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Die Gartenkunst — 14.1912

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Engelhardt, Walter von: Korreferat zum Vortrag des Herrn Stähle-Hildesheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.20815#0235

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228

DIE GARTENKUNST.

XIV, 15

Grunde genommen“, so hieß es im Vortrag, „kommt
es doch immer darauf an, daß wir, um kunstausübend
und kunstverständig zu sein auf den Boden einer gesunden
Lebensanschauung uns stellen müssen,aus der ein richtiges
Bemessen des Wertes oder Unwertes hervorgeht.“ So
sehr ich diesem Ausspruch zustimme und ihn besonders
zu betonen geneigt bin, um so weniger kann ich die
folgenden als richtunggebend anerkennen. Zu Anfang
des Vortrages hörten wir die Worte: „Von der einen
Idee beseelt, daß ein jeder sein Bestes hergibt dem
Leben durch die Kunst höchsten Wert zu geben,
treiben alle Kräfte zur größten Vervollkommnung.“
Und an anderer Stelle hieß es : „Was uns die Kunst-
geschichte für das glückliche Zustandekommen einer
Kunstperiode aber auch lehrt, ist das restlose Auf-
gehen der Lebensanschauung und der Lebensführung
eines Volkes in seiner Kunst.“

M. H. Aus diesen Aussprüchen unseres Redners
glaube ich herauszuhören, daß er der Kunst eine
dominierende Stellung über Gebühr einräumt. Ich
glaube, daß die Lebensanschauung, also die Art, wie
wir den Sinn des Lebens deuten, und unsere Wertung
der verschiedenen Gebiete des Lebens das Primäre und
Dominierende ist und daß die Kunst als sekundäre
Funktion in den Dienst dieser Lebensanschauung
treten sollte. Nur da wird die Kunst in wünschens-
werter Weise wirksam werden, wo sie innerhalb ihrer
Grenzen der Aufgabe gerecht wird, die ihr vom Leben
gestellt wird, wo sie — kurz gesagt — die Art der
Zweckforderung achtet und ihr dient, statt sich in
hochfahrenden Herrschaftsgelüsten und in launenhafter
Tyrannis darüber hinwegzusetzen.

Dem Leben kann man durch die Kunst nicht
höchsten Wert geben und die menschlichen Kräfte
werden von solcher Idee beseelt nicht zur größten Ver-
vollkommnung hintreiben. Des Lebens Werthöhe werden
wir auf dem Gebiete der Kunst- und auch an andern Er-
rungenschaften der Menschheit wohl messen können,
aber des Lebens Werthöhe wird bestimmt also auch
vergrößert oder vermindert durch unsere Lebensanschau-
ung, d. h. durch unsere innere Stellung zum Leben. Von
dieser Zentrale aus erhält die Kunst ihre Dienstanwei-
sungen, von da aus wird ihr die Aufgabe gestellt und die
Lösung beurteilt. Je mehr die Kunst diese Abhängigkeit
ignoriert, dieses Dienstverhältnis lockert, um so mehr,
behaupte ich, verliert sie an innerem Gehalt, an Treff-
sicherheit in der Formgebung. Die Folgen solcher
Loslösung werden in erster Linie verhängnisvoll für
die Schöpfungen der frei bildenden Kunst. Die Folgen
solcher Loslösung sind aber augenscheinlicher und daher
eher nachweisbar in der angewandten Kunst. Denn je
enger sich ein Gegenstand als untrennbarer Bestand-
teil in unser tägliches Leben einfügt, um so deutlicher
werden wir eine etwaige Unstimmigkeit zwischen seiner
Form einerseits und seinem Sinn und Zweck anderer-
seits d. h. seiner Stellung und Bedeutung in der Rang-
ordnung unserer Lebenswerte bemerken und störend
empfinden. Es gibt heute Kunstbeflissene, die in dem

verhängnisvollen Irrtum befangen scheinen, die ganze
Umwelt wäre einzig und allein der uneingeschränkten
Herrschaft der Kunst untertan. Sie hegen die Meinung,
die Kunst wäre etwas so Großes, so Heiliges, daß man
ihr nirgends Einschränkungen auferlegen, sie nicht mit
Zweckfragen behelligen und sie in ihrer Betätigung
nicht hindern dürfe. Diese anmaßende Souveränität
läßt sich z. B. vielfach in der Art neuerer Wohnungs-
einrichtungen , der Innenkunst beobachten. Ver-
setzen wir uns beispielsweise in den Innenraum eines
neuen Wohnhauses: Herrliche Farbentöne stumpf flieder-
farbener Stofftapeten klingen mit dem vornehm ver-
haltenen Messing-Glanz des schlicht geformten Kron-
leuchters zusammen und zur sattwarmen Dunkelheit
tiefbrauner Mahagonimöbel gesellt sich das weich-lichte
Grün-Grau seidener Polster. Die Verteilung der Massen
im Raum ist so fein erwogen, so glücklich gelungen,
daß die Sonne sich freut, ihre goldig-warmen Strahlen
in den Dienst dieses Kunstwerkes zu stellen. Mit ehr-
fürchtiger Scheu bleibt der Eintretende stehen und
wagt nicht die Harmonie des ganzen durch eine anders-
klingende Bewegung zu stören oder gar seiner anders-
artigen innerenStimmung Ausdruck zu verleihen. Er fühlt
die peinliche Gegenwart eines Fremdlings, eines Ein-
dringlings in seinem Hause, dem er freilich Achtung
und Bewunderung nicht versagen kann, wenn er gerecht
sein will, aber trotzdem wird er den Eindruck nicht
los, daß hier eine Invasion stattgefunden hat, der er
entgegentreten muß, um Herr im Hause zu bleiben.
Denn trotz aller Kunst ist das Zimmer für ihn untauglich ;
die Form und die Stellung der Möbel, die Lage der
Fenster und die Art der Beleuchtungskörper — alles
ist für den täglichen Gebrauch unzweckmäßig. Und
wodurch war diese Unstimmigkeit entstanden ? Durch
die souveräne Stellungnahme des Künstlers, der, un-
bekümmert um die wirklich vorliegende Aufgabe sich
irgend eine andere stellte, deren künstlerische Lösung
ihm reizvoller erschien und näher lag. Ähnliche Beob-
achtungen können wir auch an manchen Hausgärten
gleicher Entstehungsart machen; „Schaubilder“ for-
maler Gärten werden heute vielfach als plastische Bilder
zum Anschauen in die Wirklichkeit übertragen. In dem
einheitlichen Kunstwerk spielt das Gartenhaus nur die
Rolle der Masse, der Farbe. Die Bänke mit ihrem
weißen Linienwerk sehen ihre Aufgabe lediglich darin,
den Rhythmus langgezogener dunkelgrünerTaxushecken-
massen zu betonen und gradgestreckte Wegezüge —
als lichte Bänder, gesäumt von farbigen Blumenlinien —
bringen das symmetrisch harmonische Raumgebilde
zu geschlossen malerischer Wirkung. So schön ein
solcher Garten bei geeigneter Beleuchtung auch dem
Auge erscheinen mag, so sehr im Gegensatz zu unseren
früheren charakterlosen Spielereien, in der Formgebung
der Massen, in der Gliederung der Flächen und Verteilung
der Farben ein wesentlicher Fortschritt zu be-
merken ist, so sehr wir uns in optimistischer Zu-
versicht dieses Erfolges freuen dürfen, so wichtig ist es
— meine ich — zu prüfen, ob denn damit alles ge-
 
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