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Die Gartenkunst — 33.1920

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Heicke, C.: Gartenkultur und deutsche Zukunft: ein Mahnwort an Alle
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ödeten Leben der erdrückenden Mehr-
heit des Volkes neuen persönlichen
Inhalt auf anderem Gebiet zu geben.

Eine verheißungsvolle Möglichkeit besteht
darin, diese Massen, die in des Wortes tiefstem
Sinne den Boden unter den Füßen verloren haben,
wieder mit der Natur, der Grundlage alles Men-
schendaseins, in Verbindung zu bringen. Die
überall sich durchsetzende Kleingartenbewegung
weist die Richtung, bildet aber nur einen Not-
behelf, denn dem Kleingarten fehlt das Haus.
Und beim Siedlungswesen, wenigstens in der für
die breiten Schichten der Stadtbevölkerung einzig
in Betracht kommenden Form der Wohnsied-
lung, wird das Haus zu sehr als Hauptsache, die
Gartenfrage zu nebensächlich behandelt. Allen
denen, die nach dem Besitze eines solchen Siedler-
heimes streben, ist es weniger wichtig, draußen
in Häuschen nebeneinander geschichtet, anstatt
wie seither in der Stadt stockwerkweise über-
einander geschichtet zu wohnen. Für sie ist das
grundsätzlich Unterscheidende gegenüber dem
Hausen in der Großstadt der Garten, der Gar-
ten in engstem Zusammenhange mit der
Wohnung. Ihr Gartenhunger wird nicht befrie-
digt durch ein Stück Land am Hause, dem sich
im Schweiße des Angesichts der Grünbedarf der
Küche abringen läßt. Sie erwarten einen
Garten, der Sonnenschein und Schön-
heit in das seither freudlose Arbeits-
dasein bringt, den Kindern zumSchau-
platz einer erlebnisfrohen Jugend
wird, die Erwachsenen in gesunder Be-
schäftigung und beschaulicher Feier-
stunde das seelische Gleichgewicht
gegenüber der mechanisierten Berufs-
tätigkeit gewinnen läßt.

Sie haben unbewußt die richtige Empfindung,
daß der Garten mehr als eine Erleichterung der
Nahrungssorgen bringen, daß er die Grundlage
zu einem menschenwürdigen Dasein bilden soll.

Zwar mit dieser Erkenntnis allein ist es nicht
getan, sie bildet aber den Punkt,\wo eingesetzt
werden muß, um die dem Garten entfremdete
Menschheit wieder für den Garten zu erziehen.
Nutzbarmachung neuzeitlicher Erfahrungen und
Einrichtungen zur Hochsteigerung des Ertrags
muß wirtschaftliche Voraussetzung sein, der in
Vergessenheit geratene Garten der Großväter-
zeit mit seiner guten Gliederung, seiner Hecken-
umwehrung und Familienlaube, dem schlichten
Schmuck gepflegter Zwergobstbäume und volks-
tümlicher Blumen für die Gartenform das Vor-
bild, die Wiedererweckung des auf eigenes Schaf-
fen sich gründenden Gartenlebens jener Zeit das
Ziel bilden.

Gartenkultur in diesem Sinne bereitet den
Boden für Schaffenslust und Zufriedenheit, Fa-

miliensinn und Gemeinschaftsgefühl, die Garten-
schönheit wird den Maßstab bieten für den Un-
wert alles dessen, was im naturentfremdeten
Großstadtdasein Heim und Zeit erfüllte, wird
empfänglich machen für Gediegenheit und gute
Form in Hausrat, Kleidung und geistiger Nah-
rung, Gartenkultur ist mit anderen Worten die
Voraussetzung für wahre Volkskultur, um
die sich unsere Besten bisher umsonst
bemühten. Dadurch muß das besiegte Deutsch-
land seine Gegner zu überwinden trachten, und
der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und
allen, die ihre Bestrebungen zu unterstützen
geneigt sind, bietet sich eine Zukunflsaufgabe
allergrößten Ausmaßes.

Sollen die Möglichkeiten, welche hier nur
angedeutet werden konnten, voll zur Auswirkung
gelangen, dann muß damit eine dem Bedürfnis
der breiten Massen entsprechende Boden- und
Parkpolitik der Verwaltungen Hand in Hand
gehen: Bereitstellung von Land für Siedlungs-
zwecke und Kleingartenbau; Ausgestaltung des
Anlagenwesens unter weitgehendster Rücksichts-
nahme auf die Pflege von Leibesübungen und
Körperkultur; Erhaltung und Ausbau der be-
stehenden Anlagen und ihre Ergänzung durch
die in das Gemeineigentum übergegangenen
Gartenschöpfungen aus fürstlichem Besitz; Ein-
führung des Gartenbaues als Pflichtgegenstand
des Unterrichts an den Schulen usw. Auf Einzel-
heiten einzugehen ist hier nicht der Ort, es kann
auf frühere und bevorstehende Veröffentlichun-
gen in diesen Blättern und die zahlreiche son-
stige Literatur verwiesen werden.

Von besonderer Wichtigkeit ist die Heran-
bildung von geeigneten Fachleuten für diese Zu-
kunflsaufgabe. Die Lehranstalten für Garten-
bau müssen darauf eingestellt werden, um Füh-
rer und technische Hilfskräfte in ausreichender
Zahl zu gewinnen, und der Art und Bedeutung
der Aufgabe wird es entsprechen, wenn alles ge-
schieht, um dies Arbeitsfeld auch den Fähigen
unter denen zu erschließen, die bisher mangels
Erfüllung des vorgeschriebenen Ausbildungs-
ganges hinter anderen oft weniger Befähigten
zurückstehen mußten.

Zu alledem reichen freilich die Mittel und
Kräfte der D. G. f. G. allein nicht aus, sie kann in
der Hauptsache nur anregen und Wege weisen,
bedarf aber schon hierbei der Unterstützung
aller derjenigen, die sich der Einsicht nicht ver-
schließen, daß die Gartenkultur, in dem
hier entwickelten Sinne verstanden und
zum Gemeingut des deutschen Volkes ge-
macht, ein hervorragendes Mittel bildet,
um den Wiederaufstieg des deutschen
Volkes in nicht allzu ferner Zukunft er-
reichbar und möglich zu machen. Heicke.
 
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