Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zweiter Theil.

Vergleichende Anatomie der Knochen nnd Muskeln des Brustschultergürtels, der
vordem Extremität, des Beckengürtels und der hintern Extremität,

Cap. I.

Vergleichung der Knochen und Muskeln des Brustschulter- und Beekengürtels und der Extremitäten
bei den Sauriern mit wohlentwickelten, mit verkümmerten und ohne Extremitäten.

Dieses Capitel enthält die Ergebnisse der anatomischen Untersuchungen des ersten oder
beschreibenden Theiles.

Allen untersuchten Thieren und, höchst wahrscheinlich, überhaupt allen schlangenähnlichen
Sauriern liegt ein gemeinsamer Bauplan mit den typischen Sauriern zu Grunde, so dass bei allen
die homologen Knochen und Muskeln sich finden' und vergleichen lassen.

Die Differenzen unter einander beruhen, wenn wir einen Saurier mit wohlentwickelten Ex-
tremitäten zum Ausgangspunkte wählen, auf Verkümmerung2), d. h. auf Verminderung der Festig-

1 Die wenigen Mm. proprii können dies allgemeine Gesetz nicht beeinträchtigen.

2 Es ist hier der Ort nachzuweisen, dass die von andern Anatomen und von mir vielgebrauchten Worte
»Verkümmerungen, Rudimente« ihre Berechtigung haben. Meckel sagt p. 446: »sehr ähnlich verhalten sich auch bei
manchen nur mit Hinterfüssen versehenen Sauriern die Rudimente der vorderen Gliedmassen«, p. 474: »Bei den
höhern Ophidiern finden sich Rudimente der hinteren Gliedmassen.« — Heusinger : »Beckenrud im ente«. —Cuvier,
Recherches etc. p. 9t : »II subsiste des vestiges du bassin«. — J. Müller a. a. 0. p. 227 : »Rudimente des Beckens
und der Extremitäten«, »BeiBipes lepidopus und Pseudopus Oppelii sind auch diese Fu ssrudimente bis auf 2 Stützen
vor dem After reducirt« etc. — H. Stanniüs p. 77 : »Das Becken dieser Schlangen ist immer nur abortiv« p. 78 :
»Diese verkümmerten Beckentheile« etc. — Diese Autoren nehmen die Verkümmerung der Extremitäten, d.h. die Rück-
bildung aus vollkommeneren Bildungen als selbstverständlich an und halten eine Begründung ihrer Ansicht nicht für
nothwendig. So bleibt sie nur eine Hypothese. Die Begründung lässt sich aber geben und zwar erstens durch die
Untersuchung von älteren Embryonen (wo bereits alle Extremitätentheile vorgebildet sind) oder sehr jungen Thieren
und die Vergleichung dieser mit dem ausgewachsenen Thiere. Entspräche das Becken z. B. einer Anguis fragilis der
niedern Stufe einer Entwickelung, die erst im Becken der Saurier mit wohlentwickelten Extremitäten ihren Höhepunkt
erreicht, so müsste dasselbe beim Embryo oder dem sehr jungen Thiere noch geringer entwickelt sein, als beim aus-
gewachsenen Thiere. Nun aber zeigt das Becken einer eben erst geborenen Anguis fragilis eine verhältnissmässig weit
bedeutendere Entwickelung, als dies im spätem Alter der Fall ist. Das Os ilei ist gross, das 0s ileopectineum zeigt an-
statt des kleinen Knorpelendes eine lang ausgezogene Spitze, ähnlich wie bei Pygopus. Die Entwickelungscurve hat
also ihr Maximum im frühesten Alter (wenn nicht schon im spätem embryonalen Zustande), während sie später nach
abwärts steigt. Das Becken entfernt sich also im Alter immer mehr von der ursprünglichen, vollkommeneren Bildung:
es verkümmert. Nun entspricht aber einem morphologischen Grundsatze zufolge die Entwickelung eines Individuum
vom embryonalen bis zum ausgewachsenen Zustande der ganzen Entwickelungsreihe der Art. Es zeigt somit die mit
dem Alter zunehmende Verkümmerung des Beckens bei einem Individuum ein ziemlich getreues Abbild der im Laufe
 
Annotationen