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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Schwab, Alexander: Baupolitik und Bauwirtschaft, [20]
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0235

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ausgedrückt wurde. Noch immer lebt bei Architekten wie
bei Angehörigen des Baugewerbes die Meinung, die Re-
gierung brauche nur das „Schlüsselgewerbe" in Nahrung
zu setzen, und alles werde sich zum Besseren wenden. Ein
Rattenkönig von Irrtümern! Die bekannte These, daß das
Baugewerbe ein Schlüsselgewerbe sei, ist zwar richtig, hat
aber nur konstatierenden Charakter, höchstens vielleicht
einen gewissen analytischen Wert, keinesfalls aber die Be-
deutung einer Gebrauchsanweisung. Eine Konjunktur-
belebung, wenn sie kommt, setzt ein in der baulichen
Produktion und wirkt von da aus weiter. Das ist so, man
kann es beobachten — aber man kann es nicht
machen. Bisher wenigstens nicht. Das Bild, das hinter
dem Wort steckt, ist irreführend: den Schlüssel, der das
Tor der besseren Konjunktur aufschließt, haben wir bisher
nicht in der Hand. Soweit ist die rationale Konstruktion
unserer Gesellschaff noch nicht gediehen. Am wenigsten
hat ihn eine Regierung in der Hand, die schließlich nicht
umhin kann, die Grundsätze des Privateigentums und der
freien Wirtschaft als Grundlagen ihrer gesamten Existenz
und Tätigkeit zu respektieren.

Es ist an dieser Stelle mehrfach der Satz ausgesprochen
worden: Ein Volk, das nicht baut, stirbt. Wohl-
gemerkt: ein Volk — nicht etwa: eine Regierung.
Auch dieser Satz ist gewiß vor allem eine trockene Kon-
statierung. Aber er ist außerdem ein Appell an die tiefer-
liegenden lebendigen Kräfte, von denen allein schließlich
auch jede Regierung lebt.

Und das eben ist der entscheidende Irrtum all solcher
Kundgebungen und Appelle der Architekten und der Bau-
wirtschaft an die Regierung, das ist die Ursache des Ge-
fühls der Leere und Ziellosigkeit, dem der Beobachter an-
heimfällt: die Petenten und Demonstranten treten auf als
isolierter „Stand", fordern von der Regierung Aufträge,
fordern für sich Wirtschaftsfreiheit und steuerliche Ent-
lastung, fordern damit gleichzeitig, ohne es auszusprechen
und vielleicht ohne es zu denken, für die andern Wirt-
schaftsgruppen Mehrbelastung, Entzug von Kapital, und
das heißt: verstärkte staatliche Einschränkung der Wirt-
schaftsfreiheit — und behaupten, mit diesen widerspruchs-
vollen Rezepten sei die Wirtschaftskrise zu lösen.

Wie sollte man nicht die Stimmung verstehen, die hinter
alledem fühlbar wird. Natürlich: jeder will leben, jeder
will etwas zu tun haben. Aber so geht es nicht. Die Isolie-
rung führt immer tiefer in Widersprüche und Irrtümer hin-
ein. Kein Produktionszweig ist um seiner selbst willen da,
auch die bauliche Produktion nicht. Jeder kann auf die
Dauer nur leben als ein dienendes Glied im Ganzen, als
ein Faktor zur Deckung des Bedarfs. Während deutlich
sichtbar die Wirtschaft aller entwickelten Länder der Erde
nicht mehr imstande ist, die Brücke zwischen Produktion
und Bedarf zu schlagen, während bei wachsender Armut
aller Völker wachsenden Millionenmassen verboten wird,
die Armut durch Produktion von Gütern zu beseitigen,
während alle Zeichen unmißverständlich hinweisen auf die
Notwendigkeit eines weltgeschichtlichen Umbaus auf dem
natürlichen Fundament des Bedarfs — in demselben
Augenblick wissen die Männer des Bauens nichts besseres
als einen Appell an die Regierung um Aufträge. Und wenn
man ihnen sagt, daß sie vom Ganzen und seinem Schick-
sal abhängen — nun, sie hören's nicht gerne, und ein paar
von ihnen lachen.

Das Volk baut.

Inzwischen sucht, durch das Geröll und Gestrüpp der
Krise, der Bedarf sich seinen mühseligen Pfad. Die S t a d t-
randsiedlungen, die Kleingartensiedlungen aller
Art wachsen, die Schwarzarbeit wächst, der frei-
willige Arbeitsdienst wächst ständig. Nichts ist
zurückzunehmen von der Kritik, die, wenn auch in der
Form zahlreicher Fragezeichen, den offiziellen Plänen der
Erwerbslosensiedlung im Januarheft dieser Zeitschrift ent-
gegengesetzt wurde. Dem freiwilligen Arbeitsdienst eine
weitere Legion solcher Fragezeichen auf den Hals zu
hetzen, wäre eine Kleinigkeit. Uber die Schwarzarbeit, die
ihren Pranger schon im Namen mit sich herumschleppt,
nachher noch ein Wort.

Aber jedes Ding hat eben seine zwei Seiten. Es ist der
elementare Wille des Volks, zu bauen, seinem Bedarf ge-
mäß zu bauen, der sich in allen diesen Erscheinungen
durchsetzt. Die amtlich begünstigten Formen, Erwerbslosen-
siedlung und Arbeitsdienst, sind zuerst nicht amtlich ge-
schaffen worden, sondern freier Initiative entsprungen; die
offiziell verfemte Schwarzarbeit läßt sich durch alle amt-
lichen Kontrollen und Strafen nicht ausrotten. Das Volk
baut sich Wohnungen aus Eisenbahnwaggons, aus Ab-
bruchmaterial, aus Wellblech und alten Kisten. Es nimmt
dazu keine Architekten, und meist nicht einmal Handwerks-
meister. Es baut genossenschaftlich, in der Gemeinschaft
des Elends, der Verzweiflung, der letzten Kraftanstren-
gung, gemeinsam mit arbeitslosen Bauarbeitern aller
Handwerke, die darum doch arbeitslos bleiben, aber
wenigstens etwas zu essen und selbst ein Dach über den
Kopf kriegen. Das Volk will nicht mehr in den Kosten seiner
Wohnung mitbezahlen die Steuern des selbständigen
Handwerksmeisters, den Zwischengewinn am Material, die
Verdienstaufschläge auf den Lohn; es will einfach nicht
mehr. Und der erwerbslose Bauarbeiter arbeitet lieber
mit seinen Schicksalsgenossen um ein Butterbrot, oder er
macht für den Privatmann Arbeiten, für die nichts als sein
Lohn bezahlt wird, als daß er auf die Beschäftigung beim
regulären Unternehmer — wartet. (Nebenbei: das nennt
man dann Schwarzarbeit. Aber wer will da im Ernst mora-
lisch verurteilen?)

Der elementare Wille des Volkes, seinem Bedarf gemäß
zu bauen, fügt sich durch diese behelfsmäßigen Methoden
in den engen Rahmen ein, der ihm durch die ständige Ver-
schlechterung der Einkommensverhältnisse gezogen ist.
Dieser elementare Wille setzt sich durch — gegen den
stets wachsenden Pauperismus. Und er wird zugleich (das
ist kein Widerspruch) vorwärtsgetrieben von eben diesem
wachsenden Pauperismus. Die Paupers fliehen aus der
Stadt, um dem drohenden Zerfall ihrer brachgelegten
Arbeitskraft, der drohenden Zerstörung der jungen Gene-
ration, der Zerreibung ihres Lebenswillens in Mietskaser-
nen und Höfen, schließlich um den Mietsforderungen des
Hauswirts zu entgehen. Diese Flucht aus der Stadt ist ein
Stück ihres Kampfes gegen die Verelendung. Der Instinkt,
der dem Kampfe gerade diese Richtung gibt, ist richtig.
Dies ist die Wahrheit über die ursprüngliche, spontane
Stadtrandsiedlung. Der Ausgang dieser wie aller Teil-
aktionen gegen die Verelendung ist unsicher. Nur Naivität
kann glauben, diese elementare Abwehraktion durch be-
hördliche Maßnahmen umwandeln zu können in Elemente
eines vermeintlichen „Neuaufbaus" auf agrarischer Grund-
lage.

ALEXANDER SCHWAB

199
 
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