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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Häring, Hugo: Versuch einer Orientierung: Vortrag des Architekten Hugo Häring, Berlin, auf der 20. Jahresversammlung des Österreichischen Werkbundes
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0258

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Versuch einer Orientierung

Vortrag des Architekten Hugo Höring, Berlin, auf der 20. Jahresversammlung des österreichischen Werkbundes in Wien, am 7. Juni 1932

Außerhalb des ganzen Kuiturgetues hat sich seit Ur-
zeiten, sozusagen mit dem Menschengeschlecht zugleich
geboren, ein Gestaltungsprinzip behauptet, das als eine
elementare Macht von den Menschen nicht erst erfunden,
sondern nur erkannt zu werden brauchte; man könnte
auch sagen, daß es als eine Fortsetzung der gestaltenden
Macht der Natur durch den Menschen, ja nicht nur durch
den Menschen, sondern auch durch die Tiere selbst wirk-
scm ist. Es ist das Gestaitungsprinzip der bauenden Na-
tur selbst, Gestalt als Organ der Lebenserfüllung. Ihm ver-
danken wir die Gestalt der für den Lebenskampf als
Organe gebrauchten, zum Organ geschaffenen Werk-
zeuge, Geräte, Waffen usw. So entstanden die Gebilde,
die durch Eigenschaften ihrer materiellen Beschaffenheit
sowohl als durch ihre Gestalt geeignet sind zu bestimmter
Leistungserfüllung, Schöpfungen des Menschen, geworden
wie die Schöpfungen der Natur, nicht um eines Ausdrucks
willen, sondern einer Leistungserfüllung wegen. Dieses
organhafte Werden von Gerät, Waffe, Werkzeug, von
Behausung und Bekleidung wird aber offenbar früh schon
und fast überall gestört, gestört nur bei den Menschen,
nicht auch bei den Tieren, gestört insbesondere durch Ab-
sichten eben auf besondere Ausdruckswirkungen. Der Leib
der Geräte und Waffen wird, wie der der Menschen, be-
malt und geschmückt, in sein Fleisch werden allerlei Zei-
chen eingekerbt, die später zu Ornamenten entarten, er
wird tätowiert und verbeult. Die Gestalt von Gefäßen wird
der Gestalt von Vögeln und Tieren angeglichen und statt
aus einem Becher trinkt man jetzt aus dem hohlen Leib
einer Kröte. So ward das Kunstgewerbe erfunden und hat
die Menschheit auf ihrem Wege durch Kulturen seither

nicht mehr verlassen. Die Art der Tätowierungen und die
Art der Umbildungen haben im Laufe der Zeiten tausend-
fach gewechselt und immer neue Gründe wurden für die
Mißhandlung und die Unterwerfung der reinen Gestalten
der Leistungserfüllung ausgedacht. Es fehlt uns leider noch
die Geschichte der reinen Gestalt der Leistungserfüllung,
sie zu schreiben, wäre eine Aufgabe vielleicht mehr für
Naturforscher als für Kunsthistoriker, die sich ja lieber da-
mit abgeben, die Geschichte der unreinen Gestalten zu er-
forschen. Die wenigen reinen Gestalten der Leistungs-
erfüllung, die wir kennen, verbringen ihr ganzes Leben so-
zusagen vollkommen außerhalb der Kulturen, als unbe-
achtete, minderwertige, einer höheren Kultivierung eben
nicht werte und nicht zugängige Geschöpfe, und deshalb
finden wir sie in den hohen Kulturen vorzugsweise auch
nur bei den untersten Volksschichten, die sich den Metho-
den der höheren Kultivierung im allgemeinen ebenfalls
gern entzogen. In den Schichten der jeweils besseren Ge-
sellschaft aber läßt man der Gestalt als Form der Leistungs-
erfüllung nur dann Raum, wenn dem harten Kampf um das
Leben besondere Wichtigkeit beigemessen wird, in wel-
chem Falle auch diese Schichten die Verbeugungen vor
ihrem hohen Kulturideal zeitweilig vergessen, was etwa
bei Festungsbauten der Fall ist. Das tägliche Gebrauchs-
gerät des armen Mannes, sein Napf, sein Pflug, seine Axt
und seine Arbeitskleidung, genießt indessen das volle
Glück, von den kulturellen Ansprüchen an einen besonde-
ren Ausdruck verschont zu bleiben.

Eine besondere Gegnerschaft erstand der Form der
Leistungserfüllung in der Geometrie. Der menschliche Er-
findungsgeist hatte sich mit viel Erfolg die vielerlei Bau-

Wohnraum mit eingebauter Schrankwand des Hauses von Walter Loos, Wien

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