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Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0159
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Formgefühl und das Antikenverständnis, die etwa der
dorischen Ordnung des Cortile del Belvedere oder der
Loggien eignen. Die massiven Halbsäulenarkaden rufen die
monumentale Säulenfront des kapitolinischen Theaters
vom Jahre 1513 ins Gedächtnis, das Pietro Rosselli, der mut-
maßliche Architekt des Pal.Pichi, im Auftrage des Giro-
lamo Pichi und des Giulio Alberini errichtet hatte4. Auch
dort versuchte Rosselli wie Bramante, die altrömische Ver-
bindung von Säule und Wand für seine eigenen Bauten
unmittelbar fruchtbar zu machen.
Der Hof des Pal. Pichi hat sich nur in seinem dorischen
Erdgeschoß erhalten und war auch nur wenig weiter ge-
diehen. Wie in den meisten Höfen mit 3x3 Arkaden ist
wohl lediglich ein weiteres Geschoß mit jonischen (?)
Halbsäulenarkaden zu ergänzen.

5. PAL. DORIA PAMPHILI
Einen ersten Einfluß des römischen Bramante meint man
auch in dem Hof des Pal. Doria Pamphili zu spüren, der um
1505 für den Kardinal Fazio Santoro begonnen wurde
(T. 35-37a). In den Säulenarkaden seiner zwei etwa gleich-
wertigen Hauptgeschosse sowie in der Gestalt seiner
Zwickel, Gebälke, Gewölbe, Kapitelle und Konsolen folgt
er dem Vorbild der Cancelleria. Daran ändert auch die Tat-
sache nichts, daß der Eckpfeiler der Cancelleria hier durch
eine Ecksäule ersetzt wurde. In den meisten Säulenhöfen
des römischen Quattrocento finden sich Ecksäulen und
nicht Eckpfeiler (Pal. Governo Vecchio, Firenze, SS.Apo-
stoli, Fieschi-Sora usf.) (T.75d).
Mit ca. 1:4,5 liegt das Verhältnis des Durchmessers der
Erdgeschoßsäulen zu ihren Interkolumnien weit unter dem
der Cancelleria (ca. 1:6): Während die Schaftbreiten mit ca.
0,60 m in beiden Höfen fast identisch sind, differiert das
Interkolumnium um ca. 0,80 m. Eine ähnliche Differenz
besteht in der Höhe der Säulen: Jene der Cancelleria sind
etwa 0,75 m höher. Insgesamt wirken also die Arkaden der
Cancelleria ungleich raumoffener, körperloser, weiter als
jene des Pal. Doria. Seine Arkaden besitzen mit einem Ver-
hältnis von 1:2,3 ein schlankeres Format, seine gedrunge-
nen Säulenschäfte ein ungleich körperlicheres Gewicht.
Während im Hof der Cancelleria die Säulen des Ober-
geschosses zwar dünner sind als jene des Erdgeschosses, da-
bei jedoch ähnlich proportioniert, nimmt der Architekt des
Pal. Doria bereits auf den antiken Säulenkanon Rücksicht.
Mit ca. 1:7,7 entsprechen die dorisierenden Säulen des
4 Gnoli 1910/11; Grundriß im Cod.Coner ed. Ashby 1904, fol.23.

Erdgeschosses und mit ca. 1:9,75 die korinthisierenden
Säulen des Obergeschosses ungefähr dem antiken Säulen-
kanon. In diesem Bedürfnis, nicht nur die Formen, sondern
auch die Regeln der Antike nachzuahmen, geht der Archi-
tekt des Pal. Doria deutlich über den Cancelleriameister
hinaus und erinnert an gleichzeitige Versuche Bramantes
wie die Rundtreppe beim Belvedere. Diese Nähe zu Bra-
mante wird durch die Verwandtschaft der Kapitelle und des
Konsolengebälkes des Obergeschosses mit den entspre-
chenden Gliedern im Obergeschoß des Klosterhofes von
S. Maria della Pace unterstrichen.
Andere Abweichungen vom Hof der Cancelleria wie der
Verzicht auf eine Brüstung in der Loggia des Piano Nobile
sind von den baulichen Gegebenheiten mitbedingt. Santo-
ros Architekt war an die Geschoßhöhen des Quattrocento-
palastes gebunden. Da nun die obere Hofloggia bereits
erheblich über dem Niveau der älteren Sala Grande lag,
machte er das dreiteilige Gebälk zur Brüstung. Dies war nur
dadurch möglich, daß das dreiteilige Gebälk wesentlich
höher und damit auch kanonischer gehalten wurde als in
der Cancelleria, die innere Brüstung aber wesentlich niedri-
ger.
Die Reaktion des Architekten auf die gegebenen Ge-
schoßhöhen kann auch den Schlüssel für die Beurteilung
des gesamten Hofes liefern. Jede echte Monumentalität er-
fordert eine Balance zwischen Horizontalen und Vertika-
len. Der Architekt des Pal. Doria hatte zwar einen weiten
Bauplatz von ca. 150 x 150 p. in Aussicht. Mit einer Höhe
von nur 5,23 m war das Erdgeschoß jedoch wesentlich
niedriger als in der Cancelleria (ca. 8 m) oder im Pal. Far-
nese (ca. 9 m). Hielt er nun am Vorbild des Cancelleriahofes
mit Säulenarkaden fest, so stand er vor der Wahl, entweder
alle Maße um 20 % zu verringern und damit in einen ausge-
sprochen zierlichen Maßstab zu geraten, oder die Verhält-
nisse im Sinne der Ausführung zu verändern, d. h. aber die
Jochbreiten zu vermindern und damit die Anzahl der Joche
zu vermehren. Bramante sah sich wohl einem ähnlichen
Problem gegenüber, als er den halbvollendeten Pal. Giraud
übernahm. Dort besitzt das Erdgeschoß eine Höhe von
6,70 m. Doch statt sich mit zierlichen oder überstellten
Säulenarkaden zu begnügen, wie sie sein Vorgänger vor-
gesehen haben mochte, führte Bramante das monumentale
Pfeilermotiv ein, das raumoffene Arkaden mit wandhaften
Pfeilern vereinigt. Santoros Architekt war zu keiner ähn-
lichen Erfindung imstande und kam trotz der kanonische-
ren Verhältnisse kaum über die Nachahmung des Cancel-
leriameister s hinaus. Daß er letztlich unmonumental
dachte, verraten Details wie die gegenüber der Cancelleria
schüchternen Zwickeltondi. Daß ihm Bramantes tektoni-
sches Denken fremd blieb, zeigt sein Festhalten an der

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