Fabrikaufbaus sieht. An-
dere, Schwerblütige, ziehen das Neue in die mystischen
Schleier der russischen Landschaft; so erreicht S.A. Lut-
schischki mit einem Morgen am Bach, einer Kolchosver-
sammlung und einem Divisionsfest Bilder mit einer starken
Spannung. I. B. Marimont zeigt in zum Teil farbigen Zeich-
nungen von Stoßarbeitern den fanatisch unbeirrbaren
Glauben der jungen Arbeitergeneration an die Revolution.
Die Übrigen jedoch können nur unter dem Gesichtspunkt
des formalen Könnens beurteilt werden.
Der Querschnitt ist dabei sehr wenig qualifiziert. Am
reifsten K. N. Korigin, dessen an alten Niederländern ge-
schultes Auge ein warmes feinabgetöntes Kolorit zum We-
sentlichen seiner gut komponierten Gruppen von Industrie-
arbeitern erhebt. In den Bildern K. F. Bogajewskis, des
Malers des Naftagebietes, spürt man stark die Unrast und
das Getriebe der technischen Zeit. Dampf zischt in die
flimmernde Luft und gelbgraue Rekordziffern lauern hin-
ter dem Wald der Bohrtürme, die sich in Sümpfen spiegeln.
Am schwächsten ist die Plastik vertreten. Sie erhebt sich
zwar erfreulicherweise über das unmögliche seitherige
Niveau der Fäuste und Fahnen schwingenden, vorwärts-
schreitenden und maulaufreißenden Revolutionäre, aber
nur I. N. Tschaikow hat eine industrielle Komposition zu-
wegegebracht, die mit einigemGeschickdasHand-in-Hand-
arbeiten einer Traktorenfabrik zeigt. An eine hochge-
zogene Mittelgruppe, den unvermeidlichen Stoßarbeiter
mit Fahne zeigend, sind fünf verschiedene Untergruppen
angegliedert, Guß, Hammer, Stanze und Montage dar-
stellend, bis vorn der fertige Traktor herausrollt.
Bei allen Arbeiten liegen Bücher auf, in welche das Pu-
blikum seine Meinung eintragen soll, und auch in den
neuen öffentlichen Gebäuden, zu deren Schmuck die Ar-
beiten bestimmt sind, werden die Künstler Mittelpunkt von
Diskussionen werden, wie sie es in solcher Breite bei uns
nie zu werden vermögen.
Walther Schulz
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25. Kunstausstellung in Moskau
In Moskau waren kürzlich die Arbeiten von Künstlern
ausgestellt, welche vom Ministerium für Bildungswesen in
die neuen Aufbaugebiete der Industrie und Landwirtschaft
gesandt sind. Diese Beauftragung ist bezeichnend für die
Erfüllung der Aufgaben: Künstler stellen sich in den Dienst
des Staates, um von ihrer Seite an der Vertiefung des
Staatsgedankens im Volk mitzuarbeiten, das Bewußtsein
um die gestellten gemeinschaftlichen Aufgaben des Auf-
baus zu stärken, die Begeisterung dafür zu entfachen und
um die verlorene Verbindung des Volkes mit der Kunst
wieder herzustellen. Es ist dies keine freiwillige Indienst-
stellung, sondern eine im Rahmen des Sowjetstaates selbst-
verständliche Notwendigkeit, daß jeder Einzelne eine plan-
mäßige Funktion im Staatsbetrieb erfüllt, die von Seiten
seines Berufes her dazu beiträgt, das Weltbild zu
schließen, welches ohne ihn eine Lücke aufweisen würde.
Es ist der ungeheure Vorzug der Mentalität der Sowjet-
union gegenüber westlichen Staaten, daß es nur dieses
eine Weltbild gibt, vergleichbar der Kirche im Mittelalter,
dem sich alle Individuen unterordnen, in welchem alle
Kräfte potenziert werden zur Zeugung eines machtvollen
Staatswillens. Aber wer sich diesem Willen entzieht,
wessen Individualität nicht aufgeht in diesem Weltbild,
der hat als Nichtarbeiter auch nichts zu essen und erlebt
dieselbe Tragik des Lebens, wie jeder westliche Mensch,
den seine innere Stimme abseits der großen Straße führt.
Man kann daher von einer solchen Ausstellung nichts
anderes erwarten als den Querschnitt auf einer mittleren
Linie, die nur geringe Ausschläge nach oben aufweist.
Die Auswahl der Ausstellungsstücke erfolgt dement-
sprechend unter wesentlich anderen Gesichtspunkten als
sie uns vertraut sind. Der Katalog zur Ausstellung macht
uns in seinen Vorbemerkungen mit der Mentalität der
Jury vertraut, indem er gleichzeitig Auskunft über die Art
der Beauftragung gibt. Die Künstler werden in die Auf-
baugebiete der Industrie und in die neuen vergesellschaft-
lichten landwirtschaftlichen Güter entsandt mit dem Auf-
trag, den Geist der proletarischen Revolution, wie er sich
dort äußert, zu erkennen und in ihren Bildern und Plasti-
ken möglichst stark zum Ausdruck zu bringen. Dieser Re-
volutionsgeist muß sie selbst beseelen, so daß sie gerne
ihrer persönlichen Freiheit entsagen, die im bourgeoisen
Sinne willkürlich ist, und da keinem großen Staatsgedan-
ken unterstellt, unkristallisiert, anarchistisch.
Durch das Untertauchen in der Gemeinschaft, im brüder-
lichen Kollektivgedanken, erfahren sie die Wiedergeburt
einer neuen Freiheit, die auf einer höheren Stufe zwar
gebunden, doch eine Richtung kennt und nicht der Gefahr
der Selbstzerstörung preisgegeben ist, die gerade in der
gegenwärtigen Zeit im westlichen Abendland so augen-
fällig sich manifestiert.
Entsprechend den Opfern, die der Staat für die Beauf-
tragung auf sich nimmt, erwartet er auch Gegenleistungen,
und der Katalog nennt unverblümt die Namen derer,
welche in der alten bourgeoisen Freiheit befangen ge-
blieben, anderer, welche faul waren und eine nur geringe
Produktion aufweisen, und jener, welche sich nur auf ihre
Aufträge beschränkten, ohne den außerdienstlichen Auf-
trägen der gesellschaftlichen Arbeit nachzukommen, wie
sie in Form von Plakat- und Schildermalen, improvisiertem
Straßen- und Raumschmuck und dergleichen täglich an den
in USSR. Arbeitenden herantreten.
Das ausschlaggebende Kriterium für die Qualität der
Arbeiten ist also letzten Endes ein inhaltlich geistiges und
kein ästhetisch formales. Darin wird auch immer wieder
der große Unterschied der revolutionären Kunst gegen-
über der westlich-bourgeoisen betont. So gesehen, bringt
die Ausstellung allerdings keinen Messias, auch kaum
Vorläufer; es ist kein Werk vorhanden, bei welchem den
Beschauer das Erleben einer neuen geistigen Welt er-
schüttert. Vielmehr erliegen die Künstler alle der Lust am
neuen Spielzeug; sie werden alle berauscht von der
Dämonie der Technik, die mit Geknatter und Gesause
plötzlich in die weiten Breiten der allrussischen Landschaft
einzieht, Gräben und Fundamenttrichter in ihren jungfräu-
lichen Boden reißt, Hochöfen und Hallen in ihr mächtiges
Himmelsgewölbe türmt, die ihre trägen Ströme über Tal-
sperren in die Tiefe donnern läßt und die reifen Garben
der wogenden Frucht in hastende Maschinen bricht.
Es wird Jahre dauern, bis über diese, Lust das Leid der
Erkenntnis sich senkt und die Reife geboren wird, die in
der mechanischen Erfassung des gegenwärtigen Aufbaus
auf fast allen Gebieten so schmerzlich fehlt. Kindlich
Sehende zeigen bestenfalls ein Staunen, wie solch ein
Umschwung Platz greifen kann, so A. J. Igunow, der in
einer etwas unbeholfenen Darstellung eine ungeheure
Rohröffnung zeigt, durch die hindurch und neben der
vorbei man das Getriebe eines Fabrikaufbaus sieht. An-
dere, Schwerblütige, ziehen das Neue in die mystischen
Schleier der russischen Landschaft; so erreicht S.A. Lut-
schischki mit einem Morgen am Bach, einer Kolchosver-
sammlung und einem Divisionsfest Bilder mit einer starken
Spannung. I. B. Marimont zeigt in zum Teil farbigen Zeich-
nungen von Stoßarbeitern den fanatisch unbeirrbaren
Glauben der jungen Arbeitergeneration an die Revolution.
Die Übrigen jedoch können nur unter dem Gesichtspunkt
des formalen Könnens beurteilt werden.
Der Querschnitt ist dabei sehr wenig qualifiziert. Am
reifsten K. N. Korigin, dessen an alten Niederländern ge-
schultes Auge ein warmes feinabgetöntes Kolorit zum We-
sentlichen seiner gut komponierten Gruppen von Industrie-
arbeitern erhebt. In den Bildern K. F. Bogajewskis, des
Malers des Naftagebietes, spürt man stark die Unrast und
das Getriebe der technischen Zeit. Dampf zischt in die
flimmernde Luft und gelbgraue Rekordziffern lauern hin-
ter dem Wald der Bohrtürme, die sich in Sümpfen spiegeln.
Am schwächsten ist die Plastik vertreten. Sie erhebt sich
zwar erfreulicherweise über das unmögliche seitherige
Niveau der Fäuste und Fahnen schwingenden, vorwärts-
schreitenden und maulaufreißenden Revolutionäre, aber
nur I. N. Tschaikow hat eine industrielle Komposition zu-
wegegebracht, die mit einigemGeschickdasHand-in-Hand-
arbeiten einer Traktorenfabrik zeigt. An eine hochge-
zogene Mittelgruppe, den unvermeidlichen Stoßarbeiter
mit Fahne zeigend, sind fünf verschiedene Untergruppen
angegliedert, Guß, Hammer, Stanze und Montage dar-
stellend, bis vorn der fertige Traktor herausrollt.
Bei allen Arbeiten liegen Bücher auf, in welche das Pu-
blikum seine Meinung eintragen soll, und auch in den
neuen öffentlichen Gebäuden, zu deren Schmuck die Ar-
beiten bestimmt sind, werden die Künstler Mittelpunkt von
Diskussionen werden, wie sie es in solcher Breite bei uns
nie zu werden vermögen.
Walther Schulz
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