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Fuchs, Hans [Oth.]; Marini, Marino [Ill.]
Marino Marini - Il Miracolo 1953 — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 70: Stuttgart: Reclam, 1961

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.72983#0046
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licher Bestandteil unseres Lebens. Wir leben inmitten der
Kunstwerke vergangener Zeiten. Ich, zum Beispiel, bin
in Toscana geboren, wo in den letzten fünfzig Jahren
die Wiederentdeckung der etruskischen Kunst eines der
größten Ereignisse war.
Meine Reiterstatuen sind Symbole der Besorgnis, die
mich bei der Betrachtung meines Zeitalters ergreift. Meine
Pferde werden nach und nach immer unruhiger und die
Reiter immer unfähiger, sie zu meistern. Die Kata-
strophe, der Mann und Tier erliegen, gleicht jener, welche
Pompeji und Sodom vernichtete. Ich suche so das letzte
Stadium eines vergehenden Mythos zu versinnbildlichen,
des Mythos des individuellen siegreichen Helden, des
„Uomo di virtü" der Humanisten. Bald wird es, glaube
ich, nicht mehr möglich sein, eine Person so zu verherr-
lichen, wie es viele Dichter und Künstler seit dem klassi-
schen Altertum und besonders seit der Renaissance ge-
tan haben. Weit von jenem Heroismus entfernt, wollen
meine Werke seit zwölf Jahren nur Tragisches aus-
drücken.
Wenn Sie wirklich die Quellen meines jetzigen Stils
im Altertum suchen wollen, so werden Sie sie weniger
in der Kunst jener Zeit entdecken, als in den Überresten,
die uns von ihrem Leben erhalten sind. Die versteiner-
ten Leichen, welche die Ausgrabungen von Pompeji zu-
tage förderten, haben einen viel größeren Reiz für mich
als der „Laokoon" im Vatikan.
Es ist notwendig, die Emotion des ersten Eindrucks
zu bewahren. Sie können das nicht, indem Sie ein Mo-
dell vor sich hinstellen, denn dann verlieren Sie sich in
Einzelheiten, welche die ursprüngliche Emotion schwä-
chen oder entfärben. Meine Skulptur geht von einem
Eindruck aus, oft einem momentanen, dessen Stoß ich
zu erhalten trachte. Ich nehme Einzelheiten nur auf, so-
weit sie diesen Stoß verstärken.

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