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Die Gartenkunst — 14.1912

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Arntz, Wilhelm: Gartenkunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.20815#0319

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312

DIE GARTENKUNST.

XIV, 20

Gartenkunst.

Von Wilhelm Arntz, München.

Einem tieferen, verständnisvollen Eindringen in
das organische Wesen der sogenannten „Natur", in
die Lebenszusammenhänge in der Pflanzenwelt, in das
Organische der Geländeformationen und den Ausdruck
des allen in der äußeren Erscheinung hält gleichen
Schritt ein verfeinertes, liberales Empfinden für das
Schöne und für das innere Leben, für die Durchseelung
der Natur. — Ein solches Gartenbild ist von Leben
erfüllt. Nicht nur der Wechsel der Jahreszeiten mit
seiner starken Einwirkung, auch der der Tageszeiten
wird hier zu einem bestimmenden Faktor, das Klima
selbst, das Wetter und der Wandel der Jahre. So
seltsam es klingt, ist es doch unleugbar möglich, diese
Kräfte zu beherrschen, der zu verkörpernden Vor-
stellung, freilich nicht im Cyklopenmaßstab, dienstbar
zu machen. Es läßt sich das alles sogar mit feinem
Empfinden verwerten zu einer Darstellung des Lebens
in der Natur, des Werdens und Vergehens, des Wach-
sens und des Wollens, des furchtbaren Kämpfens auf
Behauptung oder Untergang, — so daß v. Engelhardt
mit Recht die Gartenkunst nicht nur als Raumkunst,
sondern auch als Zeitkunst — freilich weit abliegend
von den bisherigen Begriffen — anspricht. Das Schaf-
fende, Persönliche geht dann auf so zarten Pfaden, daß
gröbere Sinne es aus den Augen verlieren und ver-
leugnen müssen, — aber nur diese. Nein, es warten
hier wirklich schlummernde Schätze auf das rufende
Tageslicht einer zartsinnigen und doch starken, gesun-
den Kultur. Man wird einst wieder sehen, daß die
Leute vor 300, 200 und 100 Jahren, die den Grund zu
unserer Landschaftsmalerei legten, auch in diesem keine
Barbaren waren, und daß Goethe in seiner Vorliebe
für solche, damals allerdings durchaus dilettantisch
betriebene, körperlich-räumliche Landschaftsdarstellung
doch nicht so ganz von seinem guten Geschmack ver-
lassen war. —

Für viele Leute ist der architektonische Garten
noch heute etwas Überwundenes. Sie schütteln den
Kopf vor dem Siegeslauf dieser „Verschrobenheit".
Indessen ist gerade er das Natürliche und Selbst-
verständliche, während sein Partner durchaus nur ein
Kulturprodukt ist. Die Freiheit in der Natur ist nur
die gegenseitige Ablenkung, Hemmung oder Verstär-
kung zahlloser unabhängiger Willen, die zeitlich und
räumlich ins Unendliche differenziert sind und einander
ständig weiter differenzieren, gleichzeitig aber auch
sich organisieren, vereinheitlichen. Die seltsame Kraft,
oder der überlegene Wille, der zu solcher Organisierung
führt, derselbe ist es, der im Menschen besonders rein
auftritt. Und was der Mensch erschafft, hat darum
notwendig die Tendenz, die Einwirkung all der
ungezählten andern Willen auszuschalten zugunsten
eines einzigen oder einer bestimmten Kombination
mehrerer, die eben den Zweck des geschaffenen Gegen-
standes erfüllen und darin seinem menschlichen Eigen-

willen dienstbar sind. Wenn er einen Gegenstand bloß
um seiner Erscheinung willen gibt, so gibt er all die
vielfältigen Willensäußerungen, die die „zufällige" Ge-
stalt seines Vorbildes oder seiner Phantasievorstellung
ausmachen, wieder, bzw. er läutert und gestaltet sie
um, soweit es im Interesse der Bilderscheinung und
der Reinheit der Vorstellung nötig ist; und das Pro-
dukt hat seinen Wert nur im Menschen selber, ist ir-
real. Das ist darstellende Tätigkeit. Wenn er aber
einen Gegenstand aus dem Nichts aus seiner Erfindungs-
kraft zum realen und zweckgeforderten Dasein her-
stellt, so gibt ihm der Zweck, der Inhalt, das Wesen
des Gegenstandes den Grund für die Anwendung be-
stimmter Willen und die Ausschaltung der andern, er
verarbeitet sie nach seinem eigenen Wollen, er baut,
und die hergestellten Formen tragen mathematische
Strenge und Klarheit. Daraus folgt das Wesen des
Architektonischen und seine absolute Gültigkeit für
alles Zweckschaffen. Da unser Zweckschaffen aber
nie Vollkommenheit erreicht, bei der vielleicht eine
gewisse Schönheit von selber eintreten würde, drängt
es uns, den Dingen auf dem Wege des künstlerischen
Schaffens, eines Vorganges, bei dem im Unbewußten
die Erfahrungen, die unseren Ahnen von Uranfang be-
gegnet sind, wirken, die unentbehrliche Schönheit zu
verleihen, die wiederum dann am größten ist, wenn
sie das Wesen der Dinge möglichst rein und stark
ausdrückt und ihre Erscheinung an sich für unsere
Wahrnehmungssinne angenehm macht. Dann stellt
sich vielfach die darstellende Tätigkeit in den Dienst
der bauenden. Und dies ist eine Stelle, wo das Male-
rische, das Nicht-Zweckbestimmte in die Architektur
eindringen kann.

Es ist hier nicht der Ort, diesen Gedankengang
in allen seinen Konsequenzen zu verfolgen. Er soll
nur zeigen, daß architektonische Form niemals durch
reine Darstellung ersetzt werden kann, also niemals
der darstellende Garten an die Stelle des gebauten
treten kann, außer da, wo letzterer nur um der Form
willen geherrscht hatte, oder wo sich Willkür über alle
Realitäten hinwegsetzt.

Der architektonische Garten unterscheidet sich
nun wiederum von aller andern Architektur dadurch,
daß ein wesentlicher von seinen Baustoffen, die Pflanze,
sich nur durch stets wachsame Gewalt in den mathe-
matisch klaren, ihr fremden, tyrannischen Formen halten
läßt und unausgesetzt ihr Lebendiges, ihren eigen-
willigen Formencharakter durchzusetzen trachtet, und
bei der geringsten Unachtsamkeit als ein solcher ge-
bundener Wille sich befreit, damit das Ungewollte,
und das bedeutet in diesem Zusammenhang das Male-
rische, in den Garten bringt. Das eigentlich Archi-
tektonische beruht nun aber nicht so sehr in der Einzel-
form wie in der Anordnung, in der großen, der Raum-
form. Und es läßt sich wohl behaupten, daß an die
Stelle der schmückenden Darstellungen (auch Ornamente
zählen dazu) bei den Baugliedern des Hochbaues, hier
eben die individuelle Gestalt der einzelnen Pflanzen
 
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