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Verein zur Förderung des Fremdenverkehrs für Heidelberg und Umgebung [Hrsg.]
Heidelberger Fremdenblatt: Stadt-Anzeiger ; amtliche Fremdenliste — 1924

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Nr. 18 - 31 (Juli 1924)
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https://doi.org/10.11588/diglit.30256#0142
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Köits 2

WIVLI.LM6LR

Nr. 18

lösel", da war Bacchus und der Zug der Venus,
die auf rosenuinwundenem Tragsefsel von zwöls
Zünglingen getragen wurde. Venus und ihre Trä-
ger waren in dem Phantasiekostüm, das die Re-
naissancezeit sür die Figuren der Antike erfunden
-ltworfen, also völlig bekleidet, und für die Eöt-
tin hatte sich eine reiche Metzgerstochter, ein wunder-
chönes Miüdchen, eingezeichnet. Aber mitten in
den Vorbereitungen war es notwendig geworden,
das ehrbare Bürgerkind mit vieler Mühe zu be-
schwichtigen, weil es sich unter Tränen von der er-
wählten Rolle lossagen wollte, von der Neid und
latschsucht in der ganzen Stadt Lehaupteten, datz
sie in gänzlicyer Huaenwsigteit dargestellt würde.

Auch mit den Herren Studenten hatte
Porsessor Hofs gelegentlich kleine Zusammenstöße.
Einer der drolligsten ereignete sich bei uns, als ein
langer Student, der wohl als Begleiter eines zur
Anprobe Bestellten in das Haus gekommen war,
sich in die Malerwerkstatt verirrte und gemütlich,
ohne Eruß, Mütze auf dem Kopf, Spazierstock im
Arm, mit der Höhe, die das Coleurband verleiht,
zwischen den „Handwerkern" im Leinenkittel um-
herspazierte. Dabei gelangte er auch zu Professor
Hofs, der gerade ein Wappenschild für eine Staats-
karosse bemalte. So handwerklich waren unsere
Arbeiten alle, konnten aber, da sie sowohk Wissen
wie Eeschmack erforderten, doch nur von Künstlern
geleistet werden. Als die lange Eestalt ihm das
Licht absperrte, sah der Prosessor unwillig auf,
sprang dann in plötzlichem Zorn über den unhös-
lichen Vesuch von seinem Stuhl empor und rannte
mit Pinsel und Palette in der Hand dem langen
Menschen gerade aus den Leib, so daß dieser, ganz
verdutzt, zurückweichen mußte, bis zur nahen Tür,
durch die ihn der Zornige hinausdrängte mit den
Worten: „Erlauben Sie, diese Tür ist eigentlich ge-
schlossen", worauf er sie wirklich hinter ihm schloß
und unter dem lustigen Veifall der Kollegen noch-
mals grimmig aufriß mit den Worten: „Damit
Sie wissen, mit wem Sie zu tun haben — Professor
Hoff!"

Sehr anziehend waren die Kostümproben, beson-
ders bei den Damen. Wenn gemeldet wurde, daß
eine Dame im „Salon" bereitstünde, zog der ganze
Stab aus der Malerwerkstatt hinüber und begut-
achtete dis Schöne — sachlich, naiv und rücksichtslos.
Das kam mir recht zum Bewußtsein, aks Prosessor
Hosfs eigene junge Tochter diese Schau über sich
ergehen lassen mußte. Sie sah in der Tracht einer
Hoßdame der Winterkönigin entzückend aus: zu der
steifen spanischen Würde des Eewandes standen
Iugend und Lieblichkeit in reizendem Eegensatz.
Aeber dem Kragen, der eng den Hals umschloß,
breitete sich die starre weiße Radkrause aus, auf
der das zierliche Köpfchen wie aus einem Teller
lag,' richtig wie abgeschnitten zur Schau aus einem
Teller, als die vielen Männeraugen es so rück-
sichtslos anstarrten, vor denen es in rührender Ver-
legenheit vergebens Schutz und Entrinnen suchte.

Unter den' zahlreichen Volksgestalten war die
Vorstellung der Schulbuben besonders lustig, die
immer von Prosessor Schurth mit dem Spruch ent-
lassen wurden: „So, jetzt geht nuff in die Sattler-
werkstatt und laßt euch das Schuhwerk putze" —
das hieß: bräunen, daß es nicht so neu war —
„und die Ohre schlitze. Vube kriege d' Ohre ge-
schlitzt." Ein zweifelndes und ein vergnügtes Erin-
sen war jedesmal die Antwort.

Furchtbar heiß war es in den ganzen Wochen
und unser Tabaksspeicher war eine Eluthölle. Da
erschien eines Nachmittags, als Witz und Ilnterhal-
tung schon verstummt waren und wir nur noch
mechanisch unsere Arbeit verrichteten, ein appetit-
liches Dienstmädchen mit einem Korbe, dem sie
einen Deckelkrug und eine Neihe Gläser entnahm
und mit einer Empsehlung von der Frau Konsul
Landsried an die Herren Künstler auf den
Tisch stellte. Allgemeines „Ah" und „Oh" und „ver-
bindlichsten Dank und schöne Empfehlung wieder",
und das schmucke Dienstmädchen empsahl sich wie-
der, stolz auf ihre Sendung als Labung spendende
Fee. Und sogleich wurde eingeschenkt. Kühl und
goldklar kam es aus dem Kruge — was war das?
„Das isch Tee", klaug es gedehnt und enttäusckst
von den Lippen Prosessor Schurths, des Wein

vas Lebett'elcleri.üraÄl irn

und Bier gewöhnten Schwarzwälders, und Frau
Konsul hatte um einige Erade an Dank und Be-
wunderung verloren. Aber da man heiß und dur-
stig war und einmal nichts anderes da war, so trank
auch den feinen, süßen, eisgekühlten Tee und wurde
ersrischt. Am andern Morgen erschien das saubere
Dienstmädchen wieder und holte Krug und Gläser
ab, um sie am Nachmittag zu neuer Labung gesüllt
und bereitet wiederzubringen, und danach jeden
Tag, solange unsere Arbeit dauerte. Und siehe da,
nach wenigen Tagen hatte stch der verachtete Tee
solche Achtung errungen, daß selbst Herr Schurth
der Stunde seiner Ankunft sreudig und erwartungs-
voll entgegensah.

Als der Tag des Festzuges herannahte, stellte
sich plötzlich eine große Schwierigkeit dar. In Hei-
delberg und seiner nächsten Umgebung war eine
Pserdekrankheit ausgebrochen, und die Pserde der
Schwetzinger Dragoner, die einen so wichtigen Ve-
standteil des Zuges zu bilden hatten, durften nur
zu diesem selbst, nicht aber schon vorher zu Proben
in die Stadt kommen oder gar dort eingestellt
werden; und was das Schlimmste war: es dursten
überhaupt keine Heidelberger Pserde mehr im Zuge
sein. Damit trat eine große Sorge sür die Leitung
des Festzuges aust nämlich eine Eesahr sür alle
diejenigen Teilnehmer, deren Reitkunst erst seit
kurzem sür diesen besonderen Zweck erlernt worden
war. Diese Eefahr erschreckte den Professor Hoss
am meisten für die fünf oder sechs Herren, die in
Turnierüstungen mit aus den Schultern festge-
schraubtem Helme reiten sollten. Er ließ sich eiligst
die Herren kommen und besragte sie nach dem Alter
ihrer Reitkunst, und sie hatten tatsächlich sast alle
erst für den Festzug reiten gelernt. Da machte er
ihnen die Hölle heiß, schilderte ihnen so lebhast die
Gesahr sür sich selbst und die Verantwortung g-egen
andere, wenn sie aus den fremden, ganz ungewöhn-
ten Pserden ritten, daß es ihm wirklich gelang, sie
aus den kostbaren, eigens bestellten Rüstungen zu
scheuchen, die nun sattelfesten Schwetzinger Drago-
nerunterofsizieren zugewiesen wurden, die ich am
Festzugsmorgen sich lustig darin tummeln sah.

Endlich war der große Morgen da. Jn den
frühesten Stunden versammelte sich in der Ne u e n-
heimer Vorstadt alles, was zum Zuge ge-
hörte, und in die festlich geschmückte Stadt strömten
von nah und fern die Schaulustigen un-d erfreuten
ch einstweilen an Fahnen und Triumphbögen und

Haiclelbei'Zer LellloLZmi'teQ.

an den lustigen Sprüchlein, mit denen viele Häuser
e'chinückt waren. So las man an ein-em Metzger-
hause unter dem Bildnis des Erbprinzenpaares:
„Friedrich und Hilda
Sind aus diesem Bild da",
und- an einer andern Stelle in lustigem Psälzisch:
„Mädle, mach' dir Locke,

Bleibste aach nit hocke."

Ich hatte die Aufgabe erhalten, mit einer gro-
ßen Flasche Ochsenblut herumzulaufen und den
Kriegern, die aus der Schlacht bei Seckenheim ka-
ehrenvolle Wunden oder blutige Flecken auf
Kopf oder Rüstung zu malen. Die sachverständigen
Studenten umdrängten mich eifrig: „Ach bitte,
Herr Maler, mir auch eine Terz, eine Quart", usw.
Dann eilte ich hinaus, wo an langen unbebauten
Straßenzügen schon die prüchtigen Eruppenwagen
in weitgedehnter Reihensolge standen und zwischen
ihnen sich die bunten Trachtenfiguren zu versam-
meln begannen. Die Schwetzinger Pferde, die
während der Nacht angekommen waren, wurden
sührt, um sie an die bunten wimmelnden Menschen
und die abenteuerlichen Formen und Farben der
Wagen zu gewöhnen. Ruhig gingen sie lange
Strecken neben dem Führer dahin, bis plötzlich ihr
Dlick solch ein funkelndes blngeheuer gewahrte —
dann wollten sie mit aller Kraft zur Seite ausbre-
chen. An einer Stelle sollte eine Dame in einem
Kleide aus Eoldstoss, aus dem Kops einen ebenso
glänzenden, riesigen Zuckerhut, von welchem noch
ein weißer Schleier im Morgenhauch wirbelnd her-
niederwehte, aufs Pserd gehoben werden. Man
hatte, um den Damen das Hinaufsteigen in die alt-
modischen Damensättel zu erleichtern, kurze Trep-
pen dafür gebaut. Fünsmal sah ich, wie diese
Dame von ihrer Treppe in das Leere trat, denn
immer im entscheidende-n Augenblick, wenn die gol-
dene Woge zu nahe kam, scheute der Gaul und brach
zur Seite, und erst beim sechsten Male gelang es
ihr, mit aller Hilse in den Sattel zu kommen. Die
Sorge um die Pserde L-eherrschte den Tag, aber
mer'kwürdigerweise scheute nur ein einziges Pferd,
das eines der modernen Studenten, die den Schluß
bildeten: es raste den ganzen Zug entlang, um am
Bahnhos seinen Reiter abzuwerfen, glücklicherweise
ohne daß er zu Schaden kam.

Herrlich waren die künstlerischen Bilder der
Vergangenheit, die so langes geduldiges Mühen so
sorgfältig vorbereitet hatte. Vor der Tribiine
 
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