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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Neutra, Richard: Umbildung chinesischer Städte
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Martens, B.: Das Problem des sozialistischen Städtebaues
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0181

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um den Übergang von einem zum andern rollenden
Vehikel handelt. Moderne chinesische Stadtverwaltungen
geben sich nicht mehr zufrieden mit den (übrigens wim-
melndbelebten) Stromflächen, als den einzigen Freiräu-
men innerhalb einer dichtesten überbauung jedes Qua-
dratfußes Land. Das Modell für chinesische städtebauliche
Reformen geben Kanton und Nanking, die Experimentier-
plätze der nationalrepublikanischen Regierung.

KANTON

Die Umwallungen wurden 1919 abgebrochen. Ein unge-
mein ausgedehntes Straßenregulierungsprogramm wurde
für 3 Perioden entworfen und ist, wie auf dem beigege-
benen Plan ersichtlich, zu 80 v. H. durchgeführt. Die noch
unverwirklichten Teile sind hauptsächlich die fingerförmig
angelegten Arterien im Stadtteil Honam am linken Hsiki-
angufer, die vom Süden auf die geplanten Strombrücken
zuführen. Zwei öffentliche Parkanlagen von bedeutender
Ausdehnung sind bereits eröffnet, von denen die eine im
nördlichen Stadtquartier dem Gebäude der Gemeindever-
waltung vorgelagert ist und Freiluftkonzerten und der
öffentlichen Radiopropaganda der nationalrepublikani-
schen Partei dient. Der gegenwärtige Inselpark auf Abb.
S. 146, im Mittel eines Stadtteils von Hausbooten gelegen,
wird einer Stromuferregulierung zum Opfer gebracht. Wie
beim Hafenausbau der Bevölkerungsteil von angeblich
300 000, der zur Zeit in Sampans auf der Wasserfläche be-
weglich siedelt, umhaust wird, konnte der Verfasser nicht
verläßlich ermitteln. Es ist sicherlich ein schwieriger Umstand.
Das erstaunlicherweise und durch kühne Enteignungen ge-
schaffene Verkehrsareal zeigt sich den klimatischen Be-
dingungen weniger angepaßt als die nahezu überdach-
ten Gehwege, die im Schatten mit weitoffenen Läden und
Werkstätten von bedeutender Tiefe kommunizieren und
kilometerlange Baublöcke manchmal ungekreuzt durch-
ziehen.

NANKING

Die republikanische Regierung hat sich entschlossen,
ihren Sitz von dem geschichtlich reaktionär belasteten

Peking (jetzt Peping) nach Süden zu verlegen. Nanking
im Mittelalter mit einer Bevölkerungsziffer von 2 Millionen,
z. Zt. 500 000, ist für den gedachten Zweck im Umbau be-
griffen. Der Yangtse Kiang, an dieser Stelle eineinhalb
Kilometer weit und mit einer Fahrrinnentiefe von 50 m,
trägt vorläufig einen jährlichen Stromhandel von einer
halben Milliarde Mark. Außer diesem Strom schließt das
Weichbild den sogenannten Lotussee ein, der früher für
Flottenparaden benutzt worden sein soll.

Das nun erweiterte Metropolgebiet schließt das Purpur-
gebirge mit den Mausoleenbauten ein und enthält 525 km
städtische und 750 km anschließende Landstraßen, die
weit über die bestehenden Umwallungen hinausreichen.
Diese, selbst 33 km lang, 6—20 Meter hoch und zwischen
3 und 15 Meter breit, werden mit einer Autostraße bekrönt,
die sich durch Rampen mit den sie unterkreuzenden Radial-
straßen verbinden wird. (Entwurf Ernest P. Goodrich, New
York.) An den Punkten der vorhandenen Stadttore, wo die
Wallbreite sehr zunimmt, werden große Kraftwagenplätze
dieser Hochstraße angeschlossen. Die Bevölkerungsdichte,
jetzt 600 per Hektar, soll beträchtlich herabgedrücktwerden.

Die alte Hauptstraße CHUNG SHAN MALU, Straße der
tausend Füße, wird für den breitesten rollenden Verkehr
umbemessen. Strom- und Flughafenanlagen, ein Yangtse-
trajekt zur gegenüberliegenden Eisenbahnstation sind mit
allen Einzelheiten in einem Plan vorgesehen, dessen Kern-
punkt das Regierungsquartier der Republik bildet.

Nachtrag

Nach den kürzlichen, zum Teil wilden, zum Teil plan-
vollen japanischen Ausschreitungen gegen die praktische
chinesische Vereinigung bedaure ich, daß in meinem Auf-
satz „Umbildung chinesischer Städte" ohne besondere
Absicht immer das Wort abendländisch erscheint, wo es
richtiger allgemein fremdländisch heißen sollte. Freilich
bleibt die Tatsache bestehen, daß die japanische Mischung
einer wirtschaftlichen Ausdehnung mit dem Vehikel von
Militarismus ein getreues Spiegelbild abendländischer
Vorgangsweisen am gleichen Ort abgibt und ohne sie
kaum denkbar wäre.

Das Problem des sozia

B. MARTENS

Im Staatsverlag Moskau erschien 1930 das Buch von N.
A. Miljutin „Grundfragen der rationellen Planung von
Städten und des Städtebaues in der U.d.S.S.R.".

Miljutin geht aus von den aufgestellten Theorien von
Marx und Engels, die Lenin folgendermaßen zusammen-
gefaßt hat: „Die Vereinigung der Industrie mit der Land-
wirtschaft auf der Grundlage der angewandten Wissen-
schaften und die Verschmelzung kollektiver Arbeit mit der
neuen menschlichen Besiedlung (zwecks Vernichtung der
Weltabgeschiedenheit und Verwilderung des Dorfes einer-
seits und der widernatürlichen Zusammenballung gewalti-
ger Massen in den großen Städten andererseits)." Dem-
nach ist das Kernproblem die Aufhebung der Gegen-
sätze zwischen Stadt und Land.

Der Verfasser untersucht statistische Angaben der Staats-
plankommission und der Volkskommissariate für Gesund-
heits- und Bildungswesen und kommt zu einer Reihe von
neuen Lösungen und zur Aufstellung eines neuen Besied-
lungssystems.

Während die bestehenden Städte mit dem Markt als

listischen Städtebaues

Mittelpunkt auf der Grundlage des Handels und der
Warenwirtschaft entstanden sind und daher nicht den
Lebensnotwendigkeiten des Proletariats entsprechen, ist
für die Wahl und Anlage einer neuen Besiedlung die
Produktion maßgebend, d. h. die neue Stadt wird auf der
Grundlage der sozialistischen Wirtschaft entstehen, also
den Bedürfnissen der gesamten werktätigen Bevölkerung
Rechnung tragen.

Der Verfasser kritisiert eine Anzahl von Projekten, die
im Laufe der letzten Jahre zur Ausführung gelangt sind,
und beweist ihre unrationelle und unzeitgemäße Ge-
staltung. Er glaubt, daß für neue Stadtanlagen, im Hin-
blick auf die noch nicht festgelegten Formen des kollekti-
ven Lebens, eine standartisierte Leichtbauweise, insbeson-
dere für den Wohnungsbau, angemessen erscheint. Bei
der schnellen Entwicklung der Technik und der Evolution
der Lebensbedürfnisse kann nur eine kurzfristige Amorti-
sation auf etwa 25 Jahre angebracht sein.

Was den „neuen Stil" anbetrifft, so glaubt der Ver-
fasser, daß eine richtige Problemlösung notwendig die

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