Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

DOI Artikel:
Ein neues Möbelbuch
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0236

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ein neues Möbelbuch

Erich Dieckmann, der aus dem Bauhaus hervor-
gegangen ist, und die Möbelklasse der Bauhochschule
Weimar bis zu deren Auflösung leitete, seit kurzem mit
gleicher Aufgabe an der Kunstgewerbeschule Burg-Gie-
bichenstein in Halle an der Saale tätig, hat im Verlag
Julius Hoffmann, Stuttgart, ein Buch „ M ö be I b a u
in Holz, Rohr und Stahl" herausgebracht, das
als 11. Band der ausgezeichneten „Baubücher"-Serie des
Hoffmannschen Verlages erscheint. Das Dieckmannsche
Buch ordnet alle bisherigen Arbeiten des Verfassers nach
den Grundsätzen einer aesthetischen Geometrie, die
Körpermöbel, Flächenmöbel und Gliedermöbel unter-
scheidet und aus den systematisch verfolgten Kombina-
tionen der geometrischen Grundformen die Varianten der
einzelnen Gebrauchstypen gewinnt. Zugleich gibt das
Buch einen Einblick in die Art der Lehrtätigkeit Dieckmanns
durch Deutlichmachung dieser Überlegungen in zeichne-
rischen, von erklärenden Texten begleiteten Übersichten,
die die Herkunft dieser Formen aus geometrischen Vor-
stellungen, aus einer zweckfreien plastischen Kunstübung
noch schärfer erkennen lassen. Es ist für diese Art der
Gestaltung nur konsequent, wenn Dieckmann gelegentlich
von Möbel fassaden spricht: das alte, das Gebrauchs-
möbel zum Kunstwerk monumentalisierende Prinzip hat
in dieser geometrischen Formensprache nur eine dekora-
tive Abwandlung erfahren, es lebt in den neuen For-
men noch immer fort.

Dieckmann hat eine ganze Reihe ausgezeichneter Ar-
beiten geschaffen: ruhige sachliche Möbel, die eine ge-
sunde Verbindung mit der handwerklichen Tradition und
klare grundsätzliche Überlegungen über die Funktion des
heutigen Möbels und über heutige Verarbeitungs-
methoden erweisen. Aber immer wieder tauchen auch
Möbel auf, die — zwar scheinbar ornamentlos — durch
ihre Monumentalität und ihre über das sachliche Bedürfnis
weit hinausgehende Massivität als Ganzes zum Ornament
werden. Möbel, deren Schwere zu der Knappheit und
Exaktheit jener Formen, die ohne jede Materialver-
schwendung mit geringstem Aufwand ihr Ziel zu erreichen
suchen, in einem frappanten Widerspruch steht. Diese
monumentalisierten Möbel sind zum größten Teil Einzel-
anfertigungen, bei denen immer wieder der Wunsch nach
individueller Form und nach besitzfreudiger „Gediegen-
heit" auftaucht, die das sachlich Notwendige vor allem im
Materialaufwand weit hinter sich läßt, das Möbel zum
Dokument des Wohlstandes des Besitzers, zu einem in
pseudosachlichen Formen ausgedrückten individuellen
Ornament macht. Unter den Typenmöbeln hingegen ist
eine große Zahl klarer knapper Formen, vor allem unter
den Holztypenmöbeln, während die Stahl- und Rohrmöbel
teilweise die konstruktiven Möglichkeiten übersteigern: es
gibt Typen, die wie „Laokoon mit seinen Söhnen" ein
kunstvolles Flechtwerk aufführen, das neben seinem spiele-
rischen Formreiz — dies sei anerkannt — auch einem be-
quemen Sitzen dient. Auch dieses individuelle Spiel mit
der Form erklärt sich z.T. aus wirtschaftlichen Bedingun-

gen: Dieckmann hat für die verschiedensten Firmen
Modelle für gleiche Zwecke angefertigt, wodurch sich
notwendig ein Abirren in individuelle Variationen ergab,
und Dieckmann von der im Serienmöbel heute dringend-
sten Aufgabe, den wirklichen Standard zu fixieren — einer
Aufgabe, die er zeitweise auch verfolgt hat — abgelenkt
wurde. Es ist charakteristisch, daß nur selten die letzten
Entwürfe, meistens die ersten die gesundesten Form-
gebungen zeigen.

Aus all dem ist zu entnehmen, daß ein Mann wie Dieck-
mann seine Lehraufgabe für ein auf die Befriedigung
individueller Wünsche gerichtetes Gewerbe, das gleich-
zeitig dem Zug der Zeit nach anonymer „Sachlichkeit"
nachgeben möchte, sehr gut erfüllt, daß aber seine eigent-
lichste Fähigkeit, an der Entwicklung des Standards der
Möbeltypen mitzuwirken, durch seine bisherige Tätigkeit
nur teilweise Förderung erhalten hat. Der innere Kon-
flikt findet auch in den theoretischen Darlegungen seinen
Niederschlag, die nur teilweise von den handwerklichen
Möglichkeiten ausgehen, die Variationen des Formtypus im
wesentlichen auf Grund geometrischer Vorstellungen fixie-
ren, wodurch die ornamentale Grundhaltung das Über-
gewicht gegenüber einem zweckbestimmten Möbelbau
erhält, der solche Stilforderungen an den Anfang zu
stellen sich versagen müßte. An Stelle dieses Denkens in
geometrisch - konstruktivistischen Vorstellungen, die der
freien Kunst und nicht dem Gebrauchsgegenstand zuge-
hören, bleibt auch heute noch der Besitz an vollkommenen,
z.T. Jahrhunderte alten, aber noch als lebendig emp-
fundenen Typen die Voraussetzung für jede Weiterarbeit.

Mit diesen Anmerkungen, die sich auf die Entscheidung
zwischen Kunstgewerbe und Gebrauchsgegenstand, die
offenbar noch immer nicht ausgetragen ist, beziehen, soll
die formschöpferische Leistung Dieckmanns nicht verkannt
werden. Der Konflikt, den wir aufzuzeigen versuchten, ist
ja durch den Einzelnen überhaupt kaum lösbar, er ist be-
dingt durch den Widerspruch unserer geistigen Überzeu-
gungen mit heutigen wirtschaftlichen Organisationsformen.

Zum Schluß sei noch vermerkt, daß das Buch trotz seiner
systematischen Einrichtung zugleich eine Art Katalog der
bisherigen Arbeit Dieckmanns darstellt, die sich seit dem
Jahre 1926 für die Fabrikation des Typenmöbels auswirkt.
Die Typenmöbel, die er seinerzeit für die Bauhochschule
Weimar geschaffen hat, werden heute durch die Bau- und
Wohnungskunst-G.m.b.H. Weimar vertrieben, außerdem
hat er Möbel für die Büromöbelfabrik S.Gutmann in Nürn-
berg, für Thonet, für die Carl Beck & Alfred Schulze A.G.,
Ohrdruf, Thür., für F. Kerber, Coburg, und D. Bamberger,
Lichtenfels, geschaffen. Die Typen erstrecken sich, wie
schon der Titel andeutet, auf das ganze Gebiet der
Kastenmöbel, Sitzmöbei und Tische unter Verwendung
aller Herstellungsarten. Während Dieckmann sich anfangs
auf das Holzmöbel konzentrierte, ist er in den letzten
Jahren über das Rohrmöbel zum Stahlmöbel überge-
gangen. BIER

Mitarbeiter dieses Heftes:

Otto Haesler, Celle, Architekt
Roger Ginsburger, Paris, Architekt

Dr. Alexander Schwab, Berlin, Volkswirtschaftlicher Schriftsteller

Dr. Walter Dexel, Magdeburg, Maler, Gebrauchsgrafiker

Dr. Justus Bier, Künstlerischer Leiter der Kestner-Gesellschaft E. V., Hannover

200
 
Annotationen