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Verein zur Förderung des Fremdenverkehrs für Heidelberg und Umgebung [Hrsg.]
Heidelberger Fremdenblatt: Stadt-Anzeiger ; amtliche Fremdenliste — 1924

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Nr. 18 - 31 (Juli 1924)
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https://doi.org/10.11588/diglit.30256#0141
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Xr. 18 viensta^, 1. /uli 1924

Der Heidelberger Festzug vom Iahre 1886

Dcr Märchenmaler Prof. Franz H e i n,
jetzt an der Leipziger Kunstakademie als
Lehrer tätig, lützt in diesen Tagen seine E r-
innerungen an die Studienjahre
unter dem Titel „Wille und Weg" erscheinen.
Das reichillustrierte Buch, auf das wir in
den nächsten Tagen nochmals zurückkommen
werden, gibt mit seinen vorziiglichen Abbil-
dungcn einen Ueberblick über das gesamte
Echaffen des Künstlers. In ihm ist zugleich
der harte Weg geschildert, den ein mittellossr
Anfänger zurücklegen mutz, ehe er zum freien
Lchaffen kommt. Hein hal mehrere Iahre an
der Kunstschule in Karlsruhe studiert, auch
aus dieser Zeit vermag cr zahlreiche reizvoile
Episoden und Erinnerungen an seine Lehrer,
u. a. die Professoren Ferdinand v. Keller
und Lchönleber, zu erzählen. Es findet sich
auch ein Abschnitt über die Vorberei -
tungen zum H e i d e l b e r ger Festzug
1886 anlätzlich des övOjährigen Iubilaums
der Univsität, dessen Abdruck der Verlag K.
F. Köhler in Leipzig uns gestattet hat.

Als ich in meiner Vaterstadt Altona in einer
befreundeten Familie erzählte, daß ich am Hei -
delberger Universitätsfestzug mitge-
arbeitet hätte, sagte die Frau vom Hause: „Was
für ein reiches Leben haben Sie!" Dieses Wort,
in dem sich die ganze lebendige Teilnahme aller Ee-
bildeten an der Heidelberger Feier aussprach, hat
mir die Bedeutung meines Erlebens, ja den Reich-
tum, den mein junges Künstlerleben trotz der Ar-
mut meiner Verhältnisse hatte, zum ersten Male
zum Bewußtsein gebracht. Die 1386 gegründete ä U
teste deutsche Universität seierte ihr hal-
bes Iahrtausend — das war ein Ereignis für die
ganze gesittete Welt, und das kleine badische Land
verstand es, diese Feier zu einer wahrhast würdigen
zu machen. Auch die Kunst sollte dazu helsen, und
man hatte sie ja in Karlsruhe von der besten deut-
schen Art und geizte nicht, sie krästig in Anspruch

zu nehmen. Ueber ein Iahr vorher wurde der seine
Kenner und Maler der Eeschichte, Karl H o s s,
Zum Leiter bestimmt und ein ganzer Stav von
Künstlern teilte sich in die Arbeit mit ihm. Mein
Lehrer, Professor Schurth, Kollmorgen, Vorgmann,
Kley und ich waren unter ihm tätig, während Kel-
ler, Eötz und Eleichaus reiche Austräge sür die
Ausschmückung der llniversitüt erhielten.

Als ich in Heidelberg eintras, war dis
Arbeit dort längst iin Eange und drängte sich schon
u der beängstigenden Fülle zusammen, die solche
Arbeiten immer vor ihrem Ziele ausweisen. Ein
leerstehender Tabaksspeicher war gemietet und von
unten bis oben sür die Werkstätten, Ankleide-
räume usw. hergerichtet worden. Im Erdgeschotz
war die Wagenbauerei und Sattlerei und hatte
zeitweilig auch der Düsseldorfer Wassenschmied seine
Arbeitsstütte; im ersten Stock waren die Schneider-
oerkstätten und die Ankleideräume sür Herrens im
zweiten Stockwerk war das Hauptquartier, unsere
Malerwerkstatt und die Putzmacherei, und jenseits
zs Eanges Ankleide- und Vorftellungszimmer der
Tamen, und endlich im dritten Stock die Schuh-
macherei. Kein Kleid, kein Schuh, keine Schnalle
wurde in dem ganzen Festzug getragen, die nicht
aus diesem Hause heroorgegangen oder wenigstens
darin begutachtet worden waren.

Die ganze Arbeit entwickelte sich nach einem
klaren und zweckmützigen Plane. Als die Ent-
würfe für die Kostüme fertig waren — Kunstwerke,
die in den Besitz der Stadt übergingen — hatte
man sie in Heidelberg ausgestellt und die Universi-
tät und die Eesellschaft eingeladen, sich für die vor-
nehmen Figuren zu verpslichten, während sür die
Gestalten des Volkes die Trachten aus den vom
Lande bewilligten Mitteln beschasst wurden. Kein

besserer Weg als dieser! Die wohlhabenden Bür-
er Heidelbergs und die reichen Studenten dräng-
ten sich zur Unterzeichnung auf die mit den Ent-
würsen ausgelegten Kostenanschläge. Aber es er-
gab sich daraus auch der namentlich sür die Frauen-
welt recht besremdliche Fall, datz man sich sür ein
Zewand verpflichtet hatte, aus das man bei der
Ausführung gar keinen persönlichen Einslutz mehr
nehmen durfte und sür dessen Beurteilung mair
kein Beispiel in der allgemeinen Mode hatte. Es
gab da manche Ueberraschungen durch die unge-
vohnten geschichtlichen Formen, besonders bei zärt-
lichen Müttern, die um die gute Wirkung d^c Toch-
ier besorgt waren, und manche Vorstellung erging
an den Leiter des Festzuges, die Veranlassung
.uurde, datz der mit Geschüften Ueberbürdete zarte
Gemüter schross verletzte, ja, datz der Vielgeplagte
am Ende bei den Heidelberger Damen einen bösen
Rus gewann.

Am spatzhastesten waren diese Ueberraschungen
und Zusammenstötze in der Putzmacherei, wo wir
sie vom andern Flügel des durch keine Wand ge-
teilten Raumes mit erleben dursten. Da kamen
stolze Mütter angerauscht, begierig, die märchen-
hasten Kopsbedeckungen der Entwürse in Natur
auf dem Haupte der schönen Tochter prangen zu
sehen, und waren verblüsst und entsetzt, das, was
auf dem Papier so selbstverständlich ausgesehen
hatte, den riesigen Zuckerhut oder die Haube mit
Hörnern hier an dem lieben Kinde so gar neu, so
seltsam zu sinden. Laut erscholl der Schreckensruf,
und schier jeden Tag auf neue: „Aber das steht
meiner Tochter ja gar nicht!"

Ilnter den geschichtliche iD"A bteilun -
zen des Festzuges war auch eine, die die fröhliche
Pfalz versinnbildlichte. Da war das „Höllenge-
 
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