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KONRAD WEISS
zwingend; der Raum, die Szene ist neutral frei. Menscli und Raum wer-
den zweierlei Natur, nicht mehr einerlei durch gleichartige Funktionen,
unrationale Schweren bestimmte Kreatur. Die durch Dingliches und
Menschliches hindurch einheitliche Bewegung, der Zug zu einer überall
möglichen göttlichen Berührung, die innerhalb des natürlichen, logisch
Bildmäßigen immer geschehen kann, immer erwartet wird und die heftige
Wahrheit von Dantes Bild- und Bilderwelt ausmacht, ist im Vergehen
begriffen.
Die vom Anfang erhaltenen Infernoblätter mit ihrem zwingenden Raum-
gefühl, eine Reihe Blätter aus dem Purgatorio mit ihren Triumphzügen
eines kommenden Magnifikat, mit ihrem unendlich subtilen Substanz-
gefühl einer dem Göttlichen schon nahen Vegetation, schließlich der bloß
noch in Gebärden und Mienen spielende Ausdruck der Paradiesbilder
(besonders Paradiso XIV) scheinen uns, die wir, ebenfalls im Wandel der
Form mitbegriffen, durch das äußere Zeichen uns immer mehr bestimmen
müssen, gewiß kaum eine Lücke zwischen der Empfindung Botticellis und
dem Gehalte Dantes zu lassen. Der bildnerische Begriff, das selbstgerechte
Zeichen, das die elementare Substanz in sich formal pervertierte (woraus
man allerdings den gegen seinen eigenen Willen um desto verstärkender
formal wirkenden Sinn des reformatorischen Bildersturms wie Savonarolas
verstehen muß), erlebt hier den Augenblick geistig, durch Trennung von
Erkenntnis und trübender Erfahrung, verdoppelter Kraft.
Man wird, um formale Parallelen, Spannungen und Abgrenzungen durch-
zuführen, immer mehr auf das Wesen des mittelalterlichen Hintergrundes,
Wesensgrundes zurückgehen müssen, jene scheinbar deforme, aber wie
Erde überall mit fruchtbarer Möglichkeit gesättigte zeitliche Organik, auf
der sich alle Gestalt wie Zufall abhebt, aber das Gelingen vollster Zu-
fälligkeit und in diesem Sinne subjektiver Einmaligkeit die stärkste Schöp-
fung ergibt. Ohne auf den Nachweis dieses Wesensgrundes vom Archi-
tektonischen her einzugehen, wird er durch die Möglichkeit zufälligster
Form schon selbst bezeugt und ist in der Ausdruckfähigkeit des durch
Tradition stützbaren funktionell Zufälligen gegenüber einer objektiv
immer neu notwendigen Formtypik enthalten. Nachdem dieser zeithaft
KONRAD WEISS
zwingend; der Raum, die Szene ist neutral frei. Menscli und Raum wer-
den zweierlei Natur, nicht mehr einerlei durch gleichartige Funktionen,
unrationale Schweren bestimmte Kreatur. Die durch Dingliches und
Menschliches hindurch einheitliche Bewegung, der Zug zu einer überall
möglichen göttlichen Berührung, die innerhalb des natürlichen, logisch
Bildmäßigen immer geschehen kann, immer erwartet wird und die heftige
Wahrheit von Dantes Bild- und Bilderwelt ausmacht, ist im Vergehen
begriffen.
Die vom Anfang erhaltenen Infernoblätter mit ihrem zwingenden Raum-
gefühl, eine Reihe Blätter aus dem Purgatorio mit ihren Triumphzügen
eines kommenden Magnifikat, mit ihrem unendlich subtilen Substanz-
gefühl einer dem Göttlichen schon nahen Vegetation, schließlich der bloß
noch in Gebärden und Mienen spielende Ausdruck der Paradiesbilder
(besonders Paradiso XIV) scheinen uns, die wir, ebenfalls im Wandel der
Form mitbegriffen, durch das äußere Zeichen uns immer mehr bestimmen
müssen, gewiß kaum eine Lücke zwischen der Empfindung Botticellis und
dem Gehalte Dantes zu lassen. Der bildnerische Begriff, das selbstgerechte
Zeichen, das die elementare Substanz in sich formal pervertierte (woraus
man allerdings den gegen seinen eigenen Willen um desto verstärkender
formal wirkenden Sinn des reformatorischen Bildersturms wie Savonarolas
verstehen muß), erlebt hier den Augenblick geistig, durch Trennung von
Erkenntnis und trübender Erfahrung, verdoppelter Kraft.
Man wird, um formale Parallelen, Spannungen und Abgrenzungen durch-
zuführen, immer mehr auf das Wesen des mittelalterlichen Hintergrundes,
Wesensgrundes zurückgehen müssen, jene scheinbar deforme, aber wie
Erde überall mit fruchtbarer Möglichkeit gesättigte zeitliche Organik, auf
der sich alle Gestalt wie Zufall abhebt, aber das Gelingen vollster Zu-
fälligkeit und in diesem Sinne subjektiver Einmaligkeit die stärkste Schöp-
fung ergibt. Ohne auf den Nachweis dieses Wesensgrundes vom Archi-
tektonischen her einzugehen, wird er durch die Möglichkeit zufälligster
Form schon selbst bezeugt und ist in der Ausdruckfähigkeit des durch
Tradition stützbaren funktionell Zufälligen gegenüber einer objektiv
immer neu notwendigen Formtypik enthalten. Nachdem dieser zeithaft