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Die Gartenkunst — 33.1920

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Heicke, C.: Der Siedlergarten eine Kulturangelegenheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.20812#0107

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j Häuserreihen in vorwiegend nordsüdlicher Rich-

! tung, sodaß jedes Anwesen seinen angemessenen

| Teil Sonnenlicht, je nachdem vormittags oder

! nachmittags, bekommt.

Über den Kleingarten zum Siedlergarten.

Trotz der hiermit einwandfrei nachgewiese-
nen Möglichkeit, dem Siedlergarten unter allen
Umständen eine zweckmäßige Form und Anord-
nung zu geben, kommen die meisten Siedlungs-
entwürfe immer noch ohne genügende Rück-
sichtnahme auf die Erfordernisse der
Gärten zustande. Oft wird der Garten ge-
radezu als nebensächliche und gleichgültige Sache
behandelt.

Wir müssen mit allemNachdruckund
bei jeder Gelegenheit die Forderung
erheben, daß der Gartenfachmann ge-
hört werde, und besonders unseren Landes-
gruppen empfehle ich dringend, überall unmittel-
bare Verbindung mit den Siedlervereinen, Boden-
reformern und ähnlichen Körperschaften anzu-
knüpfen. Es darf in diesen Vereinen keine
Sitzung stattfinden, ohne daß wir vertreten sind
und zu Wort kommen. Überall muß unausge-
setzt gehämmert werden. Auch die Kleingarten-
baukreise gehören hierher. Denn der Kleingarten-
bau ist die Vorstufe und Vorschule für
das Siedlertum.

Man bedenke: Es bedeutet Verlust am Volks-
vermögen, wenn Siedlerheimstätten in unrich-
tige Hände kommen und ohne den erwünschten
Erfolg bewirtschaftet werden. Es muß also Grund-
satz werden, daß einstweilen nur solche Bewer-
ber berücksichtigt werden, die die erforderlichen
Kenntnisse besitzen und ihren Befähigungsnach-
weis erbracht haben.

Dazu bietet der Kleingartenbau Gelegenheit.
Und ferner: Was liegt näher, als überall da,
wo geplante Siedlungen wegen Baustoffmangel
noch hinausgeschoben werden müssen, den Be-
werbern wenigstens das Gelände in
Form von Kleingärten zur Verfügung
zu stellen?

Nicht nur mehr oder weniger berechtigter
Mißstimmung der Wartenden würde abgeholfen,
sondern auch mancher späteren Enttäuschung
vorgebeugt, wenn die Siedlungslustigen, bevor
sie ihre Ersparnisse beim Bau der Häuschen
festlegen, Gelegenheit haben, sich auf ihre Be-
fähigung zu erproben.

Nur kurz gestreift sei hier die Frage: Ist das
Siedlertum und jede sonstige Form des Klein-
betriebs im Gartenbau dem Großbetrieb gegen-
über volkswirtschaftlich zu rechtfertigen?

Wir müssen uns in vieler Beziehung um-
stellen, und ohne Lehrgeld geht es dabei nirgends
ab. Wer beobachtet, wie eifrig der Neuling im
Kleingartenbau auf guten Rat erpicht ist und
was alles geschieht, ihn anzuleiten, wird die auf

die mangelnde Erfahrung der Anfänger hin-
weisenden Bedenken nicht hoch anschlagen.

Der Großbetrieb an sich arbeitet zweck-
mäßiger, „rationeller". Aber wo er eine Ernte
erzielt, da holt der Kleingärtner zwei, wenn
nicht gar drei Ernten heraus.

Das Wichtigste aber ist dies: Kleingarten-
bau und Siedlertum setzen zahlreiche
Arbeitskräfte in nützliche Tätigkeit
um, die sonst b r achlieg en wür den und
deren'Nutzbarmachung wir in unserer
Lage nicht missen können.

Man denke wieder an den Achtstundentag!
Das schlägt alle Einwendungen aus dem
Felde, soweit sie von wirtschaftlichen Er-
wägungen ausgehen.

Von Gartennot zu Gartenliebe.

Indessen kommt dem Gartenbau, beson-
ders dem nicht rein gewerbsmäßig be-
triebenen, eine hohe ideelle und ethische
Bedeutung zu. Diese ist so groß, daß man
den Garten als einen Maßstab für den sitt-
lichen und kulturellen Hochstand einer
Zeit betrachten kann.

Das Gartenwesen unserer Großeltern, die
Gartenentfremdung des letzten halben Jahr-
hunderts bestätigen dies als uns zeitlich nahe-
liegende Beispiele, wobei dahingestellt bleiben
mag, ob die Gartenlosigkeit der letztvergangenen
Zeit als ein Grund oder eine Begleiterscheinung
der allgemeinen Unkultur anzusprechen sei, in
die unser Volk versank.

Jedenfalls wissen wir, daß unsere Großeltern
unter äußerlich recht bescheidenen Umständen
glücklich und zufrieden lebten und hohe Lebens-
kultur besaßen. Und der stille Beobachter kann
in den Kleingartenbaukreisen von heute bereits
Spuren eines Umschwunges der Kulturgesinnung
feststellen, die vielversprechend sind.

Banksitz neben der Haustür. (Aus „Volkswohnung".)

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