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Die Gartenkunst — 14.1912

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Engelhardt, Walter von: Korreferat zum Vortrag des Herrn Stähle-Hildesheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.20815#0236
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XIV, 15

DIE GARTENKUNST.

229

tan ist. Ein Gartenhaus, welches ohne Rücksicht
auf das tägliche Leben der Hausbewohner, ohne Rück-
sicht auf die dadurch bedingte Inneneinrichtung, die
Stellung der Möbel, die Verteilung von Fenster und
Tür gebaut wurde, ist in der Hauptsache verfehlt.
Gartenbänke, die nicht in erster Linie für den Menschen
zum Sitzen da sind, und in ihrer Stellung nicht in den
instinktmäßigen Anforderungen eines ruhig, behaglichen
geschützten Gefühls Rechnung tragen, sind trotz aller
monumentalen Stimmungswerte nur eine halbe Sache.
Wege, die nur dekorative Funktionen zu erfüllen haben
und sich samt und sonders der Pflicht entziehen, den
Bewohner des Hausgartens in reizvoller Umgebung einem
lohnenden Aufenthalt zuzuführen, haben ihre Aufgabe
zu leicht genommen.

M. H. Die klangreichste Monumentalität kann
zur vorlauten Aufdringlichkeit werden, wenn sie mit
ihren Pathos in die reizvolle Stille eines Arbeitszimmers
hineindröhnt oder der schlichten Behaglichkeit freund-
lichen Beisammenseins im Wohnzimmer widerspricht.
Mag der Raum noch so künstlerisch geformt, die
Möbel noch so schöne Formen zeigen, sie erscheinen
uns kalt, weil sie ohne Beziehung also ohne Leben
sind, vereinsamt, weil der Mensch als notwendiger
Ergänzungsfaktor fehlt, weil er nicht hineinpaßt, sich
nicht hineinfindet. Broder Christiansen sagt in seiner
„Philosophie der Kunst“: ,,. . . während alle anderen
Kunstwerke in sich abgeschlossen und fertig sind, bilden
Werke der Nutzkunst für die ästhetische Betrachtung
keine in sich geschlossenen Einheiten, sondern enthalten
notwendig Beziehungeu auf ein anderes. Ein Tempel,
ein Wohnhaus, ein Stuhl, ein Becher: vergleicht man
sie mit Gemälden, Statuen, Zeichnungen, so empfindet
man, daß diese in sich abgeschlossen sind, jene aber
eine Ergänzung verlangen und auf solche hinweisen.
Sie verlangen eine Ergänzung, wie die Frage eine Ant-
wort. Ihr Komplement aber ist — der Mensch. Sie
vollenden sich auch ästhetisch erst dann, wenn der
Mensch sie gebraucht. Das gerade ist die große Ent-
deckung der Handwerkskunst unserer Tage: Die wieder-
gewonnene Einsicht, daß Werke der Nutzkunst nicht
als in sich fertige Gebilde behandelt werden dürfen,
sondern daß sie offen bleiben müssen für den Gebrauch,
und daß erst der Gebrauchende ihnen zum Abschluß
wird. Der Becher und die Hand, die ihn emporhebt,
das Haus und seine Bewohner, der Tempel und die
Festfeier, der Park und die Promenierenden machen
erst zusammen das Ganze eines Kunstwerkes aus.
Aus diesem Grunde wird gefordert eine wohlaufgewo-
gene Zusammenstimmung eines solchen Werkes zu
seinem Komplement. Erst in der genauen Anpassung
an den Menschen bekommt das Werk seine stilistische
Einheit. Und zwar handelt es sich nicht um die bloße
Zweckanpassung an die jeweiligen Bedürfnisse, die ist
selbstverständlich, sondern um die ästhetische Akkommo-
dation im Stimmungscharakter“ (so weit Christiansen).

Hat der Künstler aber den Menschen als Ergän-
zungsfaktor, als Komplement übersehen, so kann es

wohl Vorkommen (und solche Fälle sind mir bekannt),
daß der Bewohner von Haus und Garten in solchen
Fällen gezwungen ist, jenes Heiligtum bildender Kunst
zu dulden; denn er fürchtet das Urteil der Priester, die
ihn bei der geringsten Auflehnung gegen diese Ver-
gewaltigung zum Ketzer, zum Verräter, zum Kultur-
barbaren stempeln würden. Es gibt aber auch Menschen,
die in gesunder Empfindung, dem Drang des persönlichen
Erlebens folgend den Mut zur Befreiung gewinnen: „Mein
Haus ist ein Wohnhaus, ihr aber habt es zu einem
Kunsttempel gemacht“ wird den Kunstpriestern zu-
gerufen. „Die Kunst diene dem Leben!“ — Die Kunst
soll hier nicht herrschen, sondern das Leben. Gedenkt
daran, wie ihr den Priestern der Kirche entgegengetreten
seid, die im Namen des Höchsten das äußere Leben
des Menschen und sein inneres Erleben hierarchisch
glaubten in Beschlag nehmen zu dürfen, die mit ihrem
Heiligtum so manches Menschenseelenwachstum gehin-
dert, ja erdrückt haben, weil beim erfolgreichen An-
schwellen ihrer Alleinherrschaft immer mehr das in
Vergessenheit geriet, was die Sache der Religion ist,
und die Aufgabe der Kirche: die Vielheiten und Ver-
schiedenheiten unseres Menschendaseins — Arbeit und
Ruhe, Freud und Leid, — durch den Gedanken der
Zusammengehörigkeit zu einem einheitlich geleiteten
großen Organismus zu durchleuchten, und den gemein-
samen Drang der Menschen zur Einheit dadurch zu be-
leben, zu unterstützen und zu fördern. Aber statt dieses
Dienstes, statt dieser schwierigen Aufgabe der ein-
heitlichen Durchleuchtung des Menschenlebens wählte
man vielfach die leichtere Aufgabe, nämlich den Menschen,
sein äußeres Leben und sein inneres Erleben der Um-
welt als belanglos brach zu legen, die persönlichen
immer wieder neu erwachenden Bedürfnisse gegenüber
den großen Gnadengaben des Himmels als belanglos
beiseite zu schieben und das Heiligtum herrschen zu
lassen, statt es dienstbar zu machen.

Hüten wir uns daher vor einer ähnlichen Kunst-
hierarchie und davor, Kunstanbetung zu fordern! Denn
das sind Mittel, wie sie diejenigen Vertreter von Kunst
und Religion anwenden, welche entweder in fanatischer
Einseitigkeit nur ihr Können, ihr Interessengebiet zum
herrschenden Prinzip erheben wollen oder ihren Beruf ledig-
lich als bequeme Erwerbsquelle betrachten und ihre innere
Unfähigkeit mit dem Vorhang des Allerheiligsten dra-
pieren. Gar leicht entspringt aus solcher Stellungnahme
übertriebenes hohles oder salbungsvolles Pathos, vielleicht
auch im Kunstgebiet jene herbe Monumentalität an falscher
Stelle und gewohnheitsmäßige Symmetrie als schablonen-
mäßig leitendes Motiv — wo demgegenüber das Leben
und seine Zweckaufgaben ganz andere, immer wieder neue,
abgeänderte, nuancierte Ausdrucksweisen erheischen.
Hüten wir uns daher vor der gedankenlosen Nach-
ahmung sogenannter neuzeitlicher Formen — vor dem
Reizen der Neugier und der Sensationslust im Volk;
denn das sind niedrige Bestrebungen und ihre Erfolge
sind kläglich. Der gesunde Menschensinn wird über
kurz oder lang über solches Schablonentum in der
 
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