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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Häring, Hugo: Versuch einer Orientierung: Vortrag des Architekten Hugo Häring, Berlin, auf der 20. Jahresversammlung des Österreichischen Werkbundes
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Lotz, Wilhelm: Werkbundausstellung "Wohnbedarf" Stuttgart 1932
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0263

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werden wird, aber ich glaube, daß es ein Problem ist, das
immer stärker wiederkehren wird), ein solches Wohnhaus
wird sich nur in der freien Landschaft rein entwickeln
können, die Bindungen der Stadt und ihrer Bauparzellen
werden es immer hemmen. Die Form der Leistungserfül-
lung ist trotz aller Zeitlosigkeit bodenverbunden und
naturnah; wie weit sie die Stadtkultur durchdringen oder
zersetzen wird, wollen wir der Zukunft überlassen.

Das Gesamtbild des heutigen Wohnungsbaues und
seiner Einrichtungen — um die Industriebauten brauchen
wir uns ja glücklicherweise nicht mehr zu sorgen, sie kamen
am raschesten auf den Weg der neuen Gestaltung —, das
Gesamtbild des Wohnungsbaues entspricht nun sehr
wenig dem, was hier als Ziel dargestellt wurde. Lassen
wir uns dadurch nicht täuschen und nicht enttäuschen. Unter
der Oberfläche vollzieht sich eine starke Veränderung,
während noch einmal alle Möglichkeiten abgetastet wer-
den, die der Künstler in seinem Interesse an Ausdrucks-
gestaltung auffinden kann. Das Bedürfnis, Form zu
machen, verleitet ihn immer wieder zu Stilversuchen, ver-
leitet ihn immer wieder dazu, im Interesse eines Ausdrucks
Formen über die Objekte auszubreiten, während die Form der
Leistungserfüllung dazu führt, daß jedes Ding seine eigene
wesenhafte Gestalt erhalte und behalte. Wir haben unsviele
Jahre hindurch viel Mühe gegeben, die Ingenieure davon
abzubringen, ihre Bauwerke mit Kapitälen, Profilierungen
und Ornamenten auszustatten. Nachdem wir es nun
glücklich so weit gebracht haben, daß die Ingenieure von
ihrer Leidenschaft und die Bauwerke von der Architektur
befreit wurden, sollten nun auch die Architekten diesem
Beispiel folgen. Das heißt durchaus nicht, daß der Archi-
tekt zum Ingenieur werden solle, denn zwischen Architekt
und Ingenieur bleibt immer noch ein wesenhafter Unter-
schied. Die Ingenieurarbeit hat lediglich das Ziel materiel-
ler Leistungserfüllung in den Grenzen oder im Bereich
ökonomischer Effekte — daß das Ergebnis auch häufig
noch andere Ausdruckswerte enthält, ist eine Neben-
wirkung seiner Arbeit —, der Architekt hingegen sucht eine
Gestalt, unabhängig von Rentabilitätsberechnungen, ein
Werk von geistiger Lebendigkeit und Erfülltheit, ein Ob-
jekt, das einer Idee einer höheren Kultur angehört und
dient. Diese Arbeit beginnt da, wo der Ingenieur aufhört,
sie beginnt mit der Verlebendigung des Werkes. Diese

Verlebendigung ist nicht dadurch zu erreichen, daß man
die Sache, den Gegenstand, das Bauwerk unter einem ihr
fremden Gesichtspunkt umformt, sondern nur dadurch, daß
man die in ihr selbst verschlossene Gestalt erweckt, pflegt
und züchtet. Das ist nun eine Aufgabe, die man in ver-
schiedenen Graden ernst nehmen kann. Wenn sich viele
Künstler z. B. damit begnügen, einen zufälligen Ausdrucks-
wert eines Gegenstandes zu übersteigern, oder ein Form-
motiv, das die Erzeugung liefert, in einem dekorativen
Sinne ausbilden, so heißt das, diese Aufgabe nicht ver-
verstehen oder mindestens nicht ernst nehmen. Sie ver-
golden die Nabelschnur, die die Gegenstände mit der
Fabrik verbindet, statt sie zu zerschneiden. Sie machen
wieder Kunstgewerbe. Besonders deutlich zeigt sich die
Entwicklung oder Veränderung unserer Auffassungen in
der Behandlung der Wohnungseinrichtungen. Während im
eisten Abschnitt der Bewegung, also vor dem Kriege, bei
allen Künstlern, bei van de Velde, Rietnerschmid, Bruno
Paul, Loos usw. die Stilidee durchaus noch herrschend ist,
Raum mit Möblierung eine kompositioneile Einheit bilden,
architektonisch begriffen, das eine ohne das andere nicht
existieren kann, sind heute Raum und Möblierung vollkom-
men gelöst voneinander; der Gebrauch bestimmt, die Ein-
heit wird nicht formal, sondern nur auf der Basis einer
inneren Harmonisierung hergestellt. Damit stehen wir voll-
kommen auf dem Boden der Form der Leistungserfüllung,
deren Bedeutung trotz aller Abschweifungen auf derOber-
fiäche immer sichtbarer und klarer wird. Das Feld des Kampfes
ändert sich zwar öfter und mit ihm auch das Kampfgeschrei,
aber jedesmal bleiben auch eine Anzahl von Gestaltungen
zurück, um die nicht mehr gestritten zu werden braucht, weil
sie von allen Seiten für vollkommen angesehen werden.
Und diese Anzahl vergrößert sich immer mehr. Es ist sehr
gut, daß sie in den letzten Jahren in Ausstellungen zu-
sammengefaßt und gezeigt wurden, woran auch der
Werkbund sein Verdienst hat. Wir sind augenblicklich
wieder in einer Zeit der Ruhe und der Besinnlichkeit;
ich glaube nicht, daß wir in diesem Abschnitt noch das
Haus ganz zwingen, aber eine nächste Bewegung wird
auf der gegenwärtigen weiter aufbauen und auch das
Wohnhaus und seine Einrichtung bewältigen, bis es in
allen seinen Teilen und von allen Parteien für ganz voll-
kommen gehalten wird.

Werkbundausstellung
„Wohnbedarf" Stuttgart 1932

WILHELM LÖTZ

In einer Zeit allgemeiner Ausstellungsmüdigkeit und in
einer Zeit, in der jedem Ausstellungsvorhaben die aller-
größten Schwierigkeiten entgegenstehen, hat die Würt-
tembergische Arbeitsgemeinschaft des Deutschen Werk-
bundes diese Ausstellung geschaffen. Diese Veranstaltung
bedeutet eine Art Abrundung einer Ausstellungsfolge, die
mit der „Form ohne Ornament" begonnen, über die Wei-
ßenhofsiedlung mit der ausgezeichneten Hallenausstel-
lung, über eine kleinere Ausstellung „Die Mietswohnung"
zu dieser Ausstellung „Wohnbedarf" führt. Die beiden ersten
dieser Ausstellungen, wenn man den Teil der Hallenaus-
stellung von 1927 ausnimmt, waren mehr problematischer
Art, während die letzten Ausstellungen in stärkerem Maße
einen repartierenden Charakter haben. In der diesjähri-
gen Ausstellung „Wohnbedarf" wurde versucht, ein mög-
lichst vollständiges Bild der derzeitigen deutschen Produk-
tion auf diesem Gebiet zu geben, dazwischen sind einige
Erzeugnisse des Auslandes eingestreut. Dennoch wird

diese Heerschau modernen Wohngeräts einer Gliederung
unterworfen, die nicht von der Produktion und ihren Ge-
setzen bestimmt wird, sondern vom Gebrauch. Der Be-
sucher soll gezwungen werden, sich Rechenschaft darüber
zu geben, wozu er die Dinge braucht und was er braucht.
Da aber die „Wohnfunktionen" sich nicht so theoretisch
auseinanderlegen lassen, hat man zwei Gruppen gebildet.
Die erste Gruppe umfaßt Raum und Mobiliar und gliedert
sich in Wandbehandlung, Bodenbehandlung, Vorhang,
Beleuchtung, Heizung und Möbel. Die zweite Gruppe
ordnet das Gebrauchsgerät nach Funktionen, wie Koch-
vorbereitung, Kochen, Anrichten, Essen, Trinken, Reinigen.

Man könnte ja nun darüber streiten, ob die Einteilung
sehr logisch ist. Aber darauf kommt es nicht an. Sie ist
handfest und gebrauchstüchtig und vor allen Dingen um-
fassend. Psychologische Funktionen, psychische Aus- und
Einwirkungen spielen zwar eine wichtige Rolle, sie sind
auch hier und da leicht angedeutet, aber sie lassen sich

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