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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Editor]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 13.1917

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Kempf, Friedrich: Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr: II. Durch Menschenhand
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https://doi.org/10.11588/diglit.2399#0036
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32 Kempf, Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr

ersten Blick an, daß ihren Urhebern die Anpassungs-
fähigkeit an den Willen der alten Meister schwer
fiel. Obschon in unmittelbarster Nähe sich ihnen
das schönste nachahmungswürdigste Vorbild darbot,
verschmähte man es, ihm treu zu bleiben. Man
gefiel sich lieber, dasselbe durch die Erfindung
eigener, neuer Formen womöglich zu übertrumpfen,
die sich größtenteils fast wie eine Parodie der mittel-
alterlichen Form ausnehmen. Die gemeinsamen
Merkmale all dieser Schöpfungen sind, abgesehen,
daß bei keiner einzigen eine architektonisch einheit-
liche und gut wirkende Umrißlinie erreicht ist, der
Mangel eindringender Kenntnis von der charakte-
ristischen alten Form, der Art der technischen Be-
handlung, die zu kleinlich und zu fein ist, und des
Materials. Die Abbildungen 18 und 19 führen einige
Proben dieser absonderlichen Leistungen vor: eine
Kreuzblume und Bruchstücke solcher, wie auch an-
dere Einzelheiten aus jener Zeit vom Chor, welche
die mehr oder weniger willkürliche Behandlung
dieser Architekturteile veranschaulichen. Vergleichs-
weise ist denselben eine alte Kreuzblume gegenüber
gestellt (Abbild. 18), die mit einer für den Chorbau
typischen Architektur (Abbild. 21) zeigt, wie himmel-
weit die formale Behandlung dieser modern-gotischen
Aufbauten von den charaktervollen alten Originalen
entfernt ist. Die Aufbauten sind aber nicht nur un-
glücklich in der Form, sondern auch in der Aus-
wahl des zur Verwendung gekommenen Haustein-
materials. Es leidet heute schon stark an Alters-
schwäche, so daß von Zeit zu Zeit einzelne Archi-
tekturstücke dieser Zutaten, weil sie herunterzu-
fallen drohen, von ihrem Standort entfernt werden
müssen, was deren Bestand ein ruinenhaftes Gepräge
verleiht. Die an den Aufsätzen angebrachten In-
schriften, welche uns die Namen der Männer über-
liefern sollten, die an deren Errichtung beteiligt
waren, sind zum Teil derart verwittert, daß sie un-
leserlich geworden sind.

Der Pfeileraufsatz von 1757 und die in den Jahren
1779, 1780, 1781, 1782, 1785 von F. X. Wanner und
Felizian und Georg Schwanter geschaffenen eigen-
artig gestalteten Fialenbekrönungen der vor-
springenden Kapellenpfeiler über der Galerie
(Abbild. 20) gewähren weit bessere Eindrücke und
stellen sich als kraftvollere Schöpfungen dar, wie die
vorhin besprochenen Aufsätze. Vor allem bekundet
der Aufsatz von 1757, die erste Betätigung in go-
tischer Stilweise im 18. Jahrhundert am Äußern,
eine gewisse Vertrautheit mit der jener Zeit noch
neuen Formenwelt. Sowohl in seiner Einzelbehand-
lung, wie in seiner Gesamterscheinung ist er eine
tüchtige Leistung, die man, wenn sie nicht datiert
wäre, und wenn das im Baldachin stehende Reiter-

standbild des früheren Stadtpatrons, des hl. Georg
mit dem Drachen, die Entstehungszeit nicht ver-
leugnen würde, als eine Arbeit aus gotischer Zeit
ansehen könnte.

In den 60er und 70er Jahren des 19. Jahr-
hunderts haben ausgedehnte Instandsetzungs-
und Erneuerungsarbeiten am Äußern und Innern
des Münsters stattgefunden, die sich auf das ganze
Bauwerk erstreckten. Im Jahre 1861 wurde mit
umfassenden Herstellungen an der südlichen Außen-
seite des Langhauses mit dem Lammportal begonnen;
es folgten solche an den beiden Querhausgiebeln
mit den Portalen, am nordöstlichen Treppentürmchen
des Hauptturmes u. a. m.; dabei wurden auch orna-
mentale und figürliche Teile (Blattfriese unter dem
Dachgesimse des Mittelschiffes, Königsfiguren an den
südlichen Ostjochen) erneuert. Indes, das Bild, das
man von diesen Ausführungen empfängt, bietet keine
erfreulichen Eindrücke und das Erreichte steht zu
ihrem Aufwand in keinem Verhältnis. Diese Stein-
metz- und Bildhauerarbeiten tragen den Stempel ihrer
Zeit und lassen hinsichtlich ihrer Formgebung den
Geist der Überlieferung vermissen. Oftmals kommt
das Streben nach Bessermachenwollen zum Aus-
druck. Dafür einige Beispiele! Als eine der aller-
ersten Arbeiten hatte man damit begonnen, die in
verschiedenartigen geometrischen Figuren gestaltete
Maßwerkgalerie am Dachumgang des Mittelschiffs,
obschon sie sich noch in einem guten Erhaltungs-
zustand befand, zu entfernen, weil sie „erst im ersten
Drittel des 17. Jahrhunderts aufgesetzt worden ist, wo
man sich jener reineren, aufstrebenden Stylweise schon
entfremdet hat". Man war der Meinung, daß „die
Beseitigung der gering gefertigten und im Stil will-
kührlich geformten Geländer wesentlich zur Verschö-
nerung beitragen" würde. Im Zusammenhang damit
sollten „die Aufsätze von Spitztürmchen als Zwischen-
pfeiler der Dachgalerie hergestellt werden, ähnlich wie
solche auch am oberen Chorumgang ausgeführt sind
und die Dachflächen zierlich unterbrechen, hier aber in
der Stil weise des 13. Jahrhunderts zu bilden sind".
Bezüglich der neuen Maßwerke heißt es, daß ihre
Zeichnung „entsprechend dem Brustgeländer am un-
teren Turmumgang und wie jenes in durchweg gleichem
Muster gehalten ist, nur etwas derber wie jenes am
Turm, weil die Formbildungen am Langhaus überhaupt
etwas früher und somit derber als jene aus der Erwin-
schen Periode beschaffen sind". Mit diesen Nach-
ahmungen ist es schlecht bestellt; es sind in for-
maler und technischer Hinsicht mißglückte Leistun-
gen. Mit den Maßwerken der ersten Turmgalerie,
die zum Vorbild genommen wurden, haben sie nur
den Vierpaß gemein und ihr Aussehen ist zimper-
lich, aber sicher nicht derb. Die Platten sind nicht
tief genug gegliedert und besitzen deshalb zu flächen-
haften, brettartigen Charakter. Langweilig wirkt
 
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