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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Schwab, Alexander: Baupolitik und Bauwirtschaft, [21]
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0342

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Baupolitik und Bauwirtschaft

Das Regierungsprogramm.

In allen menschlichen Dingen sind Erkennen und Han-
deln unlösbar ineinander verflochten. Niemand vermag
zu bestimmen, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit
das wirtschaftliche Programm der Reichsregierung als
durchführbar anzusehen ist. Denn dieses Programm,
fußend auf einem bestimmten Erkenntnisbild der Wirk-
lichkeit, ändert dieses Bild bereits vom ersten Augenblick
seiner Verkündung an. Eine neue Rechnung muß begin-
nen, und in diese Rechnung müßten politische und soziale
Faktoren eingesetzt werden, deren Stärke und Richtung
zunächst hypothetisch bleibt, deren Untersuchung außer-
dem an diese Stelle nicht gehört.

Mit diesen Einschränkungen sind dennoch einige Be-
merkungen zum Regierungsprogramm nötig, einfach weil
es, kraft der hinter ihm stehenden Machtfülle, auf einige
Zeit ein Stück gesellschaftlichen Schicksals für jeden Wirt-
schaftszweig bedeutet.

Eine wesentliche Voraussetzung des Programms ist die
Annahme, daß die tiefste Sohle des Krisentals erreicht sei,
und daß nunmehr die Aktion der Regierung den Anschluß
an eine allmählich aufsteigende Welle neuer Konjunktur
erreichen und beschleunigen könne. Der Einsatz von rund
2 200 Millionen öffentlicher Mittel, die auf dem Wege der
Steueranrechnungsscheine der Wirtschaft zur Verfügung
gestellt werden sollen, wäre allerdings in der Größen-
ordnung wohl ausreichend, um etwa für ein Jahr auszu-
reichen. Das Tempo aber, in dem nach einer Krise von
solchem Umfang und solcher Tiefe das Wirtschaftsleben
sich wieder erholen kann, muß als außerordentlich lang-
sam eingeschätzt werden. Und die Anzeichen, die gegen-
wärtig als Vorboten einer Erholung gedeutet werden, ge-
währen keineswegs eine volle Sicherheit der Prognose.
Die Hausse an den Börsen, begonnen und bisher am
stärksten entwickelt in New York, ist kein Beweis für
Besserungstatsachen, sondern vorläufig nur für Besse-
rungshoffnungen, d. h. also stark spekulativ. Das An-
ziehen der Preise für einzelne wichtige Rohstoffe mag
schon etwas mehr zu besagen haben, doch hat es eben-
falls erst vor kurzem begonnen und ist starken Rückschlä-
gen infolge der darniederliegenden Kaufkraft der Kon-
sumenten in der ganzen Welt ausgesetzt. Für die deutsche
Wirtschaft insbesondere wäre sogar die Fortsetzung die-
ser Preisentwicklung nicht unbedenklich, da — wie die D-D-
Bank in ihren wirtschaftlichen Mitteilungen mit Recht an-
deutet — Deutschland seine ausländischen Rohstoffeinfuh-
ren mit der Ausfuhr von Fertigfabrikaten bezahlen muß,
deren Preise hinter etwa steigenden Rohstoffpreisen auf
lange Zeit nachhinken werden.

Das entscheidende Zeichen kommender Konjunktur-
besserung wäre nach klassischer Lehre eine Verstärkung
der Investitionstätigkeit. Das Baugewerbe müßte sie zu-
erst spüren. Die Leser dieser Blätter auch nur zu fragen,
ob sie etwas von Belebung des Baumarktes merken, hieße
nichts weiter als das Messer noch einmal in der Wunde
herumdrehen, über die individuelle Erfahrung hinaus zei-
gen auch die konkreten Zahlen, also etwa der Tiefstand der
Beschäftigung im Baugewerbe, in den Ziegeleien, in den
Bautischlereien, daß von einer Belebung bis jetzt über-
haupt nicht die Rede sein kann.

Schließlich bleibt für die allgemeine Perspektive die
Frage des Außenhandels zu erwähnen. Die Gesamtlinie
des Regierungsprogramms auf diesem Gebiet ist noch
nicht klar erkennbar. Feierliche Ablehnung der hundert-
prozentigen Autarkie bedeutet nicht viel, kaum mehr

als feierliches Bekenntnis zum hundertprozentigen Frei-
handel — das niemand erwartet — bedeuten würde.
Doch scheint im ganzen der Grundsatz, den Binnenmarkt
zu schützen, den ersten Platz in den Erwägungen einzu-
nehmen. Das Gesetz des Handelns ist der Regierung ge-
rade auf diesem Gebiet weitgehend vorgeschrieben.
Denn offenbar kann von der so oft geforderten Wieder-
kehr des Vertrauens als Basis des internationalen Güter-
und Kapitalaustausches noch nicht die Rede sein, vielmehr
ist die gegenseitige Absperrung der Märkte, trotz aller
Gutachten und Proklamationen, noch immer auf der gan-
zen Welt das Kennzeichen der Epoche. Von hier aus muß
also die Ankündigung besserer Zeiten noch als recht frag-
würdig betrachtet werden, und nur eine Folgerung ist
möglich: daß nämlich in solchen Zeiten jeder Exporteur mit
Furcht und Zittern um jeden Markt und jeden einzelnen
Auslandskunden sorgen muß, was auch immer seine
eigene Regierung tun mag.

Die finanzielle Grundlage des Programms ist jene be-
achtliche Erfindung der Steueranrechnungsscheine. In ihr
sind bekanntlich zwei Dinge verkoppelt: die teilweise Rück-
gewähr künftiger Steuern und die gegenwärtige Mobili-
sierung dieser künftigen Steuernachlässe. Der Gedanke
ist nicht nur wegen der Größenordnung kühn, sondern
mehr noch wegen des Vorausgriffs in die Zukunft, in dem
unleugbar ein spekulatives Element sichtbar wird. Jede
Spekulation hat ihre Gefahren, aber in diesem Falle wür-
den wenigstens die unmittelbaren Gefahren zunächst die
Reichsfinanzen und nicht die Wirtschaft bedrohen. An-
dere Pläne dagegen, von denen zeitweise die Rede war,
und die — sicherlich zum Teil dank der unbeirrbar sicheren
Haltung des Reichsbankpräsidenten Dr. Luther — beiseite-
geschoben wurden, hätten eine unmittelbare Bedrohung
aller Produzenten, wenn nicht sogar der Währung be-
deutet.

Arbeitsbeschaffung und Siedlung.

Wieder einmal wird das Wort Arbeitsbeschaffung
groß geschrieben. Der Hauptteil der praktischen Aus-
wirkung liegt auf dem Gebiet des Tiefbaus und der
Reichsbahnaufträge. Daneben aber werden für Repa-
raturen am Hausbesitz 50 Millionen ausgeworfen. Man
nimmt an, daß sich hier, wie auch auf andern Ge-
bieten der Wirtschaft, ein größerer „Erhaltungsbedarf"
aufgestaut hat. Das mag stimmen. Aber man hat dabei
übersehen, daß der eigentliche Mißstand unsrer Woh-
nungswirtschaft sich nicht im abblätternden Putz von Miets-
hausfassaden zeigt, sondern in ganz andern Dingen:
nach wie vor steht neben einem Überangebot vor allem
von großen und zu teuren Wohnungen im Innern der
Städte ein ungedeckter Bedarf von mindestens einer
Million billiger Wohnungen gegenüber; Ausmaß und ver-
heerende Wirkung des Wohnungselends hat eben erst
wieder Viktor N o a c k in einer verdienstlichen Schrift
dargestellt. Und neben diesem dringenden Notbedarf
steht der weitere Bedarf aus biologischen Ursachen, die
sich in dem unaufhaltsamen Hinausdrängen der Volks-
massen aus den Stadtkernen aussprechen. Diesem Drän-
gen einen breiten Weg zu öffnen, das wäre ein klarerer
Beweis einer grundsätzlich neuen Art der Staatsführung
als die Neuherrichtung von Fassaden unvermietbarer
Mietskasernen. Statt dessen aber hat man den Reichs-
kommissar für vorstädtische Kleinsiedlung mit seinen sehr
nützlichen besonderen Vollmachten beseitigt, hat seine
Aufgaben dem Reichsarbeitsministerium übertragen, und

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