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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 15.1919

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Schmitt, Otto: Das heilige Grab im Freiburger Münster (Otto Schmitt)
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https://doi.org/10.11588/diglit.2401#0019
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14

Schmitt, Das Heilige Grab im Freiburger Münster

namentlich die Figuren des Täufers und der heil. Elisa-
bet sind von hoher künstlerischer Vollendung, und
ihre historische Bedeutung ist noch kaum abzusehen.
Irren wir nicht, so stehen wir hier an einer der
Wurzeln der Rottweiler Schule, die in der Geschichte
der schwäbischen Monumentalplastik eine so große
Rolle spielt30. Woher anderseits der Stil der Straß-
burger Skulpturen kommt, ist noch nicht aufgeklärt
und kann hier nicht untersucht werden. Nur an-
deutungsweise sei darauf hingewiesen, dass sie mit
der Pariser Plastik des frühen H.Jahrhunderts, ins-
besondere mit den Reliefs an den Chorkapellen der
Kathedrale zusammenzuhängen scheinen 31. Doch fällt
ihre Entstehung schwerlich weit vor 1340 (vgl. unten).
Die Katharinenkapelle war 1331 geplant, aber offen-
bar noch nicht begonnen;
1349 fand die Weihe statt32.
Jener in Freiburg, wie
wir sahen, ganz unver-
mittelt an den Tumbafigu-
ren des Heiligen Grabes
auftretende Gewandstil mit
seinen zahlreichen schmal-
rückigen Parallelfalten,
den steil herabkommen-
den, dann kurz ausschlei-
fenden Röhren, auf die mit
Vorliebe der Fuß des Spiel-
beins gesetzt wird, den die
Figur kreuz und quer
überschneidenden Mantel-
säumen, dem reichen
Saumgerinsel an hängen-
den Zipfeln und besonders
die enge Zusammenfas-
sung von Körper und Kleid
kehrt offensichtlich ganz

verwandt in Straßburg wieder. Darüber hinaus lassen
einzelne Motive einen unmittelbaren Zusammenhang,
eine Filiation, deutlich erkennen. Man vergleiche den
linken, vom Mantel überspannten Arm der rechten
Maria (Abb. 14) mit dem rechten Arm des Täufers
(Abb. 18), den hart herausstehenden Ellbogen, die hori-
zontalen Falten, auch die darunter einsetzenden, erst
mehr gerundeten, dann ins Dreieck übergehenden
Schüsselmotive (siehe auch die heil. Elisabeth, Abb. 16),
die zum Boden eilenden Röhren, den von der Hand

Abb. 19. Kopf des rechten
Heiligen

30 Um so mehr muss man sich wundern, dass Hartmann
a. a. O. sie gar nicht erwähnt.

3: Abb. bei P. Fr. Marcou, Album du musee de sculpture
comparee III. serie pl. 1 & 2. Siehe auch den Catalogue raisonne
des Trocadero von Courajod und Marcou. Paris 1892 Nr. 601
bis 603.

32 F. X. Kraus, Kunst und Altertum in Elsass-Lothringen I.
Straßburg 1876 S. 378 und 474.

gegenüber herabhängenden Zipfel, das Saumspiel an
der Standbeinseite, und man wird erkennen, dass hier
ein und derselbe Vorwurf zweimal bis in Einzelheiten
wiederholt und nur in den Gegensinn übertragen ist.
Dass der Straßburger Johannes die originale Schöpfung
ist, erhellt aus der strafferen Organisation des Ganzen
und der klareren Durchbildung. Bezeichnend etwa
das viel festere Hängen des Armes in der „Schlinge",
das glaubwürdigere Sichherauslösen der Schüssel-
falten am Leib, die in Freiburg (bei der schmäleren
Figur) recht unvermittelt einsetzen. Bei dem Johannes
findet man auch Linie für Linie jenes reichgewellte,
sozusagen gedrechselte Haar der Freiburger Engel.
Und doch, trotz all dieser schlagenden Übereinstim-
mungen, die sich nur durch direkte Filiation erklären

lassen, sind die Freiburger
Figuren ihrem innersten
Wesen nach anders. Das
feste, sichere Stehen, die
monumentale Haltung sind
hier — ganz ähnlich wie
bei den Jungfrauen der
Vorhalle — ins Zierliche
und Bewegte, fast sagt
man ins Kleinkunstmäßige
übersetzt33. Bürgerlicher,
deutscher sind die Frei-
burger Menschen, aber sie
haben auch mehr Seele,
kommen uns herzlicher
entgegen. Möglich, dass
sie das Werk Freiburger
Meister sind, die vor-
übergehend in der Straß-
burger Hütte arbeiteten.
Die größere Schlankheit
und graziöse Beweglich-
keit, die tiefe Beseelung der Figuren würden gut in
die Traditionen der Vorhalleplastik passen; angesichts
etwa des schönen Engels zu Füßen Christi wird man
immer wieder an die besten unter den klugen Jung-
frauen erinnert. — Sicher ein Einheimischer und
durch viele Fäden mit der älteren Freiburger Plastik
verknüpft ist der Meister der fünf obern Statuen.
Doch nur in den Köpfen bleibt er seiner Schule
ganz treu. In der Gewandbehandlung, wie gesagt, ja
mitunter in der Komposition ganzer Figuren (vgl.
Freiburger Christus und Straßburger Johannes)
macht er der Straßburger Kunst weitgehende Zu-

33 Man kann wohl auch sagen, dass Straßburg, obwohl
früher entstanden, ein späteres Stadium der Entwicklung, näm-
lich die neue Statuarik des 14. Jahrhunderts repräsentiert,
während Freiburg an dem kalligraphischen Stil der ersten Jahr-
hunderthälfte festhält.

Engels vom Sarkophag des
Grabes.
 
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