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zur Renaissance suchte und trotz der Anlehnung an die spätgotischen Kompositionen fand.
Für die Geschichte des Eindringens der italienischen Renaissance in Deutschland ist dieser
Rückfluß von deutscher Renaissance nach Italien ein seltener Fall. Ob die Scheiben für
S. Nazaro in Mailand in Straßburg ausgeführt wurden oder in Mailand, muß wohl eine
offene Frage bleiben.
Nach diesem Versuch, alle erhaltenen, bzw. kopierten Scheiben in ihren ursprünglichen
Zusammenhang zurückzubringen, bleibt zuletzt eine Scheibe übrig, die sich nicht über-
zeugend deuten und einordnen läßt: der kniende, heilige Abt in II links, 5 b. Der Damast-
grund und der Kopf sind von ca. 1873; die Figur ist im Maßstab größer als die Figuren
fast aller anderen Glasbilder in der Wilhelmerkirche, etwa ebenso groß ist nur der
restaurierte heilige Wilhelm in II links, 6a, der im Bogenfeld von III links (neu) und der
Schmerzensmann in V rechts (alt, nur sein linkes Bein restauriert). Der linke Fuß schneidet
in das alte Rahmenband, das von einer der verschwundenen Szenen des Katharinafensters
(entweder der Enthauptung oder der Räderung) übriggeblieben ist. Das Faltenwerk ist gut
gemalt, aber durch seine unentschiedene bläulich-violette Farbe verdächtig; das Glas mag
entweder aus dem 16. Jahrhundert herrühren oder aus späterer Zeit. Die Komposition
erinnert nicht an Hemmel, und der Sinn des Bildes ist nicht klar. Gemeint ist kaum die
Stiftung eines Fensters, denn was wir links von diesem Abt sehen, ist vielmehr ein halbes
Tor, das offenbar in der verlorenen Nachbarscheibe links seine Ergänzung finden sollte.
Auf der Schwelle liegt das obere Ende des Krummstabs, der sich auch in der verlorenen
Scheibe müßte fortgesetzt haben. Man kann sich relativ leicht eine Fortsetzung der Archi-
tektur denken, aber nicht menschliche Figuren in ihr, wenn man sich an die Kompositions-
weise um 1470 bis 1480 hält. Man kann bei der Annahme eines originalen Vorbilds wohl
an einen Zusammenhang mit der Hemmeiwerkstatt denken 31, aber zuletzt taucht die Frage
auf, ob die Scheibe überhaupt für die Wilhelmerkirche bestimmt war. Dieser Zweifel wird
dadurch bestärkt, daß die Scheibe am oberen Rand einen schmalen, weißen Ergänzungsstreifen
hat, der freilich auch auf Versetzung in der Kirche selbst zurückgehen kann (Taf. X c).
5. Die Glasmalereien nach 1500
Das 16. Jahrhundert ist in St. Wilhelm durch zwei Scheiben vertreten: die eine stellt die
Geißelung Christi dar; sie ist seit der letzten Restaurierung von 1954 in II rechts, 6 a ein-
gesetzt, sie war früher in 5 a; die andere Scheibe stellt die Dornenkrönung dar, II rechts, 5b.
Beide gehören selbstverständlich nebeneinander, sie zu trennen, war wohl ein Versehen des
Restaurators (Taf. Xd).
Da in beiden Bildern der Astbogen in seiner halben Höhe abgeschnitten ist, ist zu folgern,
daß sie für eine andere Stelle bestimmt waren. Wenn die Maße aller Scheiben von St. Wil-
helm bekannt wären, ließe sich vielleicht diese Stelle wiederfinden. Der gotische Astbogen
ruht auf Säulen, die mit ihren schraubenartig gedrehten Kaneluren im Sockel und gedrehten
Blättern (?) in den Kapitälen noch spätgotisch sind, die vertikalen, geraden Kaneluren der
Säulenschäfte dagegen sind Renaissance. Gotisch dagegen ist auch der Fliesenboden, der
Damastgrund und die Minuskel der Inschrift. Die Figuren, sowohl der Akt des Gegeißelten,
wie die Freiheit der Bewegung der Henkersknechte, die Kraft ihrer Glieder und ihr Kostüm
sind ausgesprochen Renaissance. Diese Mischung von gotischen Residuen und Renaissance-
neuerungen verweist auf die Übergangszeit; die Scheiben können kaum vor 1520 ent-
standen sein, aber wohl auch nicht später als 1530.
In der linken unteren Ecke der Geißelung kniet der unbekannte Stifter, ein Geistlicher, der
31 Wentzel hat die Scheibe in seinem Oeuvrekatalog. Ratsfenster, S. 42, irrtümlich unter die eigen-
händigen Werke Hemmeis eingereiht; er glaubte, es gehöre zum Katharinafenster.
 
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