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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0124

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Rundschau

Erwerbslosensiedlung

ADOLF RADING

Der Gedanke einer Erwerbslosensiedlung hat sich un-
zweifelhaft aus der Erkenntnis ergeben, daß es unmög-
lich ist, auf die Dauer etwa ein Drittel eines Volkes als
Wohlfahrtsempfänger anzusehen, und vielleicht aus einer
leichten Angst, was alles geschehen könnte, wenn diese
Volksmassen in Bewegung gerieten.

Man hoffte vielleicht, zwei Fliegen mit einer Klappe
zu schlagen, dieses Heer von Menschen

1. bodenständig zu machen, durch Zersplitterung seine
Kraft zu brechen,

2. es wenigstens in den Produktionsgang so weit ein-
zubeziehen, daß seine Ernährung durch eigene Arbeit
gesichert wäre.

Und man hat offenbar geglaubt, daß hiermit und auf
diese Weise verhältnismäßig einfach dieses im Augen-
blick fast lebenswichtigste Problem zu lösen wäre.

Man versucht wirklich alien Ernstes, die Erwerbslosen-
siedlung mit den gewohnten wirtschaftlichen Mitteln auf-
zuziehen, d. h. sie als Glied der heute noch üblichen
Gewinnwirtschaft anzusehen. Genau so, wie man seit
Jahren die gesamte Erwerbslosenfürsorge auf dieser
Grundlage aufzieht, nur weil man glaubt, das Ende
dieser Wirtschaft vermeiden zu können.

Diese Vorgänge sind bekannt; interessant aber, daß
eben in dieser Fürsorge und auch in der Erwerbslosen-
siedlung schon Rudimente einer neuen Wirtschaft sich
zeigen. Interessant besonders, daß immer noch nicht der
gestaltende Versuch einer klaren Trennung beider Wirt-
schaftsformen und damit ein Wirtschaftsaufbau unter-
nommen wurde, sondern ernsthaft seit Monaten und
Jahren dieses hoffnungslose Durcheinanderwürfeln
verschiedener Wirtschaftsformen als Wirtschaftsführung
ausgegeben wird.

Man beschäftigt sich mit den Wirkungen, statt den Ur-
sachen nachzugehen. Die Erwerbslosensiedlung kann
wesentlicher Teil einer neuen Wirtschaft sein; wenn aber
die völlige Aussonderung von Millionen von Industrie-
arbeitern aus dem Produktionsvorgang als gottgegeben
angesehen wird, und wenn obendrein dieser Vorgang
durch Proklamierung allgemeiner Bedürfnislosigkeit noch
beschleunigt wird, und wenn schließlich diese Unglück-
lichen, mit einem Schwein, einer Ziege und ein paar
Hühnern bedacht, auf Land gesetzt werden, dann aller-
dings wäre die Katastrophe bald fertig.

Eine Entwicklung kann wohl um Jahre zurückgeworfen
werden, aber nicht um viele Jahrhunderte.

Unsere ganze Wirtschaft droht zusammenzubrechen,
weil sie mehr und mehr von Geld und Wirtschaft (d. h.
Gewinn) ausging und immer weniger vom Menschen. Aber
wie man sieht, kommt sie um den Menschen nicht herum;
sie ist genötigt, sich nun im Erwerbslosenproblem zwangs-
weise um den Menschen zu kümmern.

Wenn man versucht, eine neue Wirtschaft, eine Wirt-
schaft unserer Zeit aufzubauen, wird man nicht von Geld
und Wirtschaft, sondern vom Menschen ausgehen
müssen.

Das ist ganz natürlich, denn selbstverständlich ist der
Mensch das Primäre und wird es immer bleiben, denn
auch alle überpersönlichen Konstruktionen müssen
„menschlich" bleiben. Geld und Wirtschaft sind um des
Menschen willen da, nicht Selbstzweck. Wer auch immer
sie zum Selbstzweck werden läßt, ohne an die Menschen
zu denken, gehört nicht in die menschliche Gesellschaft.

Wie ist heute die Situation? Wir leben wieder im
Kriege. Im Kriege insofern, als wieder ein Heer von vielen
Millionen, ein noch größeres als damals, fern von dem
gültigen normalen Leben sein eigenes führt. Losgelöst
aus der gewohnten menschlichen Gemeinschaft, mit der
es kaum etwas verbindet als der ihm ausgezahlte Sold.
Denn Helligkeit, Wärme, die strahlenden, gefüllten Lä-
den, Vergnügungen, ja selbst die Natur existieren für
diese Menschen nicht. Dies alles ist ihnen unerreichbar.
Dieses Heer ist seit über zwei Jahren mobil, es wächst
von Tag zu Tag, und es wird ebensowenig zur Ruhe
kommen wie das aus dem Kriege, das noch heute die
Unruhe des Nachkriegslebens ist.

Beide, der Soldat des Krieges und der Soldat der
Wirtschaft, sind zu sehr entwurzelt, zu sehr aus ihrer
Bahn gerissen, als daß sie in das alte Leben zurückfinden
könnten. Es liegt ja auch so, daß eben dieses alte Leben
sie aussonderte, sie nicht mehr brauchte und sie vor die
Aufgabe stellte, sich ein neues Leben zu gestalten.

Kennzeichnend für dieses Leben war, daß es nicht auf
den alten Wirtschaftsgesetzen sich aufbaute. Es hatte
mit Wirtschaft im alten Sinne überhaupt nichts mehr zu
tun, das Wesentliche seines Inhaltes war ein mensch-
liches Sicheinrichten, nicht ein wirtschaftliches, und genau
so liegt es heute im Erwerbslosenheer.

Ein neues Leben einrichten — ein Leben, wie es unsere
Zeit unerbittlich fordert, das sind Aufgaben, wie sie seit
dem Dreißigjährigen Kriege nicht mehr gestellt waren,
und das aus ihnen erwachsende Leben wird Grundlage
einer neuen Wirtschaft sein.

Das menschliche Sicheinrichtenmüssen ist das Kenn-
zeichnende der neuen Lage. Was liegt näher, als heute
auf die bekannte und ähnliche Situation im Kriege sich
zu besinnen. Und so erleben wir — seit Jahren schon
und nun immer stärker — die Nachahmung der Kriegs-
organisation, Zusammenfassungen, ganz ähnlich den
Heeresverbänden, psychische Einstellungen, die den da-
maligen ähneln. Soldatenspielerei überall.

Natürlich wird in diesem Zusammenhang auch die
Erwerbslosensiedlung erörtert. Wir werden sicherlich
Versuche erleben, dieses Siedlungsproblem durch so-
genannten freiwilligen Arbeitsdienst — also durch Ein-

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