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Marées-Gesellschaft [Editor]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 3.1921

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Aufsätze
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Weiss, Konrad: Botticelli und Dante: ein Versuch zur Semiotik
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BOTTICELLI UND DANTE

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Zeitpunkte Unterscheidende die Form und ihr unaufhaltsamer innerer
Trieb ist, die zu gleicher Zeit verschiedenen Naturen ähnliche Plätze und
Spannungen, zu verschiedener Zeit selbst ähnlichen Naturen doch die
Verschiedenheit ihres Zeitortes und ihrer einmalig neuen Spannung an-
weist, nur ein Vergleich innerhalb der Abfolge der Form. Dante und
Botticelli stehen jeder für sich anders in der Form; vielmehr Dante steht
zentral darin mit der gebundenen Subjektivität des mittelalterlichen Gläu-
bigen, Botticelli steht schon vor der Form, sich in den Anblick des Ge-
schehens versenkend, darin das nun enger Begriffliche der Form gestal-
tend. Je mehr es einem Künstler von nun an gelingt, vor der Form zu
stehen, desto mehr zwiespaltet er ihr Ganzes. Ihr Accidens, ihr Formales
wird aber einheitlicher.
Dieser Zwiespalt hat zunächst bei Botticelli im Großen der Blattkompo-
sition noch immer einen mittelalterlichen Anblick. Obgleich der Raum
schon mit jener szenischen, durch sich selbst gültigen Naturoffenheit ge-
sehen wird, die seine Schwere nach unten und seinen Hintergrund aus
der verschränkten Verbindung von Ich und Du wegträgt, verrät die Kürze
der Bild- und Horizonthöhe und die steile Neigung nach vorn noch die
verschränkende Aufsicht statt der neutraleren Hinsicht. Aber die beiden
Gestalten Dante und Vergil nehmen einen dem Mittelalter wie schon ro-
mantisch nachklingenden verstärkt epischen Wandel an; es ist dies über-
all in der zeichnerischen Haltung, der sinnhafter gebundenen Gestaltung
gegenüber dem freieren Element der wechselnden Kreise sichtbar, in den
als farbige Miniaturen ausgeführten Blättern zudem auch farbig lokal
heraldisch deutlich. Um sie entsteht die graphisch ungebundene Szenie-
rung. Sie selber sind übertragen gestaltet noch in der flächig jenseitigen
Aufsicht des Mittelalters, in die sich aber nun schon die Formbegrifflich-
keit der neuen Klassik mischt, die neuartige, nicht mehr eingewobene,
sondern in sich gegründete losgelöste Statuarik; diese ganz andere Auf-
sicht, besser Ansicht, die nicht durch Ich und Du, sondern durch Geist
und Raum und durch rationale körperliche Beschwerung, was zunächst
kein primäres künstlerisches Gefühl ist, Rundung und Fußpunkt be-
kommen sollte. Der Weg wird natürlich; er ist nicht mehr im Urbilde
 
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