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Marées-Gesellschaft [Hrsg.]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 1.1919

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Kunst und Leben
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Meier-Graefe, Julius: Politisches Geständnis des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.29147#0019
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POLITISCHES GESTÄNDNIS

wenn bornierte Nationalisten die Grenzen gegen Cezanne und van
Gogh sperren wollten oder wenn die Theaterzensur einmal ganz
besonders dumm war. Da muckte man wohl auf. Im übrigen ein
Achselzucken.
Ob wir Demokraten oder konservativ waren? Man hätte die
Frage wie eine Beleidigung abgelehnt. Gelegentlich trat man für
Minoritäten ein, ganz gleich, auf welcher Seite sie standen, haßte
alles Klassenhafte, vermied die Masse. Die Uniform, die Grobheit
preußischer Beamten und der deutsche Lodenmantel waren die
wenigen Dinge, über die man sich einig war. Man war sich über
sehr wenige Dinge ganz einig und empfand es zuweilen. Man
verkehrte gern mit gebildeten Aristokraten, weil sie Formen hatten,
weil sie einen Begriff von Gesellschaft besaßen oder vortäuschten.
Nach dergleichen sehnte man sich. Nicht nach Teestunden, Diner-
gesprächen mit dicken Damen und Herren mit Gänseleberlippen,
nicht nach Gesellschaften. Nach der Gesellschaft, wo nicht nur
das Essen, sondern alles auf sinnvoller Übereinkunft beruhte, wo
jede Freiheit des Geistes erlaubt war, weil sie begriffen wurde,
weil sich eine Form dafür von selbst einstellte, ein Dargehotenes,
in das man den kühnsten Einfall wie in eine Hand hineinlegte.
Ein Bau schwebte uns vor, fest und ganz luftig, geräumig und in
jedem Winkel intim. Früher batte es diese Gesellschaft gegeben.
In Paris sprachen noch alte Leute davon. Deshalb war man so gern
dort, deshalb lebte man da viele Jahre als Fremder, ohne jeden
Verkehr, weil man in jedem Stein und in jedem Wort Vertraulich-
keit mit solchen Vorstellungen spürte,jenes Dargebotene so lebendig
spürte, daß man sich mit dem Verzicht, je die eigene Hand da
hineinlegen zu dürfen, lächelnd abfand. Früher hatte es auch
anderswo dergleichen im kleinen gegeben, selbst in Berlin, natür-
lich nicht in der kaiserlichen Hauptstadt.
 
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