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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Renner, Paul: Werkbund und Erziehung: Bericht des Ausschusses für Erziehungsfragen
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Hilberseimer, Ludwig: Werkbund und Siedlungswesen: Bericht des Ausschusses für Siedlungswesen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0391

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haftigkeit als Lehrer liegt stets im Kampf mit der Ver-
pflichtung gegen seine eigene Arbeit, also mit der Ver-
antwortung für das Pfund, mit dem jeder Begabte
wuchern soll. Brauchbar sind nur die, bei denen sich
beides die Waage hält. Denn ebenso unbrauchbar wie
der gegen sein eigenes Werk gewissenhafte, aber gegen
seine Schüler gewissenlose Künstler ist der sein eigenes
Werk ganz vernachlässigende hundertprozentige Kunst-
pädagoge. Er theoretisiert, experimentiert und hält seine
Schüler in Atem; aber er kann ihnen so wenig helfen
wie sich selbst, weil seine pädagogische Leidenschaft die
Folge seiner eigenen künstlerischen Gehemmtheit ist.

Die allerwichtigste Voraussetzung für jede erfolgreiche
Schularbeit ist die Persönlichkeit des Schulleiters. In Be-
rufs-, Fach- und Kunstschulen sollte es immer ein Mann
sein, der die Formgebung auf irgendeinem Gebiete selbst

beherrscht und der weiß, was gediegene Arbeit bedeutet.
Es genügt nicht, daß dem mächtigen Schulleiter in unter-
geordneter, beratender Stelle ein Mann zur Seite steht,
der ihn in diesen entscheidenden Fragen berät. Das Un-
glück Deutschlands ist ja diese falsche Auffassung vom
Wesen des Führers. Wir glauben immer noch, zum
Führer gehöre in erster Linie die Rattenfängerkunst, eine
große Gefolgschaft hinter sich zu bringen, und der Führer
könne sich dann schon einen Fachspezialisten halten, der
ihm sagt, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Führer
kann aber immer nur der sein, der selbst das Ziel und
den Weg dahin kennt. Es ist ein schöner Erfolg des
Werkbundes, daß sich die Schulbehörden mehr und mehr
an uns wenden, wenn sie solche Schulleiter suchen. Um
so größer ist die Verantwortung jedes Werkbundmit-
gliedes, das ein solches Amt übernommen hat.

Werkbund und Siedlun

Bericht des Ausschusses für Siedlungswesen
LUDWIG HILBERSEIMER

Der Werkbund sah bisher seine Hauptaufgabe darin,
auf das Qualitätsprinzip in der handwerklichen und indu-
striellen Produktion hinzuweisen und seine Kräfte für die
Durchführung dieses Prinzips einzusetzen. Heute muß der
Werkbund den Rahmen seiner Tätigkeit erweitern. Er
muß sich über die handwerkliche und industrielle Arbeit
hinaus solchen Gebieten zuwenden, die mit den Wand-
lungen und den damit verknüpften neuen Aufgaben der
Gesellschaft zusammenhängen.

Eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben ist
heute das Siedlungswesen. Um von vornherein alle Miß-
verständnisse auszuschalten, sei betont, daß es sich für
den Werkbund zunächst nur um das Studium dieses Pro-
blems in seinem ganzen Umfang handelt und um die Fest-
stellung, inwieweit er in diese wichtige Aufgabe einzu-
schalten ist, inwieweit er bei ihrer Durchführung seine
Ziele verfolgen, produktive Arbeit leisten kann. Geplant
ist daher zunächst eine besondere Tagung, die sich mit
diesen Aufgaben beschäftigen, sie in ihrer ganzen Pro-
blematik aufzeigen soll.

Es kann nicht überraschen, daß es heute bei einer im
Umbau begriffenen Gesellschaft über die grundlegend-
sten Fragen die widersprechendsten Meinungen gibt.
Man denke nur an die Gegensätze: Planwirtschaft oder
Individualwirtschaft, oder an den Streit um die Maschine
und ihre Folgen: Industrialisierung und Rationalisierung,
gesteigerte Produktivität und stets sinkende Konsumtion,
ein fast unüberbrückbares Mißverhältnis. Viele sind der
Meinung, die Maschine, die Technik bedeute das Ende,
den Zusammenbruch der europäisch-amerikanischen Zivi-
lisation und Kultur; andere sehen in ihr erst einen Ansatz
zu einer neuen kommenden Entwicklung, Basis ungeahn-
ter Möglichkeiten.

Nicht minder geteilt sind die Meinungen über die Er-
nährungsmöglichkeiten der Menschen. Nach Ansicht der
einen reicht die Agrarbasis für eine vermehrte Anzahl
Menschen nicht aus. Andere behaupten, die Menschheit
könne sich verhundertfachen, ohne ihre Ernährung zu ge-
fährden, wenn für die Agrarwirtschaft nur die entspre-
chenden Mittel eingesetzt werden. Viele sehen in der
kollektiven Großwirtschaft ein sicheres Mittel zur Stei-
gerung der Erträge, andere in der individuellen Klein-
wirtschaft. Schließlich wird die Kuhbauernstelle zur allein
tragbaren wirtschaftlichen Grundlage erklärt.

gswesen

Der Prozeß der industriellen Entwicklung hebt immer
mehr den Gegensatz Stadt und Land auf. Noch vor einem
Menschenalter benötigte die Industrie hauptsächlich qua-
lifizierte Arbeitskräfte, wie sie nur der großstädtische Ar-
beitsmarkt bot. Durch die technische Entwicklung, die den
qualifizierten Arbeiter immer mehr ausscheidet, ist die
Industrie nicht mehr an den großstädtischen Arbeitsmarkt
gebunden. Sie bedarf der produktionsverteuernden Groß-
stadt nicht mehr und kann sich dort ansiedeln, wo sie
günstigere Produktionsbedingungen findet. Hier vollzieht
sich ein Strukturwandel, der aus der veränderten Produk-
tion hervorgeht und sowohl Stadt wie Dorf beeinflußt,
sich städtebaulich beziehungsweise siedlungstechnisch aus-
wirkt. Im Zusammenhang damit haben sich über die
Weiterexistenz unserer heutigen Städte die entgegen-
gesetztesten Meinungen herausgebildet. Auf der einen
Seite erblickt man die Lösung in der weiter technisch ver-
vollkommneten, weiter durchmechanisierten Stadt, auf der
andern Seite hält man die vollkommene Auflösung der
Stadt für unvermeidlich.

Von der gleichen Gegensätzlichkeit sind die staats-
politischen und wirtschaftspolitischen Auffassungen. Neben
der Forderung nach Weltwirtschaft steht die der nationalen
oder regionalen Autarkie; ja sogar die autarke Familie
wird als Wirtschaftsgrundlage erwogen.

Keine dieser Fragen ist bisher entschieden. Wie die
Entscheidung aber auch fallen mag, sie wird ihren Einfluß
auf die Bildung der Siedlung geltend machen. Deshalb
ist es auch unmöglich, eine gesellschaftliche Aufgabe, wie
es die Siedlung ist, aus der Einheit herauszugreifen und
isoliert zu betrachten. Auch die Arbeit, die der Werkbund
bei dieser Aufgabe zu leisten hat, ist von dem Gesamt-
komplex der angeschnittenen Fragen und der entsprechen-
den Entscheidung abhängig.

Wenn es auch nicht Aufgabe des Werkbundes sein kann,
in den Streit der Meinungen einzugreifen, so muß er sich
doch dessen bewußt sein, daß er ohne Klärung dieser Fra-
gen nicht in der Lage ist, seineAufgabe zu erfüllen, die auch
hier wie bei seinen anderen Arbeitsgebieten darin be-
steht, darüber zu wachen, daß das Qualitätsprinzip durch-
geführt wird. Das Qualitätsprinzip ist aber nicht nur ein
Prinzip der Form, des Materials und der Arbeit, sondern
vor allem ein ethisches Prinzip, eine Verantwortung gegen-
über der Gesamtheit.

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