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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Schmidt, Walther: Gewerbeerziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0144

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Gewerbeerziehung

WALTHER SCHMIDT

Erziehung ist eine Arbeit, die in der Gegenwart ge-
leistet werden muß, deren Wirkung aber sich auf die Zu-
kunft bezieht. Ja, um zukünftig wirksam werden zu
können, muß sie gewisse Züge der Zukunft vorweg-
nehmen. Erziehung erfordert also beim Erzieher ein be-
wußtes oder gefühlsmäßiges Verständnis der Verhältnisse,
in denen der Zögling stehen wird, wenn er einst selbst
wirken wird, und der Anforderungen, die einst an ihn
herantreten werden.

In Zeiten, in denen ein unbezweifelbares Traditionsgut
vom Lehrer zum Schüler weitergegeben wird, in denen
Veränderungen sich einheitlich und organisch aus der
Entwicklung der gesamten Kulturlage ergeben, in denen
die folgende Generation auf den Schultern der vorher-
gehenden steht, — in solchen Zeiten ist Erziehung kein
Problem. Es genügt hier durchaus, den Schüler das zu
lehren, was man schlechthin und gegenwärtig für richtig
hält, ihn in d e r Gesinnung zu erziehen, die für einen
selber selbstverständlich ist. Das „Zukünftige" mag der
Zeit überlassen sein, die dann auch dafür sorgt.

In Zeiten dagegen, denen die beherrschende Bindung
einer einheitlichen Kulturlage versagt ist, in denen selbst
derjenige, der fest zu stehen glaubt, sich durch unüber-
brückbare Bruchspalten von anderen getrennt fühlt, wird
Erziehung fragwürdig. Sie wird doppelt fragwürdig
durch ihre Beziehung auf das unbekannte Morgen. Ar-
beit, die heute und für das Heute zu leisten ist, mag von
einem wachen und tatkräftigen Menschen gut und richtig
aus dem Gegenwärtigen heraus geleistet werden. Sie
erfordert nur ein klares Erfassen des Bestehenden, eine
sichere Begabung, ein tüchtiges Handeln, aber sie er-
fordert kein Ziel. Erziehung aber kann in einer Zeit wie
der unseren der Erkenntnis eines Zieles nicht entbehren.

Wo heute wirksame Erziehungsarbeit geleistet wird,
beruht sie überwiegend auf der persönlichen mensch-
lichen Qualität des Erziehers. Aus der Menschlichkeit des
Erziehers heraus lernt der Zögling auch da Wege gehen,
wo ein Ziel im Dunkeln bleibt. Aber wenn ein solcher
persönlich geeigneter Erzieher zufällig Leiter einer
Schule ist, so wird er erfahren, wie fast unüberwindlich
schwer es ist, nur aus dieser Menschlichkeit heraus
andere Lehrer zu einem Wirken im gleichen Sinne zu in-
fluenzieren. Nun sind aber unsere Erziehungsaufgaben
zum größten Teil Massenaufgaben. Der Masse von Zög-
lingen entspricht eine große Anzahl von Erziehern, von
denen man wohl Kenntnisse und auch Pädagogik erwarten
kann, nicht aber durchweg jene Einfühlung in den Zögling
und jene unbegründbar sichere unmerkliche Führung, die
das Wesen des geborenen Erziehers ausmacht. Deshalb
kann heute keine Erziehung in die Breite wirken, die kein
klar erkanntes und mittelbares Ziel hat. Das Ziel be-
stimmt die Methodik der Erziehung. Die Aufstellung einer
Methodik ist notwendig, um die Menschen unserer Zeit,
damit auch die Lehrer, in der gegenwärtigen begrifflich
bestimmten Bewußtseinslage sicher zu erreichen. Die Ge-
fahr der Methodik ist die Erstarrung im System. Dieser
Gefahr läßt sich nur dadurch begegnen, daß Ziel und
Methodik von oben her stets lebendig gehalten werden
und daß dem einzelnen Erzieher noch ein genügender
menschlicher Spielraum bleibt.

Während bei der Aufgabe allgemeiner Erziehung an-
gesichts der Unsicherheit der geltenden Werte und der

völligen Fragwürdigkeit der künftigen die Aufstellung des
so notwendigen Erziehungszieles ein fast unentwirrbares
Problem darstellt, ist dies bei der Aufgabe gewerblicher
Erziehung eher möglich, weil hier ein gewisser Grund-
stock praktischer Erfordernisse der Erziehung greifbarer
entgegentritt.

Diese fachliche Seite der gewerblichen Erziehung sei
zuerst betrachtet. Um konkret sprechen zu können, sei
der Betrachtung ein gewisses Gewerbe zugrunde gelegt,
und zwar das des Schreiners, der Möbel und Innenaus-
bauteile anfertigt. Die Untersuchung kann ähnlich für an-
dere Gewerbe durchgeführt werden.

Das Ziel fachlicher Ausbildung des Schreiners wird in
der Antwort auf die Frage liegen: „Welche Art Schrei-
ner wird zukünftig gebraucht werden?" Zukünftig, das
heißt dann, wenn die Lehrlinge von heute in die aus-
schlaggebenden Altersklassen einrücken, wenn Meister
aus ihnen hervorgehen werden.

Hier ergibt sich ein Einwurf: hat es überhaupt noch
Sinn, junge Menschen zu einem Beruf zu erziehen, in
dem heute ein ungeheuerliches Uberangebot von Ar-
beitskräften besteht? Warum sollen in einer Zeit, in der
in allen Berufen, auf die man lernen muß, und auch da,
wo man ungelernt sein kann, die überzähligen Legion
sind — warum sollen in einer solchen Zeit noch Mittel
aufgewendet werden, um Tausende junger Kräfte sorg-
fältig auszubilden und dann in hoffnunglose Anwart-
schaft auf Arbeit zu werfen? Ist es sinnvoll, Schulen um
der Schulen willen, der Lehre wegen, einer kulturellen
Idee zuliebe zu erhalten? Diese Fragen kann auch der-
jenige stellen, der nicht durchaus der runden Ansicht
Spenglers beitritt: „Die Arbeitslosigkeit ist keine Krise,
sondern der Beginn einer Katastrophe." Aber selbst wer
diese Ansicht teilt, wird Schule und Erziehung nicht ver-
leugnen dürfen. Durch nichts würde der Zusammenhang
unserer Kultur mehr zerrissen, unser Erbe mehr mißachtet,
unsere Zukunft sicherer vernichtet als durch eine Auf-
gabe der heutigen breiten Basis unseres Erziehungs-
wesens. Selbst auf die Gefahr hin, daß ein Teil der
Jugend in dem Berufe, auf den er gelernt hat, nicht zur
Arbeit kommt, ist es besser zu erziehen als überhaupt
nicht zu erziehen. Der Nachdruck liegt dabei auf dem
„Erziehen" und nicht auf dem Lehren. Gewiß können
unsere Bildungsanstalten verkleinert, eingeschränkt, ver-
mindert, umgebaut werden, aber damit Hand in Hand
muß eine Aktivierung der Schulen durch innere Sammlung
der Kräfte gehen und eine Erweiterung der schulischen
Aufgabe über die rein fachliche Ausbildung hinaus ins
Menschliche. Hierüber wird noch zu sprechen sein.
Wenn ein Volk sich nicht selbst aufgeben will, so muß es
wissen, daß die Erziehung der Jugend auch heute —
jenseits aller Massen- und Bevölkerungsprobleme — die
Zukunft ist wie nur je.

Kehren wir zu der Frage nach der Art des Schreiners,
der zukünftig gebraucht werden wird, zurück, so werden
wir uns zunächst nach den heutigen Typen des Schreiners
umsehen. Wir sehen den Schreiner im kleineren und mitt-
leren Betrieb als selbständigen Meister oder Gehilfen, den
Schreiner in den beiden Arten von Großbetrieben: dem Be-
trieb, der Einzel- oder Serienanfertigung kostspieligerer
Möbel vornimmt, und dem eigentlich industriellen Betrieb,
derMassenware erzeugt. Wir sehen den Schreiner speziali-

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